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Sparpläne in BerlinGlamour vor dem echten Leben

Timm Kühn
Kommentar von Timm Kühn

Schwarz-Rot agiert im Sparchaos dilettantisch. Doch durch die Planlosigkeit schimmert eine größenwahnsinnige Big-City-Ideologie durch.

Nicht wenige wünschen sich bei den Protesten gegen die Kürzungen linke Politik zurück Foto: Florian Boillot

A ngesichts des Chaos, das der nun seit fast einem Monat andauernde Sparkrimi in Berlin ausgelöst hat, könnte man bei den schwarzen und roten Konservativen in Abgeordnetenhaus und im Senat fast schon einen Fetisch für Austeritätspolitik vermuten. Man könnte mutmaßen, dass es ihnen Spaß macht, die ganzen sozialen Initiativen und Künst­le­r:in­nen zappeln zu lassen – um dann gönnerhaft zu verkünden: Es kommt alles gar nicht ganz so schlimm. Letzteres haben die Haushälter von CDU und SPD am Freitag getan, als sie die Sparliste überarbeitet und einige Kürzungsvorhaben umgeschichtet haben.

Angesichts dessen, dass Kürzungen ein politisches Verliererthema sind und auch ein Kai Wegner (CDU) gegen die Schuldenbremse ist, gibt es jedoch eine glaubwürdigere, alternative Erklärung: Schwarz-Rot weiß schlicht nicht, was es tut. Für die Big-City-Megalomanen bei CDU und SPD zählen nur die Leuchtturmprojekte, wo Sektempfänge und Blitzlichtgewitter warten. Zu den tatsächlichen wichtigen Projekten und Menschen aber, die in dieser Stadt jeden Tag aufs Neue den erodierenden sozialen Zusammenhalt notdürftig flicken und die Subkulturen dieser Metropole mit Leben füllen, hat insbesondere die CDU einfach keinen Draht.

Dieser Dilettantismus löst eine Dynamik aus, in der sich letztlich die Stärkeren durchsetzen. So gab es zwar auch Solidarität unter den Kürzungsbetroffenen: Allein am vergangenen Mittwoch protestierten 5.000 Menschen vor dem Abgeordnetenhaus. Bei all den Notrufen schwang aber immer auch der hässliche Wettkampf mit, die eigene Bedeutung groß genug herauszustellen, um wenigstens sich selbst vielleicht doch noch zu retten. Und so wurden eben vor allem diejenigen nun nicht ganz so brutal weggekürzt, die über gute Kontakte zu Politik und Medien verfügen.

Die alte Elitenideologie

In der Kultur bedeutet das beispielsweise, dass mal wieder vor allem die großen Häuser zählen: die „Hochkultur“ eben. Wie sehr die nichtkommerziellen und alternativen Einrichtungen sowie die freien Kunstschaffenden seit dem Weggang von Ex-Kultursenator Klaus Lederer (damals Linke) ohne Alliierte in der Politik dastehen, dürfte sich jedenfalls spätestens jetzt auch für die Letzten offenbart haben: Beim Deutschem Theater, der Schaubühne oder dem Berliner Ensemble wird weniger gestrichen, dafür muss fast die gesamte Förderung für den Ausbau von Ateliers und Arbeitsräumen für freie Künst­le­r:in­nen dran glauben.

Es ist eine Politik der sozialen Kälte, die den Bezug zur Realität verloren hat

Kultursenator Joe Chialo (CDU) hatte am Sonntag sogar noch die Frechheit, die Verantwortung für das Auffangen der Folgen den großen Häusern aufzubürden. Der RBB-„Abendschau“ sagte er, die großen Häuser hätten nun die „Verpflichtung“, auch „die vulnerable freie Szene in ihrem Programm aufzugreifen“ und für Berlin so eine „tragfähige Kulturvielfalt zu schaffen“ – als seien es nicht seine eigenen Frak­ti­ons­kol­le­g:in­nen gewesen, die die freie Kultur dem Spardiktat geopfert haben. Zu Recht stellte Thomas Ostermeier von der Schaubühne im gleichen Beitrag klar, dass die Kürzungen bei den freien Trägern „skandalös“ sind.

Und so kristallisiert sich durch die ganze Planlosigkeit eben doch wieder die schwarz-rote Elitenideologie heraus: wenn auch eher indirekt, weniger in Form eines strategischen Kürzungsprojekts als durch ein bestimmtes Denken, auf wen gehört wird und auf wen nicht, woran gedacht wird und woran nicht.

NFL oder Jugendarbeit?

So darf sich Berlin Berichten zufolge darüber freuen, in der kommenden Saison ein Spiel der US-amerikanischen Football-Liga NFL auszurichten. Hurra! Die Welt zu Gast in Berlin! Für solche internationalen Sportereignisse lässt man natürlich problemlos 12,5 Millionen Euro springen – während man darüber feilscht, ob die Stadt nun eher bei Straßenbeleuchtung oder bei Kinderspielplätzen sparen sollte. Angesichts solcher Eskapaden muss man es so deutlich sagen: Eliteprojekte sind den Spitzen von SPD und CDU offensichtlich wichtiger als das tatsächliche Leben der Berliner:innen. So sieht eine Politik der sozialen Kälte aus, die den Bezug zur Realität verloren hat.

