Spielfilm „Tesla“ im Kino: Der Pionier, der sich googelte
Gleichstrom/Wechselstrom: Ein Biopic über den Elektrizitätsforscher Nikola Tesla arbeitet mit semidokumentarischen Mitteln.
Der Film ist so dunkel wie seine Umgebung: Ende des 19. Jahrhundert wurde die Welt notdürftig von gelblich flimmernden Gasfunzeln erleuchtet. Nikola Tesla (Ethan Hawke mit eindrucksvoller Popelbremse), ein Pionier auf dem Gebiet der Elektrizität, sitzt im Biopic „Tesla“ dementsprechend oft in düsteren Räumen. Doch es scheint ihm dabei ein Licht nach dem anderen aufzugehen: „Dieser Motor wird die Menschen befreien“, lässt Regisseur Michael Almereyda seinen ansonsten eher schweigsamen Protagonisten einmal sagen, als dieser das erste Drehfeld mit Zweiphasenwechselstrom vorführt.
Das System „Wechselstrom“ wird sich später gegenüber dem von Thomas Alva Edison zur gleichen Zeit favorisierten Gleichstromnetz durchsetzen. Eventuell stimmt also, was Anne Morgan (Eve Hewson), Millionenerbin, Mäzenin, Tochter des Unternehmers J. P. Morgan (Donnie Keshawarz) und „Teslas“ allwissende Erzählerin, am Ende sagt: „Vielleicht ist die Welt, in der wir leben, eine Welt, die zuerst von Tesla erträumt wurde …“
Almereyda wollte den Film über den Wissenschaftler, der aus dem damals zum österreichischen K.-u.-k.-Reich gehörenden Kroatien stammte, angeblich bereits vor Jahrzehnten machen – eine lange Entwicklungs- und Finanzierungsphase mit vielen Problemen führte schließlich zu einer Hybridlösung, deren Erfindungsreichtum einem Erfinder alle Ehre macht.
Hübsche Verflechtungen
„Tesla“ ist weder rein fiktionales Biopic noch reine Dokumentation, aber sprengt auch die Genregrenzen des „Dokudramas“: Originale Bilder, Fotos und Zeichnungen, belegte Ereignisse werden zwar mit Spielszenen, viele davon vor hübschen Matte Paintings, verflochten.
„Tesla“. Regie: Michael Almereyda. Mit Ethan Hawke, Kyle MacLachlan u. a. USA 2020, 96 Min.
Das Resultat unterscheidet sich jedoch von üblichen Dokudramen, in denen jene gespielten Sequenzen wenig Atmosphäre vermitteln und die mit Off-Kommentar unterlegten Originalbilder sachlich bleiben. Denn „Tesla“ springt undogmatisch in der Dramaturgie, in den Zeiten, sogar in den Formaten – und gleicht damit einer erratischen, aber nie langweiligen Google-Suche nach dem Protagonisten, bei der man frei nach Lust und Laune von Link zu Link hüpft.
Auch „Teslas“ Charaktere wollen partout nicht in ihrer Ära bleiben: Anne Morgan (1873 bis 1953) googelt am Laptop Tesla und Edison, um die Ergebnisse ihrer Suche zu vergleichen – es gäbe, sagt sie direkt in die Kamera, 64 Millionen Einträge zu Edison und nicht mal die Hälfte zu Tesla (was nicht ganz stimmt: Zu Edison gibt es 76.500000, zu Tesla 46.600000 Ergebnisse. Vermutlich ist der Unterschied mit der Existenz dieses Films zu erklären – womit er es geschafft hat, in seine eigene Realität einzugreifen).
Gegenspieler im Stromkrieg
Als Teslas ehemaliger Kollege und Boss und späterer Gegenspieler generiert sich somit Thomas Alva Edison (Kyle MacLachlan): Der sogenannte Stromkrieg zwischen Edison und dem Teslas Wechselstrom verhafteten Industriellen George Westinghouse (Jim Gaffigan), der erste Formatkrieg nach der industriellen Revolution, wurde schon oft filmisch behandelt. Dass die fast zeitgleiche Veröffentlichung der drei Jahre alten, aber aufgrund des Weinstein-Skandals verschobenen Filmbiografie „Edison – Wege des Lichts“ mit Benedict Cumberbatch somit quasi die Konkurrenz der beiden Tüftler wiedergibt, ist auch wieder so ein ulkiger Zufall der Geschichte.
Und die Filme unterscheiden sich tatsächlich so, wie sich ihre Subjekte unterschieden: „Edison“ ist braves, sauberes Erzählkino, „Tesla“ ein enigmatisch-kunstsinniger Versuchsaufbau, in dem Tesla zu Tears for Fears’ „Everybody wants to rule the world“ Karaoke singt (oder knurrt), Filmkomponist John Paesano ausgesuchte Neue-Musik-Stücke von Wojciech Kilar interpretiert, Sarah Bernhardt auftritt und die unterschiedlichen Stromsysteme am Beispiel elektrischer Stuhl vorgeführt werden.
Das wirkt angenehm verwegen, wenn auch nicht immer sinnig. Aber Spannung hat in diesem Film schließlich multiple Bedeutungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag