Spiel gegen Kolonialismus: „Rassismus lässt sich nicht mit einem Videospiel beenden“
Im Spiel „Relooted“ planen Schwarze Raubzüge in westlichen Museen, um Artefakte zurückzustehlen. Entwickler Ben Myres über digitale Restitution.
taz: In Ihrem Spiel „Relooted“ brechen Spieler*innen in westliche Museen ein, um koloniale Raubgüter zurück nach Afrika zu bringen. Wie gehen Sie das Thema in einem Computerspiel an?
Ben Myres: Was viele Leute nach dem ersten Trailer nicht gesehen haben, ist, dass das Spiel sehr fröhlich ist. Das Thema des Spiels – die Artefakte – ist zwar ernst, aber die Art und Weise, wie die Charaktere in der Welt an die Sache herangehen und darüber sprechen, ist scherzhaft. Wir wollen Schwarze Afrikaner*innen in der Zukunft fröhlich darstellen. Nicht so, wie wir oft Geschichten über Afrika sehen, in denen es um ein armes Kind vor einer Lehmhütte geht – Sie wissen schon: die typisch westlichen Geschichten, die wir über Afrika hören.
taz: Wie läuft das Spiel ab?
Myres: Am Ende des 21. Jahrhunderts wird die Rückgabe kolonialer Artefakte aus westlichen Museen vereinbart, aber nur derer, die öffentlich zu sehen sind. Um einer Rückgabe zu entgehen, bringen Museen deshalb ihre Artefakte hinter verschlossene Türen. Die Spieler*innen nehmen die Rückführung also selbst in die Hand. Dafür müssen sie Einbruchsrouten planen, Rätsel lösen, ihre Crew richtig einsetzen und aus dem Museum wieder entkommen.
32, CEO und Creative Director des Johannesburger Studios Nyamakop. Dessen erstes Spiel „Semblance“ (2018) war das erste in Afrika entwickelte Spiel, das auf einer Nintendo-Konsole veröffentlicht wurde. Mit „Relooted“ entwickelt das Studio das hinsichtlich Budget, Teammitgliedern und Umfang größte Spiel aus Subsahara-Afrika.
taz: Sie orientieren sich dabei am Genre des Heist-Films, bei dem ein gut aufgestelltes Team die halbe Miete ist. Wie sieht das Team in „Relooted“ aus?
Myres: Dafür muss ich kurz über Afrofuturismus und Afrikafuturismus sprechen. Ersteres kennt man durch Marvels „Black Panther“ und die fiktive Stadt Wakanda, aber „Relooted“ ist Afrikafuturismus. Hier werden reale Kulturen, Ethnien, Orte und Menschen in der Zukunft gedacht. Wir stellen uns zum Beispiel vor, wie Johannesburg, wo das Spiel stattfindet, zukünftig aussieht. Hier kommt auch unsere Protagonistin Nomali her, ehemaliger Parkourchampion und inzwischen Sportwissenschaftlerin, die wegen ihres kleinen Bruders in die Geschichte hineingerät und ihre Arbeit in Tansania aufgibt. Da geplünderte Artefakte aber vom ganzen Kontinent stammen, wird das auch im Spiel abgebildet: Wir haben den Akrobaten Ndedi, der aus Kamerun kommt; unser Gadgettyp Fred ist aus Kongo. Später im Spiel treffen wir eine Hackerin aus Kenia sowie „The Muscle from Malawi“, wie wir sie nennen. Der Rest der Charaktere kommt aus verschiedenen Teilen Südafrikas.
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taz: Warum spielt das Spiel am Ende des 21. Jahrhunderts? Ist eine Rücknahme der Raubgüter aus dem Westen heute eher unrealistisch?
Myres: Als ich die Idee 2017 hatte, gab es noch kein Interesse an afrikanisch inspirierten Spielen. Dann kam „Black Panther“ Mitte 2018 heraus, und ich dachte: Ah, das ist der Aspekt, für den sich die Leute begeistern: Afrofuturismus. Dann kam Mohale Mashigo als Spieleautorin ins Team und hat Afrikafuturismus vorgeschlagen. Es war also insgesamt eine datengetriebene Entscheidung. Aber wir haben uns alle auch in die Idee verliebt, sich eine utopische Zukunft in Afrika vorzustellen, weil wir das nicht oft zu sehen bekommen. Außerdem distanziert uns das Setting von möglichen Komplikationen mit Museen und erlaubt uns, die Erzählung des Spiels freier umzusetzen.
taz: Die Spieler*innen werden 70 reale Artefakte zurückholen. Wie sah der Auswahlprozess aus?
