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Sparschwein gesucht

Doch es findet sich keines mehr. Nach den Kürzungsbeschlüssen des Senats stehen freie Kitas vor dem Dilemma: Weniger Angebot oder mehr Kinder. Der pädagogische Anspruch ist in jedem Fall in Gefahr

von CHRISTIAN FÜLLER

Er gehört zu den besten Mietadressen Berlins. Wer in „Riemers Hofgarten“ in Kreuzberg einziehen will, muss sich mit Foto bewerben und sollte 1.000 Euro Miete aufwärts einkalkulieren – Wohnpreise wie in München oder Stuttgart. Zum Hofgarten gehört ein eigener Schülerladen, in dem berufstätige Eltern ihre Kinder auch nachmittags betreuen lassen können. Er nennt sich „Trotz und Träume“ und ist ab Januar in Gefahr – trotz der betuchten Nachbarschaft.

„Wir wissen noch gar nicht, wie wir die Kita-Kürzungen des Senats auffangen sollen“, berichtet Wolfgang von Reiche. Der Rechtsanwalt ist Vorsitzender des Fördervereins von „Trotz und Träume“. Die Eltern werden tiefer in die Tasche greifen müssen, sagt von Reiche. „Und zusätzlich werden wir die Stundenzahlen unserer Erzieherinnen um ein Drittel kürzen müssen.“ Der Vorsitzende weiß, dass das im Grunde nicht geht. „Es ist jetzt schon nicht zu verantworten, dass Erzieherinnen so schlecht bezahlt sind“, sagt er. Das ging immer schon zu Lasten der Pädagogik. Mit der De-facto-Absenkung des Gehalts stellt sich nun aber eine ganz andere Frage: Wer kann sich den Job als Kindergartenpädagogin überhaupt noch leisten – wenn er bald nur noch in Teilzeit möglich ist? Wie „Trotz und Träume“ stehen viele der Berliner Schüler- und Kinderläden in einem schwierigen Konflikt: Heben sie die Elternbeiträge an, kündigen die Eltern; streichen sie Betreuungsstunden, schmeißen die Erzieherinnen hin.

Eine scheinbar belanglose Einsparung, das Übertragen des so genannten Betreuungsschlüssels für Horte im Osten auf den Westen der Stadt, bringt die pädagogisch oft so besonders wertvollen Schülerläden in Bedrängnis. Als Eigeninitiativen antiautoritärer Erziehung in den 70er- und 80er-Jahren entstanden, haben sie stets auf Klasse statt auf Masse gesetzt. Das kann ihnen nun zum Verhängnis werden: Konnten sie bislang mit 16 Kindern eine volle ErzieherInnen-Stelle beanspruchen, brauchen die Läden dafür nun 22 Kinder.

„Keine Frage, es wird ein Sterben von Schülerläden und Horten geben“, sagt Jeannette Martins voraus. Sie war mal grüne Abgeordnete im Berlin, heute arbeitet sie bei Pfefferwerk, dem Träger zweier Kitas. Eine von beiden, die Regebogen-Kita in der Fehrbelliner Straße in Mitte, wird ihren Hort bald schließen – „weil es sich nach den Kürzungen des Senats nicht mehr rechnet“. 95 Kinder sind beim Regenbogen, 20 davon im Hort.

1996, als der Regenbogen die erste aus staatlicher Obhut in privates Engagement übernommene Kita in Mitte war, wurde sie vom Senat ermuntert, den Hort zu gründen. Jetzt geht es wieder anders herum. Denn auch hier sorgt die beschlossene Kürzung des Senats – die Anpassen des Hortschlüssels für Kindergärten an die Schulen – für rote Zahlen. Gegenmaßnahmen sind schwer möglich. „Wir können wegen unserer räumlichen Enge nicht einfach mehr Kinder aufnehmen“, sagt Jeannette Martins, „und wir wollen es auch gar nicht.“ Sonst leide die Qualität.

Dabei ist der Regenbogen eine gesuchte Einrichtung: Mehrfach hat die Kita den Umweltpreis des Bezirks Mitte gewonnen. Es gibt ein Biotop, zeitweise kultivierten die Kinder ein kleines Getreidefeld. Die Warteliste ist lang.

Mit der Schließung seines Horts ist die Kita allerdings noch nicht über den Berg. Sie muss noch eine zweite subtile, aber sehr wirksame Kürzungsmethode verkraften. Gab es bisher bei 100 Kindern eine volle Stelle für die Kita-Leitung, braucht eine Einrichtung künftig dafür 162 Kinder. „Man kann Leitungsaufgaben nicht einfach bleiben lassen“, sagt Martins, „eine Leiterin ist der Motor einer Kita.“ Sie prägt den Stil des Kindergartens, sie motiviert die Erzieherinnen, sie bindet die Eltern ein.

Regenbogen ist kein Einzelfall. Egal in welchen Stadtteil man geht, egal welche Form von Kindereinrichtung man besucht, es ist überall das Gleiche: ErzieherInnen und Eltern überlegen fieberhaft, wie man die pädagogische Qualität der Kitas retten kann. Martin Hoyer, Kitareferent des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der hunderte von Kindergärten freier Träger betreut, kann nur mit dem Kopf schütteln. Im Jahr von Pisa und „Bärenstark“, zwei Untersuchungen, die eindrucksvoll die Schwäche der deutschen und der Berliner Kleinkindpädagogik aufdeckten, fällt dem Senat nichts Besseres ein, als an der Qualität der Kinderbetreuung zu kürzen.

„Es gibt keine generelle Linie, wie die Einrichtungen die Kürzungen ausgleichen“, berichtet Hoyer. Die kleinen Kitas reduzieren ihr Angebot und beteiligen die Eltern mit zusätzlichen Kosten. Die großen Kindergärten versuchen einfach mehr Kinder aufzunehmen – um so den Personalstand zu halten. Aber eines, so Hoyer, ist allen gleich: Sie verschlechtert die Lernbedingungen der Kinder. „Was ist das für ein Land“, fragt der Vorsitzende von „Trotz und Träume“, Wolfgang von Reiche, „in dem die Regierung die Zuschüsse für ihrer Kleinkindeinrichtungen kürzt – ohne darauf zu achten, was das für die pädagogische Arbeit bedeutet?“

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