piwik no script img

Spielfilm „Was wir wussten – Risiko Pille“Das Action-Date steht!

Ein investigativer Spielfilm will aufklären über die Thrombose-Gefahr der Antibabypille. Aber erst mal erzählt er was ganz anderes.

Kommt sie oder kommt sie nicht auf dem Markt, die Thrombose-Pille? Darum wird hier gerungen Foto: Mark Kästner/NDR

Das war schon ein Knaller, als am Sonntagabend in der jüngsten Ausgabe der Arte-Reihe „Durch die Nacht mit …“ die Aktivistin (Flüchtlinge, Klima) Carola Rackete der Schriftstellerin (Bienen, Wasser) Maja Lunde erklärte, sie lese nur noch wissenschaftliche Studien: Romane gäben ihr das Gefühl von Zeitverschwendung. Eine Mehrheit hält es genau anders herum und liest lieber Romane als wissenschaftliche Studien – und guckt im Fernsehen lieber Spiel- als Dokumentarfilme.

So wird der Regisseur Daniel Harrich gerne mal als Begründer des investigativen Spielfilms bezeichnet, weil er inzwischen zahlreiche kontroverse, originär journalistische Themen (deutsche Kleinwaffenexporte, gefälschte Medikamente) in fiktionalisierter Form dargereicht hat. Die Fiktionalisierung erhöht nicht nur die Reichweite.

Man umschifft damit auch das Problem, dass manche Zeugen ihre Auskünfte lieber nicht vor laufender Kamera geben wollen. Und man hält sich die Rechtsverdreher vom Leib, indem man an den Anfang oder das Ende seines (Spiel-)Films einen Satz stellt wie diesen: „Dieser Film beruht auf wahren Ereignissen. Die im Film handelnden Personen, ihre Konflikte und ihre beruflichen und privaten Handlungen sind jedoch frei erfunden. Dies gilt insbesondere für die Mitarbeiter des Pharmaunternehmens.“

Man kann den Satz auch an den Anfang und ans Ende stellen, nur um ganz sicherzugehen. Wie die Macher (Regie: Isa Prahl; Buch: Eva und Volker A. Zahn) von „Was wir wussten – Risiko Pille“. Es geht um die Antybabypille und das mit ihrer Einnahme erhöhte Thromboserisiko und dessen Herunterspielen durch die Hersteller. Wie kann man dieses relevante, aber an sich trockene Thema nun unter den Bedingungen des Storytellings … nein, eben nicht aufbereiten, sondern: erzählen?

Der menschelnde Rahmen für die Pillengeschichte

Ganz einfach: Man erzählt erst einmal eine ganz andere Geschichte. Die von Carsten (Stephan Kampwirth), der sich in seine Chefin (Nina Kronjäger) verliebt hat. Der aber eine Frau und zwei Töchter zu Hause hat und diese verlässt, wegen der Chefin. Der dann von seiner Chefin erfährt, sinngemäß, dass er für sie nur eine Affäre ist. Wortwörtlich sagt sie: „Entschuldige bitte. Aber ich kann jetzt keine zusätzlichen Probleme gebrauchen.“ Zu dem Adjektiv gleich.

Der Fernsehfilm

„Was wir wussten – Risiko Pille“, Mittwoch, 23.10.,20.15 Uhr, ARD.

Carsten jedenfalls kehrt trotzdem nicht zu seiner Frau zurück und muss deshalb einiges unternehmen, um das Wohlwollen seiner Töchter zurückzugewinnen. Und das wird alles ziemlich ernst und differenziert erzählt und hätte bereits genug dramatisches Potenzial für einen TV-Neunzigminüter.

Es ist aber nur der menschelnde Rahmen für die Pillengeschichte. Carsten arbeitet für ein Pharmaunternehmen, das die Markteinführung einer neuen Pillengeneration vorbereitet: „Unsere Zielgruppe sind die jungen Mädchen. Also Erst-Userinnen ab elf. Und die Mädchen müssen vergessen, dass unsere Pille ein Medikament ist!“ Carsten gefällt schon das Konzept nicht. Vor allem gibt es da aber das Problem, zu dem seine Chefin keine zusätzlichen Probleme gebrauchen kann.

Aus einer dänischen Studie geht nämlich das erhöhte Thromboserisiko hervor. „Es gibt keinen Aufschub. Das Action-Date steht!“, sagt gleichwohl die Chefin. Sie gibt sich alle Mühe, Carsten wieder auf Linie zu bringen – mal mehr auf die harte Chefinnen-Tour, mal kommt sie am Abend mit einer Flasche Rotwein in sein Büro: „Was is ’n mit dir los? Das ist doch nicht das erste Mal, dass wir so ’ne schwierige Nutzen-Risiko-Abwägung machen.“ Kurz: Der einstige skrupulöse Mitarbeiter des Pharmaunternehmens, unser Carsten, sieht sich einer Bande achselzuckender Berufszyniker gegenüber.

Als Zuschauer kämpft man gelegentlich mit der fiktionalen Form und den Fragen, die sie aufwirft: Gibt es die Thrombose-Probleme neuerer Pillen-Generationen also nur, weil da zwei Mitarbeiter eines Pharmaunternehmens den guten alten Grundsatz „Never fuck in the factory!“ nicht eingehalten haben? Oder sind das etwa genau die Personen, deren Konflikte und beruflichen und privaten Handlungen die Eheleute Zahn frei erfunden haben, während als wahre Ereignisse am Ende „nur“ die Pille und ihr Thromboserisiko bleiben? Und die Frauen, bei denen das Risiko real geworden ist.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Schon vor 40 Jahren wusste jede Frau, dass die Pille Nebenwirkungen hat Manche mehr, manche weniger. Das Thromboserisiko gehörte dazu. Aber damals war die Pille auch kein Lifestyle-Produkt. Wurde nicht rosa glitzernd beworben, eher zurückhaltend verschrieben und bei Nichtvertragen einfach abgesetzt. Nichtvertragen haben die Frauen eigentlich immer direkt gemerkt.

  • Und wie geht die Geschichte aus?