Myres: Das Problem war nicht, genug Artefakte zu finden, sondern welche wir auswählen. Wir wollen den Leuten wirklich vermitteln, wie wichtig die Artefakte sind; dass sie wie das Herzstück ganzer Zivilisationen und Kulturen waren. Das war bei der Auswahl der erste Schritt. Zweitens haben wir versucht, Artefakte aus ganz Afrika auszusuchen, denn der Raub ist ein Problem für jedes Land des Kontinents. Zudem wollten wir nicht zu viele Masken nehmen, die man eh häufig in Museen sieht, und stattdessen noch andere beeindruckende Artefakte implementieren: Zum Beispiel die Ngadji-Trommel der Pokomo oder die Maqdala-Krone.
taz: Unter den Artefakten werden auch menschliche Überreste sein, zum Beispiel der Schädel von Mangi Meli, der von deutschen Kolonialisten ermordet wurde.
Myres: Mohale hat die Entscheidung getroffen, das ins Spiel zu bringen. Neben Mangi Melis Schädel werden die Spieler*innen zum Beispiel die Überreste von Prinz Alemayehu zurückholen, die derzeit im British Museum liegen. Es ist eine sehr starke Darstellung des Kolonialismus: menschliche Körper, die immer noch irgendwo in Europa sind. Die Leute haben vielleicht den Eindruck, dass alle Menschen oder Zivilisationen, die an diesen Artefakten beteiligt waren, nicht mehr existieren. Aber das ist nicht wahr. Die direkten Nachfahren dieser Menschen fragen: Hey, kann ich die Überreste meines Ururgroßvaters zurückhaben?, und Europa sagt Nein.
taz: Arbeiten Sie mit Museen zusammen, die selbst Raubgüter in ihren Sammlungen haben?
Myres: Wir sind erst nicht auf die Museen zugegangen, weil wir dachten, dass sie von „Relooted“ nicht begeistert sein würden. Aber wir haben uns geirrt: Mehrere Museen haben sich an uns gewandt und gefragt, ob wir mit ihnen zusammenarbeiten könnten. Einige haben sogar gefragt, ob wir 3D-Scans ihrer Artefakte für das Spiel brauchen, weil sie Wert auf Transparenz legen würden. Wir haben das abgelehnt, weil wir schon genug Modelle hatten, aber es war auf jeden Fall überraschend. Ein Museum, mit dem wir aber gern sprechen möchten, ist das Musée des civilisations noires in Dakar, Senegal. Es ist das einzige echte Museum, das wir im Spiel abbilden wollen. Hier brechen wir am Ende des Spiels ein und bringen alle zurückgeholten Artefakte mit. Das Museum wurde ja gebaut, um der Vorstellung entgegenzuwirken, dass Afrika nicht die Möglichkeiten hätte, die Artefakte selbst aufzubewahren. Jetzt steht das Museum leer, weil man auf die Artefakte aus dem Westen wartet.
taz: Abgesehen von den Museen waren die Reaktionen auf das Spiel sehr unterschiedlich. Ich habe Kommentare gelesen, die genau solche kolonialen oder rassistischen Narrative wiederholen: Afrika sei für die Bewahrung der Artefakte ungeeignet, oder das Stehlen von Artefakten wiederhole Stereotype über Schwarze.
Myres: Ich denke, das ist zum Teil der Kulturkampf. Ich hasse diesen Ausdruck, aber ich sage es trotzdem. Der Kulturkampf findet vor allem im Westen statt. Besonders in der Spielebranche gibt es eine Menge Widerstand gegen Vielfalt und Inklusion. Ich finde es seltsam, dass dieser Kulturkampf einem afrikanischen Studio, das ein Spiel über Afrikaner*innen macht, aufgezwungen wird. Außerdem: Auch bei „Tomb Raider“ oder „Indiana Jones“ wird gestohlen – aber wenn es Schwarze machen, ist es ein Problem? Das kann man nur denken, wenn man dieses Stereotyp glaubt. Dazu wussten wir, dass „Relooted“ am besten in den afrikanischen Diasporacommunitys ankommen wird. Zum Beispiel hat Black Nerd Problems den Trailer auf Instagram gepostet, und allein in diesem Beitrag wurde er über 730.000-mal angesehen. Hier waren die Kommentare positiv.
taz: Das zeigt auch, dass Sie mit „Relooted“ einen Nerv getroffen haben. Ist Ihr Ziel, die Meinungen der Spieler*innen zu diesem Thema zu ändern?
Myres: Leider bin ich nicht gut genug, um Rassismus durch ein Videospiel zu beenden. „Relooted“ liefert zwar alle Antworten auf diese rassistischen und kolonialen Positionen, aber kein Spiel der Welt wird Leute überzeugen, die ihre Meinung nicht ändern wollen. Deshalb ist das auch nicht unser Ziel.
taz: Kann ein Computerspiel überhaupt einen Beitrag zur komplexen Restitutionsdebatte leisten?
Myres: Wir haben das Spiel gemacht, weil wir denken, dass Rückführungen stattfinden sollten. Aber ich bin mir nicht sicher, wie groß unser Einfluss darauf sein kann. Wenn genug Leute das Spiel spielen, werden sie sich vielleicht den Bewegungen anschließen, die um Rückgaben kämpfen. Ehrlich, wenn ein Artefakt als Ergebnis dieses Spiels nach Hause kommt, kann ich glücklich sterben.
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