Spekulationen nach Todesfall in China: Was geschah mit Hu Xinyu?

Der Suizid eines Jugendlichen in China zeigt das Misstrauen der Menschen gegenüber dem Staat. Eine Pressekonferenz zum Fall verfolgen Millionen.

Luftbild eines Schulgeländes

Das Schulgebäude in der Provinz Jiangxi, wo Hu Xinyu am Sonntag tot aufgefunden wurde Foto: VCG/imago

PEKING taz | Seit Wochen beschäftigt die Chinesen keine andere Nachricht stärker als der tragische Tod des 15-jährigen Hu Xinyu. Über 100 Tage war der Jugendliche aus der südlichen Provinz Jiangxi spurlos verschwunden, ehe er am Sonntag nur wenige Meter von seiner Schule entfernt tot aufgefunden wurde. Seither rätselt Chinas Internetgemeinde: Was ist passiert?

Am Donnerstagmorgen rief die Lokalregierung schließlich zur Pressekonferenz. Bemüht, die Debatten der letzten Wochen ein für allemal zu beenden, gab der örtliche Polizeichef Hu Mansong ungewohnt selbstkritische Einblicke in die Arbeit seiner Behörde: Er entschuldigte sich dafür, dass man den vermissten Schüler erst nach über drei Monaten gefunden habe. Doch es stünde fest, dass es sich um einen Suizid handle. Hu Xinyu habe unter psychischen Problemen gelitten und nicht die notwendige Hilfe erhalten.

Allein auf dem Livestream des Staatsfernsehens verfolgten bis zu zehn Millionen User die Pressekonferenz, die – wie praktisch alle öffentlichen Auftritte der Regierung in China – bis zur letzten Silbe durchchoreografiert war.

Der Fall Hu Xinyu hat vor allem deshalb für so viel Aufmerksamkeit gesorgt, weil viele Chinesen eben nicht an die offizielle Version der Geschehnisse glauben. Zu viele Fragen bleiben offen: Wie kann es sein, dass Hus Verschwinden erst nach über 100 Tagen geklärt wird, wo doch allein im Schulgebäude 119 Überwachungskameras installiert sind? Warum wurde er in einem kleinen Waldstück gefunden, das laut Angaben der Polizei bereits viermal zuvor durchsucht wurde? Sogar Tausende freiwillige Helfer hatten sich den Suchaktion angeschlossen, und wurden von Spürhunden, Drohnen und Wärmebildkameras unterstützt.

In hundert Millionen Postings wurde debattiert

Jeden Tag verschwinden in der Volksrepublik – einem Land mit 1,4 Milliarden Menschen – weit über tausend Personen. Doch Hu Xinyus Fall war besonders: Es traf einen Jugendlichen, der eine elitäre und teure Mittelschule besuchte. Und dessen Verschwinden, so sollen es Hu Xinyus Eltern behauptet haben, von der Polizei nur widerwillig aufgearbeitet wurde.

Viele Internetnutzer spekulierten, dass der Schüler möglicherweise Opfer eines illegalen Organraubs wurde. Andere hielten gar einen vertuschten Mord für möglich, manche glaubten an eine Entführung. In mehreren Hundert Millionen Postings wurde der Fall des toten Jugendlichen debattiert, kein anderes Thema erhitzte die Gemüter der Chinesen stärker. Es dauerte nicht lange, bis die Zensoren einschritten.

Wahrscheinlich sind die Theorien der Internetnutzer nichts weiter als Verschwörungen. Die Beweislage scheint eindeutig: Hu Xinyu hatte laut Angaben der Polizei ein Aufnahmegerät bei sich, auf dem er seine suizidalen Gedanken in zwei Sprachnachrichten festgehalten hatte.

Doch das tragische Schicksal des verstorbenen Jugendlichen zeigt auf, welch ein tiefes Misstrauen viele Chinesen gegen die staatlichen Autoritäten hegen. Zu viele Skandale und Vertuschungsaktionen gab es in den letzten Jahren, insbesondere auf Kommunalebene.

Und nicht zuletzt trägt der Zensurapparat zur Paranoia bei: Täglich werden bei sensiblen Themen Tausende Kommentare und Berichte gelöscht, die nicht dem Regierungsnarrativ entsprechen – wobei die Wahrheit an sich dabei keine Rolle spielt. Die Partei hat ein Vertrauensproblem, das sie sich selbst zuschreiben muss. Denn wer ein ums andere Mal lügt, dem glaubt man selbst dann nicht, wenn er die Wahrheit sagt.

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