Speicherung von IP-Adressen: Koalition gegen Kinderporno-Rufmord
SPD- und CDU-Abgeordnete wollen Internetsperren nicht mit Strafverfolgung von konkreten Surfern verbinden. Ein Rechtsexperte hatte vor "falschen Ermittlungen" gewarnt.
FREIBURG taz | In die Diskussion um Internetsperren kommt Bewegung. Die SPD-Fraktion fordert, dass die Sperren nicht zur Strafverfolgung benutzt werden sollen. Die CDU hat bereits Einverständnis signalisiert: Die entsprechende Regelung sei ohnehin nur auf Wunsch von SPD-Justizministerin Brigitte Zypries aufgenommen worden, betonte die Union.
Ein umstrittener Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, dass Internetfirmen künftig den Zugang zu kinderpornografischen Seiten sperren oder zumindest erschweren müssen. Das Bundeskriminalamt soll täglich eine Liste der zu sperrenden Seiten zusammenstellen. Wer als Internetsurfer versucht, eine gesperrte Seite aufzurufen, wird zu einer erläuternden Stoppseite weitergeleitet. Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte immer betont, dass es nur um Prävention gehe, Daten würden keine gespeichert.
Das fand aber Justizministerin Zypries inkonsequent; schließlich sei schon der Versuch, sich den Besitz von Kinderpornomaterial zu verschaffen, strafbar. Im Gesetzentwurf heißt es deshalb, die Internetfirmen dürften die IP-Adressen der Nutzer speichern, die sie an die Stoppseite weiterleiten. Auf Anforderung dürfen diese Daten an Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden. Anhand der IP-Adressen könnte die Polizei dann auch die jeweiligen Computerbesitzer herausfinden.
Doch gegen diese Protokollierung der Nutzerdaten bestehen "gravierende verfassungsrechtliche Bedenken", so Ulrich Sieber vom Freiburger Max-Planck-Institut für Strafrecht. Der Versuch, eine gesperrte Seite aufzurufen, erzeuge nur einen "geringen Verdacht" auf Begehung einer Straftat, denn der Nutzer wisse ja noch gar nicht, was ihn konkret auf der Seite erwarte. Er könnte auch an einem mitgesperrten legalen Pornoangebot der Seite interessiert sein. Zudem sei es leicht, Surfer mit falsch deklarierten Links auf gesperrte Seiten zu locken. "Falsche Ermittlungen und Rufmorde" seien vorprogrammiert, warnte Rechtsprofessor Sieber letzte Woche bei einer Anhörung im Bundestag.
Auch die Polizei ist an den Daten nicht interessiert. "Wenn die Landespolizeien jeden Monat 100.000 IP-Adressen erhalten, um zu prüfen, ob hier wirklich eine Straftat geplant war, dann können wir unsere sonstige Arbeit einstellen", sagte Klaus Jansen, der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Die SPD-Fraktion hat nun regiert. "Daten, die bei der Sperrung und der einzurichtenden Stoppseite anfallen, sollen nicht zum Zwecke der Strafverfolgung genutzt werden dürfen", fordert SPD-Verhandlungsführer Martin Dörmann. Auf CDU-Seite plädiert die zuständige Abgeordnete Martina Krogmann für die "komplette Streichung" dieser Regelung. Justizministerin Zypries wollte auf taz-Anfrage nicht Stellung nehmen.
Der Gesetzentwurf soll Mitte Juni im Bundestag beschlossen werden. Die SPD macht ihre Zustimmung auch von der Einführung einer Subsidiaritätsklausel abhängig. Eine Kinderpornoseite soll in Deutschland nur gesperrt werden, wenn der ausländische Internetbetreiber, bei dem die Seite geführt wird, nicht reagiert.
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