Und auch an anderen Stellen schimmert die konservative Ideologie durch. Ein Klassiker sind die Parkgebühren: Ein Parkausweis für Anwohnende kostet in Berlin pro Jahr läppische 10,20 Euro, in Hamburg dagegen 65 Euro, in Münster sogar 260 Euro. Aber kommt irgendjemand in dieser autofanatischen Koalition auf die Idee, diese Subvention für fossile Fortbewegung zu streichen? Natürlich nicht. Derweil werden bei der freien Jugendarbeit trotz korrigierter Sparliste drei Millionen Euro gestrichen und der Preis für das BVG-Sozialticket für arme Ber­li­ne­r:in­nen von 9 auf 19 Euro erhöht.

Wer weiß: Vielleicht freut sich ja irgendwo eine Franziska Giffey (SPD) in einer einsamen Wohnung bei einem Glas Sekt darüber, dass sie 2023 eine weitere rot-grün-rote Koalition verhindert hat. Selten hat die Abwesenheit linker Politik der Stadt und ihren Be­woh­ne­r:in­nen so wehgetan.

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Timm Kühn
Redakteur
Schreibt seit 2020 für die taz über soziale Bewegungen, Arbeitskämpfe, Kapitalismus und mehr.
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5 Kommentare

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  • "Nicht wenige wünschen sich bei den Protesten gegen die Kürzungen linke Politik zurück (...) Allein am vergangenen Mittwoch protestierten 5.000 Menschen vor dem Abgeordnetenhaus"



    5.000 Menschen von 3.800.000 Einwohnern sind 0,13%.



    Und eine Umfrage zur Wählerpräferenz ergab unlängst im Vergleich zum Wahlergebnis:



    CDU -1,2%, AfD +5,9%, BSW +7,0%



    demgegenüber



    Grüne +1,6%, SPD -6,4%, Linke -6,2%



    Ich weiß nicht wie man aus diesen Zahlen ableiten will, dass Berlin sich nach R2G zurücksehnt - das Gegenteil ist der Fall, auch die Hauptstadtwähler folgen dem bundesweiten Trend und rücken kontinuierlich nach rechts.



    dawum.de/Berlin/#V...h_mit_Wahlergebnis

  • Arm aber boring.

  • Ob diese „alternative Erklärung“ Hoffnung macht? Wohl eher nicht. Sie mag zwar glaubwürdig sein, aber sie ist keine alternative Erklärung. Sie ist nur ein Teil eines Ganzen. Denn eine Sache ist es, wenn Menschen nicht wissen was sie tun. Etwas ganz anderes ist es aber, wenn sie es gar nicht wissen wollen.

    Wer nicht wissen will, der lernt auch nicht. Nicht mal aus Fehlern. Angenommen also, ein Mensch hätte „Spaß“ daran seine Macht zu missbrauchen (z.B. indem er andere „zappeln […] l[ä]ss[t] – um dann gönnerhaft zu verkünden: Es kommt alles gar nicht ganz so schlimm“) - will er dann tatsächlich wissen, wie es den anderen damit geht? Nein. Denn wenn er es wüsste, würde ihm das womöglich den Spaß verderben. Er müsste sich dann nämlich selbst korrigieren um sich selbst wieder zu mögen - und ohne Angst in die Zukunft sehen zu können.

    Nun ja. Manchen Leuten ist der aktuelle Spaß wichtiger als jede Zukunft und jegliche Selbstachtung. Danke, Schwarze Pädagogik! Du sorgst dafür, dass Demokratien immer wieder an sich selber scheitern. Einfach dadurch, dass du uns Elite-Ideen einimpfst und uns Gewalt als Heilmittel verkaufst. Der Profit heiligt die Mittel, nicht wahr? Na, also dann zu…!

  • Was Kunst betrifft, ist die Frage ja nicht ganz einfach. Inwieweit muss Kunst sich selber tragen vielleicht sogar wirtschaftlich sein und inwieweit muss Kunst subventioniert werden? Was ist Kunst?

  • Als "Devil's Advocate" könnte man bei der Kultur aber argumentieren, dass wenn es in den Außenbezirken (mehr) Theater geben würde, dass die Leute dort/hier mehr einen Bezug dazu hätten.

    Oder in anderen Worten, wenn man selbst Politik machen möchte, hat man den eine konkrete Vorstellung davon, wie und was man selbst fördern würde? Also, eine Straße in Kreuzberg, voller subventionierter Theater (teils übrigens sogar mit eigens Gebäude dafür), mag ja gut bei Touristen ankommen - aber vielleicht nicht ganz so toll, bei all den Wählern, welche um Stunde Fahrtweg zu solcher Straße haben?

    Ich selbst bin da für stadtflächen-deckendes Konzept, mit Förderung von Kinderprogramm, sowie landeseigenen Gebäuden, mit welchem mindestens je Bezirk eine kommunale Bühne zur Verfügung steht (also für z.B. lokale Amateurtheatergruppe) - und ggf. auch Gebäude, in welchem mehrere Bühnen unter einem Dach, und jeweils gepachtet werden können.