Spaziergang mit Fotograf Akinbiyi: Das Gefühl für den richtigen Moment
„Welcome to Africa“ mitten in Berlin: Der Fotograf Akinbode Akinbiyi über das Afrikanische Viertel, Friedrichshain und den Gropius-Bau.
S amstag, 11 Uhr in Berlin: An der Station Afrikanische Straße steigt Akinbode Akinbiyi aus der U6 Richtung Alt-Tegel. Den U-Bahnhof säumen Fotografien, die thematisch den Namen der Station widerspiegeln sollen. Löwen in einer namenlosen Savanne, ein Nilpferd im Wasser, Büffel und Elefanten, eine Giraffe vor dem Kilimandscharo. Akinbiyi, der als Fotograf selbst für seine klaren Momentaufnahmen bekannt ist, schüttelt den Kopf: „Wenigstens Menschen hätte man fotografieren können.“
Stattdessen habe man sich beim Design des Bahnhofs für diese romantisierte Darstellung entschieden, die viel mehr über den hiesigen Blickwinkel verrät als über einen gesamten Kontinent. Der U-Bahnhof Afrikanische Straße scheint aber nur eine von vielen Absurditäten, die diesen Teil des Bezirks Wedding ausmachen und die es bei einem Stadtspaziergang mit Akinbode zu erkunden gilt.
„Welcome to Africa“, sagt Akinbiyi oben angekommen und macht eine ausladende Armbewegung. Zu sehen sind gräulich-beige Siedlungsbauten aus den 1920ern und 30ern, deren Realisierung einmal für modernen und sozialdemokratischen Wohnungsbau stand. Sie gehören heute genauso zum „Afrikanischen Viertel“ in Berlin, wie die kolonialgeschichtlich geprägten Straßennamen.
Hagenbeck wollte Tierpark mit Völkerschau
„Vor dem Ersten Weltkrieg sollte hier ein Zoo entstehen, mit Menschen und Tieren aus den deutschen Kolonien in Afrika“, sagt Akinbiyi. Carl Hagenbeck plante damals einen Tierpark inklusive Völkerschau im Berliner Volkspark Rehberge, wodurch das Viertel zu seinen vielen afrikanischen Straßennamen kam.
Seit dreißig Jahren kommt der britisch-nigerianische Fotograf immer wieder hierher und dokumentiert die Veränderungen mit seiner Kamera. „Es ist hier inzwischen viel bunter geworden“, sagt er. Gentrifizierung und Globalisierung haben auch vor diesem Viertel im Wedding nicht haltgemacht.
Akinbiyis großes Talent ist es, auf seinen Wanderungen durch die Metropolen dieser Welt das Besondere aus dem scheinbar Banalen herauszufiltern und in wunderbare Momentaufnahmen zu bannen: „Für mich ist jede Stadt, durch die ich wandere, wie eine eigene Person – jede hat ihre ganz eigene Dynamik.“
Akinbiyis Bilder zeigen Straßenecken, Kaugummiautomaten, Alltägliches, das häufig nebenbei Spuren der deutschen Kolonialgeschichte offenbart. Eine Auswahl seiner Arbeiten ist aktuell in der großen Einzelausstellung „Six Songs, Swirling Gracefully in the Taut Air“ im Berliner Gropius-Bau zu sehen. Neben Fotografien aus der Reihe „African Quarter“ umfasst die Ausstellung Bilder der Serie „Lagos: All Roads“, in der Akinbiyi Eindrücke aus Nigerias Hauptstadt Lagos seit den achtziger Jahren bis heute gesammelt hat.
Oxford – Nigeria – Deutschland
Geboren wurde Akinbode Akinbiyi 1946 in Oxford, wo seine Eltern die Universität besuchten. Als er vier Jahre alt war, kehrte die Familie nach Nigeria zurück – dort studierte Akinbiyi später Literaturwissenschaften und Anglistik. Sein Studium war es auch, das ihn Anfang der 1970er nach Deutschland führte. „Ich wollte eigentlich Schriftsteller werden – ein Intellektueller“, erzählt er.
In Heidelberg erstand der Autodidakt dann aber seine erste Kleinbildkamera, eine Olympus OM 1. Es sei das erste Mal gewesen, dass er für einen einzelnen Gegenstand derart viel Geld ausgegeben habe. Die Investition hat sich gelohnt; heute ist Akinbode Akinbiyi ein international anerkannter Fotograf. 2016 wurde er mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet, 2017 zur Documenta 14 eingeladen.
Wie Schreiben mit Licht
„Fotografieren ist im Grunde wie Schreiben, nur mit Licht“, sagt er, während er ein Foto von einem auf den ersten Blick unscheinbar wirkenden Hinterhof macht. Es bedürfe einer ähnlichen Ruhe und eines Gefühls für den richtigen Moment. Während er das sagt, lichtet sich die graue Wolkendecke und einige Sonnenstrahlen erleuchten den Hinterhof, reflektiert von den Glasfronten der Wintergärten der Friedrich-Ebert-Siedlung.
