Spielfilm „The Report“ zu 9/11 und CIA: Die Folter im Kopf
In seinem Regiedebüt „The Report“ erzählt Scott Z. Burns von den Verhörmethoden der CIA nach 9/11. Er tut das so nüchtern wie erschütternd.
Darüber zu berichten, macht ein Grauen nicht ungeschehen. Aber darüber nicht zu berichten, die Leidtragenden von Straftaten totzuschweigen, die Täter*innen nicht zu benennen, ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer.
Womit man wortwörtlich beim Thema ist: Im Nachhall der Terror-Anschläge des 11. Septembers, bei denen fast 3.000 Menschen starben und an deren Narben sich die USA noch heute abarbeiten, entwickelten die US-amerikanischen Geheimdienste CIA und DIA (Defense Intelligence Agency) eine besondere Art des Verhörs von Terrorverdächtigen.
Die von Psychologen aufgebrachte, euphemistisch als „advanced interrogation techniques“ bezeichnete Praxis bestand unter anderem aus Schlägen, Waterboarding, Musikfolter, Einsperren in sargähnlichen Kisten, Aufhängen von Gefangenen in „Stresspositionen“, Schlafentzug, sexueller Erniedrigung und Nahrungsentzug. In Gefängnissen wie Guantánamo und Abu Ghraib wurden die Techniken an einer bis heute unbekannten Anzahl von Insassen eingesetzt, wie viele dabei oder an den Folgen starben, ist genauso wenig bekannt wie ihre Schuldigkeit – manche starben ohne das angestrebte Geständnis, vielleicht, weil sie bei der Wahrheit blieben.
Die Bush-Regierung hatte die kriminellen Vorgänge autorisiert – das Wort „Folter“ verbal durch andere Ausdrücke zu ersetzen, war den Verantwortlichen als Rechtfertigung für massive Menschen- (und Gefangenen-)rechtsverletzungen ausreichend.
Eine solche wahre Geschichte zu fiktionalisieren, bedeutet, sie im besten Fall nicht nur im Bewusstsein der Bevölkerung, zumindest dem der Kinogänger*innen und Netflix-Abonnent*innen zu verankern. Sondern auch, zu ihrer noch immer nicht ausreichenden Aufklärung beizutragen.
Bildlich ruhig, aber inhaltlich höchst brisant
Der US-Regisseur Scott Z. Burns, dessen Drehbücher für Steven Soderberghs Filme „The Informant“, „Contagion“ und „Side Effects“ sowie für „The Bourne Ultimatum“ stets den Kampf eines einzelnen Menschen gegen ein undurchschaubares, mächtiges System thematisierten, inszeniert mit „The Report“ sein Debüt als Regisseur. Und orientiert sich an bildlich ruhigen, aber inhaltlich höchst brisanten Polit-Aufdeckungsthrillern wie „Die Unbestechlichen“ oder „The Insider“: Er befreit seinen Film von klassischem Flucht- und Spannungsbombast mit fliegenden Körpern, spritzendem Blut und quietschenden Reifen.
Denn es passiert fast alles im Kopf – einerseits in dem des jungen Senatsmitglieds Daniel Jones (Adam Driver), der von der Senatorin Diane Weinstein (Annette Bening) 2008 den Auftrag erhält, Akten durchzuarbeiten, die sich irgendwann zu über 6 Millionen Seiten Papier häufen – Tonbänder, Berichte, Fotos, Protokolle über die Taten der Geheimdienste in den Gefängnissen, in denen Verdächtige islamistisch motivierten Terrors einsaßen.
Gleichzeitig passiert es im Kopf der Zuschauer*innen, die ebenso fassungslos sind wie Jones (dem Driver neben seiner in vielen Filmen erprobten, unterschwelligen körperlichen Präsenz eine stoische, fast streberhafte Durchbeiß- Attitüde mitgibt). Jones und das Publikum erfahren, was den Verdächtigen in den „black sites“, besagten Aufbewahrungsorten, angetan wurde. Und das ist so grausam, dass weder Jones noch das Publikum noch das dortige medizinische Personal es ertragen: Ein Informant erzählt davon, dass viele sich krankschreiben ließen.
