Spekulation in Hamburg: Wette auf den Verfall
Am Rand von St. Pauli ist von einem ehemaligen Zirkusbau nur noch ein Stahlskelett übrig. Das steht unter Denkmalschutz – wenn es stehen bleibt.
Es genügt, nur wenige Minuten stehen zu bleiben vor dem Zaun, der das Gelände absperrt, um Kommentare zu dem traurigen Anblick einzusammeln. Ein Fahrradfahrer sagt zu seiner Begleiterin, als sie vorbeifahren: „Da ist ist ja nichts mehr übrig.“
Ein Mann mit Rucksack kommt von der Polizeiwache nebenan, er fragt: „Entschuldigen Sie, was ist denn das?“ Und als er die Geschichte hört: „Man sollte Profit verbieten“, und er fängt an, eigene Gedichte aufzusagen, die davon handeln, was alles schiefläuft in dieser Stadt.
Jahrelang stand die Schillleroper, ein ehemaliger Zirkusbau am Rande von St. Pauli, auf ihrem Platz zwischen drei Straßen und verrottete. Die Eigentümer wechselten und mit ihnen die Pläne für die Zukunft des Geländes, doch es geschah nie etwas. Besonders der runde Kuppelbau in der Mitte, der per Gerichtsurteil denkmalgeschützt ist, war zunehmend einsturzgefährdet, das Betreten verboten.
Das zuständige Bezirksamt Mitte stellte Ultimaten zur Rettung des Denkmals, die alle verstrichen, bis plötzlich diesen Sommer doch etwas geschah: Bagger rückten an und rissen alles ab, was sie abreißen konnten. Dadurch, so hieß es, würden die Stahlträger des Kuppelbaus entlastet, denn sie seien es eigentlich, die unter Denkmalschutz stünden.
Die Situation
Wer jetzt vorbeikommt, sieht eine Fläche, auf der sich Schuttberge häufen, vom Rundbau in der Mitte steht nur noch ein Skelett. Wände mit alten Kacheln ragen in den Raum, Spuren gelebten Lebens. Fenster und Türen sind herausgeschlagen, die Böden fehlen, Treppen führen ins Nichts.
Die denkmalgeschützten Stahlträger sind teils verrostet, oben drauf die kleine Kuppel existiert noch, mitsamt Fenstern und Kupferdach, doch sie thront über einer Leere, in deren Mitte ein halb aufgebautes Baugerüst steht, wozu auch immer.
Es kursieren Pläne der Eigentümergesellschaft, was man mit diesem Grundstück in bester Lage anstellen könnte, ein „Stararchitekt“ hat sie gemacht. Hinter Backsteinfassaden könnten sich Büros und Läden um einen runden Innenhof verteilen, in dem kein Stahlskelett mehr stören würde, daneben würden Wohntürme emporragen, zehn Stockwerke hoch, viel höher als die Nachbarschaft.
Wenn nur der Denkmalschutz nicht wäre. Es heißt, das Denkmalamt habe die Abrissarbeiten beaufsichtigt, damit nicht mehr abgerissen würde als erlaubt. Rein juristisch wäre sogar die Enteignung möglich gewesen, aber so etwas tut man in Hamburg nicht. In Hamburg geht das Bezirksamt auf den Investor zu und findet die Pläne des Stararchitekten gut.
Der Zirkus
Als die 1891 eröffnete Schilleroper noch ein Zirkus war, sollen 3.000 Zuschauer hineingepasst haben, es war ein Ort, gebaut zum Vergnügen der Arbeiterklasse. Nach dem Zirkus kam ein zwielichtiges Theater, dann eine Oper fürs Volk, dann war ein Kriegsgefangenenlager darin untergebracht, die Namen der Kriegsgefangenen stehen auf einem Transparent am Zaun neben einem Glas mit Blumen. Später war ein Restaurant drin und Unterkünfte für Geflüchtete. Am Ende diente die Schilleroper als Club.
Das Spiel
Jetzt ist sie Spekulationsobjekt, wird gekauft und weiterverkauft. Es ist ein Spiel auf Zeit: Wem die Schilleroper gehört, wenn das Stahlgerüst irgendwann zusammenbricht, hat gewonnen, der kann bauen, wie er will. Aber bis es so weit ist, bringt seine Investition nichts ein. Sie ist eine Wette auf die Zukunft.
In der Zwischenzeit frisst sich der Rost voran, manche der Stahlträger sehen aus, als seien sie schon gebrochen. Ein bärtiger Mann hält sein Fahrrad an, er erzählt, dass er vor zwei Jahren noch auf dem Gelände war und Fotos gemacht hat. Sollte man es besetzen? „Ach“, sagt er, „dazu ist es jetzt zu kalt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste