Sparpläne in Berlin: Glamour vor dem echten Leben
Schwarz-Rot agiert im Sparchaos dilettantisch. Doch durch die Planlosigkeit schimmert eine größenwahnsinnige Big-City-Ideologie durch.
A ngesichts des Chaos, das der nun seit fast einem Monat andauernde Sparkrimi in Berlin ausgelöst hat, könnte man bei den schwarzen und roten Konservativen in Abgeordnetenhaus und im Senat fast schon einen Fetisch für Austeritätspolitik vermuten. Man könnte mutmaßen, dass es ihnen Spaß macht, die ganzen sozialen Initiativen und Künstler:innen zappeln zu lassen – um dann gönnerhaft zu verkünden: Es kommt alles gar nicht ganz so schlimm. Letzteres haben die Haushälter von CDU und SPD am Freitag getan, als sie die Sparliste überarbeitet und einige Kürzungsvorhaben umgeschichtet haben.
Angesichts dessen, dass Kürzungen ein politisches Verliererthema sind und auch ein Kai Wegner (CDU) gegen die Schuldenbremse ist, gibt es jedoch eine glaubwürdigere, alternative Erklärung: Schwarz-Rot weiß schlicht nicht, was es tut. Für die Big-City-Megalomanen bei CDU und SPD zählen nur die Leuchtturmprojekte, wo Sektempfänge und Blitzlichtgewitter warten. Zu den tatsächlichen wichtigen Projekten und Menschen aber, die in dieser Stadt jeden Tag aufs Neue den erodierenden sozialen Zusammenhalt notdürftig flicken und die Subkulturen dieser Metropole mit Leben füllen, hat insbesondere die CDU einfach keinen Draht.
Dieser Dilettantismus löst eine Dynamik aus, in der sich letztlich die Stärkeren durchsetzen. So gab es zwar auch Solidarität unter den Kürzungsbetroffenen: Allein am vergangenen Mittwoch protestierten 5.000 Menschen vor dem Abgeordnetenhaus. Bei all den Notrufen schwang aber immer auch der hässliche Wettkampf mit, die eigene Bedeutung groß genug herauszustellen, um wenigstens sich selbst vielleicht doch noch zu retten. Und so wurden eben vor allem diejenigen nun nicht ganz so brutal weggekürzt, die über gute Kontakte zu Politik und Medien verfügen.
Die alte Elitenideologie
In der Kultur bedeutet das beispielsweise, dass mal wieder vor allem die großen Häuser zählen: die „Hochkultur“ eben. Wie sehr die nichtkommerziellen und alternativen Einrichtungen sowie die freien Kunstschaffenden seit dem Weggang von Ex-Kultursenator Klaus Lederer (damals Linke) ohne Alliierte in der Politik dastehen, dürfte sich jedenfalls spätestens jetzt auch für die Letzten offenbart haben: Beim Deutschem Theater, der Schaubühne oder dem Berliner Ensemble wird weniger gestrichen, dafür muss fast die gesamte Förderung für den Ausbau von Ateliers und Arbeitsräumen für freie Künstler:innen dran glauben.
Kultursenator Joe Chialo (CDU) hatte am Sonntag sogar noch die Frechheit, die Verantwortung für das Auffangen der Folgen den großen Häusern aufzubürden. Der RBB-„Abendschau“ sagte er, die großen Häuser hätten nun die „Verpflichtung“, auch „die vulnerable freie Szene in ihrem Programm aufzugreifen“ und für Berlin so eine „tragfähige Kulturvielfalt zu schaffen“ – als seien es nicht seine eigenen Fraktionskolleg:innen gewesen, die die freie Kultur dem Spardiktat geopfert haben. Zu Recht stellte Thomas Ostermeier von der Schaubühne im gleichen Beitrag klar, dass die Kürzungen bei den freien Trägern „skandalös“ sind.
Und so kristallisiert sich durch die ganze Planlosigkeit eben doch wieder die schwarz-rote Elitenideologie heraus: wenn auch eher indirekt, weniger in Form eines strategischen Kürzungsprojekts als durch ein bestimmtes Denken, auf wen gehört wird und auf wen nicht, woran gedacht wird und woran nicht.
NFL oder Jugendarbeit?
So darf sich Berlin Berichten zufolge darüber freuen, in der kommenden Saison ein Spiel der US-amerikanischen Football-Liga NFL auszurichten. Hurra! Die Welt zu Gast in Berlin! Für solche internationalen Sportereignisse lässt man natürlich problemlos 12,5 Millionen Euro springen – während man darüber feilscht, ob die Stadt nun eher bei Straßenbeleuchtung oder bei Kinderspielplätzen sparen sollte. Angesichts solcher Eskapaden muss man es so deutlich sagen: Eliteprojekte sind den Spitzen von SPD und CDU offensichtlich wichtiger als das tatsächliche Leben der Berliner:innen. So sieht eine Politik der sozialen Kälte aus, die den Bezug zur Realität verloren hat.
Und auch an anderen Stellen schimmert die konservative Ideologie durch. Ein Klassiker sind die Parkgebühren: Ein Parkausweis für Anwohnende kostet in Berlin pro Jahr läppische 10,20 Euro, in Hamburg dagegen 65 Euro, in Münster sogar 260 Euro. Aber kommt irgendjemand in dieser autofanatischen Koalition auf die Idee, diese Subvention für fossile Fortbewegung zu streichen? Natürlich nicht. Derweil werden bei der freien Jugendarbeit trotz korrigierter Sparliste drei Millionen Euro gestrichen und der Preis für das BVG-Sozialticket für arme Berliner:innen von 9 auf 19 Euro erhöht.
Wer weiß: Vielleicht freut sich ja irgendwo eine Franziska Giffey (SPD) in einer einsamen Wohnung bei einem Glas Sekt darüber, dass sie 2023 eine weitere rot-grün-rote Koalition verhindert hat. Selten hat die Abwesenheit linker Politik der Stadt und ihren Bewohner:innen so wehgetan.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte
Journalist über Kriegsgefangenschaft
„Gewalt habe ich falsch verstanden“