Wühlen im Dreck
Burns’ Bildsprache ist so subtil wie drückend: Jones arbeitet mit einem über die Jahre kleiner werdenden Team in einem fensterlosen CIA-Kellerbüro, dessen Hermetik immer spürbarer wird, je tiefer Jones sich in die Recherche verstrickt. Er wühlt im Dreck – und sitzt dabei im Erdreich. Nur die Augen dieses äußerlich rastlosen, innerlich entsetzten Menschen spiegeln das Bodenlose der Situation.
„The Report“. Regie: Scott Z. Burns. Mit Adam Driver, Annette Bening u. a. USA 2018, 119 Min.
Die wenigen Sequenzen, die der Regisseur zur Illustration als Rückblenden inszeniert, Bilder von Gefolterten, die Unbegreiflichkeit des Festhaltens an diesen nicht mal im entferntesten zielgerichteten Techniken, die, wie eine der Verantwortlichen bemerkt, „auch nach 183-mal Waterboarding kein Geständnis brachten“, sind schwer aushaltbar, erinnern an die Grausamkeit der „peinlichen Befragung“ nach Geständnissen von Hexen im Mittelalter, bei der die Täter sich ebenfalls im Recht wähnten. Und müssen dennoch sein – wie mit einer Nadel sticht Burns sie so in das Gedächtnis und das Verantwortungsgefühl des Publikums.
Er tut dies, ohne die Leidenden auszustellen oder die Gewalt zu ästhetisieren: Die Drastik ist dem Thema angemessen.
Stiller Held
Burns’ Film ist unbeirrbar. Er hält seinen stillen Helden weder mit Liebesgeschichten noch mit Actionsequenzen auf. Seine Stärke ist Persistenz: Wie ein batteriebetriebenes Maskottchen strebt Jones dem Ziel zu. „Truth Matters“ ist das so anschauliche wie wahre Motto – es zeigt zugleich, wie schnell große Worte bedeutungslos werden können. Denn „The Report“ beleuchtet auch die Stimmung, in der sich das Land nach den Anschlägen 2001 befand, seine neu empfundene Ohnmacht, die sämtlichen politischen Aktivitäten plötzlich eine Richtung gab.
Das Gefühl, nicht mehr unantastbar zu sein, ließ das gemeinsame Feindbild erst entstehen, legitimierte die Entmenschlichung von Gefangenen, die man als 9/11-Schuldige wahrnahm. Aufgrund dieses Gefühls entstand ein Geheimdienst, ein Regierungsarm, dem sämtliche Maßnahmen erlaubt wurden. Es sind, so verdeutlicht „The Report“, keine Spaß am Quälen empfindenden Psychopath*innen, die „erweiterte Verhörmaßnahmen“ erfanden, autorisierten, anordneten und durchführten. Es sind ganz normale Regierungsbeamte, Psychologen, Militärs, Politiker*innen, Agent*innen.
Insofern ist Burns’ Film, der mit dem „Folter-Report“ beginnt und endet (von 6.700 Seiten geht zum Schluss nur noch eine auf 500 Seiten gekürzte Version an die Öffentlichkeit), trotz seiner Unaufdringlichkeit in der Erzählweise ein dringender, kritischer Appell zum Ändern der Strukturen, die so etwas möglich machen. Denn sie sind auch nach dem Erscheinen des Reports vorhanden: Der Großteil von Daniel Jones’ Arbeit passierte (und wurde ignoriert) unter Barack Obama. Dessen Stabschef Denis McDonough (nonchalant gespielt von Jon Hamm) will zwar Schluss machen mit dem Busch’schen Unter-den-Teppich-Kehre
Und darf sich dennoch im Sinne des „We want change“-Slogans keine Blöße geben: Würde man wirklich aufdecken, wie autark und marode die Geheimdienste arbeiten, müsste man eine große Schwäche im System eingestehen – das tut kein Präsident gern, auch nicht Obama.
Trump erst recht nicht: Im März 2018 nominierte der US-Präsident Gina Haspel zur Direktorin des CIA, kurz darauf wurde sie gewählt. Haspel hatte 2002 ein Black-Site-Gefängnis in Thailand beaufsichtigt, in dem gefoltert wurde. Offiziell hat sie Folter bis heute nicht abgelehnt. Genauso wenig wie Trump.
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