Ein lautes Klicken geht von der Rolleicord aus, die Akinbiyi mittlerweile ausschließlich zum Fotografieren nutzt. Immer analog, immer schwarz-weiß – „das sind meine Farben“, antwortet er auf die Frage nach dem Warum.
Am Nachtigalplatz hält er an und sagt: „Das Konzept des sogenannten African Quarters ist äußerst heikel – in den Kolonien waren dies die sogenannten Bereiche, in denen die Einheimischen leben sollten.“ Dass in diesem Viertel im Vergleich zu anderen in Berlin überdurchschnittlich viele Menschen mit einem Bezug zu Subsahara-Afrika wohnen würden, sei aber ein Trugschluss.
Straßenumbenennungen
Einige Straßennamen sind seit geraumer Zeit Gegenstand öffentlicher Diskussionen. Gefordert wird etwa eine Umbenennung des Nachtigalplatzes, der Petersallee und der Lüderitzstraße. Namensgebend sind hier drei Männer, die im Zusammenhang mit Kolonialverbrechen zu sehen sind. Sie sollen in Manga-Bell-Platz, Maji-Maji-, Anna-Mugunda-Allee sowie Cornelius-Frederiks-Straße umbenannt werden. Doch die Verwaltungsmühlen mahlen langsam, noch hängen die alten Straßenschilder.
Akinbode Akinbiyi
An der Ecke Lüderitz-/Kongostraße steht ein Mann mit seinem Sohn – auch ihn scheint das Thema zu bewegen, zumindest fotografiert er die Schilder. Akinbiyi grüßt ihn, wie er es im Laufe des Tages bei einigen Vorbeikommenden macht. Warum? Aus alter Gewohnheit, sagt er. Als er Anfang der 1990er nach Berlin kam, lebten noch nicht so viele Schwarze Menschen hier – da galt das als eine Art Solidaritätsbekundung. „Heute wird das seltener, was schade ist. Ich finde es eher komisch, dass man sich nicht grüßt, wenn man aneinander vorbeigeht, unabhängig der Herkunft.“
Vom Westbezirk Wedding aus geht es nach Friedrichshain, in den alten Ostteil der Stadt – erst mit der U6, dann überirdisch weiter mit der U1. In der Bahn drängen sich die Menschen – ab dem Kottbusser Tor wird es immer voller. Akinbiyi stört sich nicht daran und strahlt eine stete Ruhe aus: „Ich liebe die Lebendigkeit in großen Städten.“
Groteske Szene mit Junkie
Welche Grenzen setzt er sich selber beim Fotografieren? Unlängst habe er in Kreuzberg am Bahnsteig einen Menschen gesehen, der sich gerade einen Schuss setzte. Ganz konzentriert, direkt ihm gegenüber. Mit heruntergelassener Hose habe die Person dagesessen, neben ihm wartende Passagiere. Eine groteske Szene. Kurz habe er überlegt seine Kamera zu zücken, es dann aber gelassen.
Er sei Beobachter, auch Kritiker, aber kein Voyeur. Auch wenn sie dennoch manchmal verstören. Wie ein Bild aktuell im Gropius-Bau: Es zeigt Mädchen, die auf einer staubigen Straße entlanglaufen, neben ihnen liegt ein Mann am Wegesrand. „Es war der erste Tote, den ich so gesehen habe“, schildert Akinbiyi.
Das Foto ist 1982 in Lagos, im Stadtteil Ikoyi, entstanden. „Wenn damals eine Leiche im öffentlichen Raum auftauchte“, sagt er, „konnte es tagelang dauern, bis sie weggeschafft wurde.“ Heute würde er so ein Foto nicht mehr ohne Weiteres machen.
An der Endhaltestelle Warschauer Straße strömen alle aus der U-Bahn hinaus. Die Gegend ist heute ein Hotspot Berlins. Das war vor dreißig Jahren noch anders. Der Wandel, den der Bezirk seit der Wende gemacht habe, fasziniere ihn, sagt Akinbiyi. Er hat hier viel fotografiert. Vor der East Side Mall bleibt er stehen, fast scheint es, als wolle er gerne das Einkaufszentrum betreten. „Ich suche eine ganz bestimmte Erdnussbutter, die ist aber gerade überall ausverkauft.“ Wegen Corona?
Er esse seit Langem immer dasselbe zum Frühstück: Knäckebrot mit gesalzenem Erdnussmus. Sich auf das Wesentliche zu konzentrieren ist etwas, das er mit den Jahren als Fotograf gelernt habe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!