Spekulation: Kreativquartier mit Beigeschmack
In der Kreuzberger Enckestraße werden Mieter rabiat zum Auszug gezwungen.
Der Blick vom Balkon geht aufs Jüdische Museum, um die Ecke soll der taz-Neubau entstehen. Für die MieterInnen in der Enckestraße 4/4a hat das Wort „Kreativquartier“, mit dem für das Gebiet am südlichen Ende der Friedrichstraße geworben wird, einen unangenehmen Beigeschmack: Sie werden seit Jahren zum Auszug gedrängt, teils mit schikanösen Methoden. Von den ehemals 23 Parteien im Vorder- und Hinterhaus sind noch sieben übrig. Für sie wird das Leben immer ungemütlicher.
Bertold Hauff steht dort, wo einst der Gartenhof zwischen den Gebäuden war. Hauff ist einer der sieben Verbliebenen, er schaut sich resigniert um: Aus dem grünen Hof ist eine Bauschuttwüste geworden, Eisenteile ragen aus dem Boden. Im Mai wurde der Hof gerodet, offiziell wegen Rattenbefalls. Zur gleichen Zeit begann der Eigentümer „Bel Invest“, die MieterInnen unter Druck zu setzen. 20.000 Euro wurden für einen Auszug geboten, drei Personen nahmen an. Der Rest will bleiben, „obwohl wir nicht wissen, wie lange das noch auszuhalten ist“, sagt Hauff.
Denn die Rodung des Hofs ist laut MieterInnen nur ein Teil der Entmietungsversuche: In unzähligen Briefen und Gesprächen sei ihnen nahegelegt worden, ihre Wohnungen zu verlassen. Mängel werden schon seit Jahren nicht mehr behoben, das Haus ist bereits sichtbar verfallen. Angelo Valtchev, ebenfalls Mieter und im Haus aufgewachsen, berichtet von Abrissaktionen in den leer stehenden Wohnungen durch Beauftragte von Bel Invest. Anfang des Monats habe man dann für 12 Tage das Wasser abgestellt, auf Beschwerden wurde nicht reagiert. Zwar gibt es einen Hausmeister – der sei aber „mit der Beaufsichtigung der Entmietungsaktionen“ beschäftigt.
Als das Wasser wieder lief, dann die nächste Schikane: In einer leer stehenden Wohnung schoss das Wasser aus der Wand, in drei darunterliegenden Wohnungen entstanden erhebliche Wasserschäden. Die Mieter riefen die Feuerwehr. Die Handwerker, die Bel Invest Tage später vorbeischickte, konnten keine Ursache für den Schaden finden – die MieterInnen sind sich sicher, dass die Leitungen manipuliert worden waren.
Das Haus gehört zu denen, die der Senat in den 1990er Jahren an die damals noch öffentliche Wohnungsbaugesellschaft GSW verkaufte. Die verkaufte es 2007 an Bel Invest, die wiederum offenbar momentan mit der Firma „Münchner Grund“ über einen Verkauf verhandelt. Bedingung: Das Objekt muss dann leer stehen. MALENE GÜRGEN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Umwälzungen in Syrien
Aufstieg und Fall der Familie Assad
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“