piwik no script img

Spielfilm „Ganzer Halber Bruder“Routiniertes Wohlfühlkino

Hanno Olderdissen erzählt von einem Immobilienbetrüger, der spät erfährt, dass er einen Halbbruder mit Down-Syndrom hat. Es mangelt an Überraschungen.

Ganz schön unterschiedlich: „Sunny“ (Nico Randel, r.) und Thomas (Christoph Maria Herbst) Foto: Neue Schönhauser Filmproduktion/Wild Bunch Germany

Neu ist die Geschichte nicht: Ein zynisches, selbstverliebtes Alphamännchen erfährt, dass es einen Bruder hat, nein: einen Bruder mit einer Beeinträchtigung hat. Weil er ihn wegen eines Erbanteils übervorteilen will, nimmt er Kontakt auf zu dem plötzlichen Verwandten. Als er ihn näher kennen lernt, verändert sich das Verhältnis der beiden ungleichen Brüder – und schließlich stellt sich die Frage, wer von den beiden tatsächlich der Mensch mit Behinderung ist.

In Barry Levinsons „Rainman“ (1988) war Tom Cruise der smarte Autoverkäufer, Dustin Hoffmann spielte seinen autistischen älteren Bruder. In „Ganzer Halber Bruder“ nun gibt Christoph Maria Herbst einen gewieften Immobilienbetrüger, Nico Randel dessen Halbbruder mit Down-Syndrom, seine erste Filmrolle überhaupt.

Nun sollte man eine zudem oscarprämierte Hollywoodproduktion nicht mit einem relativ kleinen deutschen Spielfilm vergleichen. Auch nicht mit einem im weiteren Sinne verwandten Komödienhit wie „Ziemlich beste Freunde“ (2012), einer Geschichte um einen Gelähmten und seinen ungewöhnlichen Pfleger. Hier geht es auch erst mal nur um das Drehbuch, und das ist nun mal alles andere als originell.

Und es mindert leider das Vergnügen am Film deutlich, wenn jeder Handlungsschritt vorhersehbar ist und man als Zuschauer immer wieder ziemlich genau weiß, was in den nächsten Filmminuten passieren wird.

Nico Randel, selbst Down-Syndrom-Betroffener, stiehlt allen anderen die Schau

Dabei hat Clemente Ferndandez-Gil das Drehbuch offensichtlich mit Herzblut geschrieben: Der Autor hat selbst einen Sohn mit Down-Syndrom und kann so aus einer Innensicht von Gefühlswelt und alltäglichem Leben seines Protagonisten erzählen. Auf dieser Ebene ist der Film auch gelungen, auch Regisseur Hanno Olderdissen vermeidet naheliegende Klischees und inszeniert zwar eine Komödie, aber ohne die sonst in sogenannt inklusiven Filmen schrecklich gängigen „komischen“ Aussprüche der beeinträchtigten Mitspieler*innen.

Ganz im Sinne des zeitgemäß repräsentativen Kinos – Dustin Hoffmann würde seine „Rain Man“-Rolle heute sicher nicht mehr spielen –, ist auch Nico Randel Down-Syndrom-Betroffener. Drehbuchautor Ferndandez-Gil spricht von einer langen Suche in Theatern, Werkstätten und Kulturinstitutionen, in denen Menschen mit Down-Syndrom aktiv sind. Mit Randel wurde dann ein sehr guter Schauspieler gefunden, der seine Figur nuanciert darstellt.

So stiehlt er allen anderen Dar­stel­le­r*in­nen permanent die Show – nicht mal das Lieblingsschlitzohr des deutschen Kino- und Fernsehpublikums, Christoph Maria Herbst („Stromberg“), hat daneben eine Chance. Er ist aber klug genug gar nicht zu versuchen, ihn zu übertrumpfen, und so schaut man den beiden gerne dabei zu, wie sie sich im Laufe des Films zusammenraufen.

Hanno Olderdissen, Jahrgang 1976, der schon mit dem „Studio Hamburg Nachwuchspreis“ als bester Regisseur ausgezeichnet wurde, hat viel für das Fernsehen gearbeitet, um dann mit Filmen wie „Rock My Heart“, „Wendy 2“ und „Lassie – Eine Abenteuerliche Reise“ sogenannte Familienfilme fürs Kino zu inszenieren. Hier reiht sich auch „Ganzer Halber Bruder“ ein, gedreht unter anderem in Hannover, Springe, Laatzen und Garbsen: Wohlfühlkino mit ein wenig Anspruch, routiniert und ohne filmkünstlerische Ambitionen inszeniert.

Der Film

„Ganzer Halber Bruder“. Regie Hanno Olderdissen, mit Christoph Maria Herbst, Nico Randel, Sesede Terziyan, Tristan Seith u. a., Deutschland 2025, 102 Minuten

Auch die Entscheidung, den Komödianten Herbst zu besetzen, zeugt nicht von Originalität oder gar Wagemut, dazu ist er schon zu sehr oft in ähnlichen Rollen zu sehen gewesen. Man weiß, was von ihm zu erwarten ist – und das bekommt man dann auch. Sein bekannter Name wird an der Kinokasse sowie bei den Quoten bei der absehbaren Fernsehausstrahlung sicher nutzen.

Wäre der Darsteller dieses Bruders mit ähnlicher Sorgfalt ausgesucht worden wie sein Gegenpart, hätte ein viel authentischerer, stimmigerer Film herauskommen können. Aber hier wurde allzu sehr auf Nummer sicher gesetzt. Und so setzt sich der Eindruck durch, dass „Ganzer Halber Bruder“ ein Film ist, der das Herz auf dem rechten Fleck hat – mehr aber auch nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare