Sparen in der Pflege: Die Alten sind zu teuer
Die Diakonie will ihren Beschäftigten deutlich weniger Geld zahlen – und verweist auf den Wettbewerb. Laut Gewerkschaft ein „Riesen-Skandal“
„Wir müssen uns den Marktbedingungen anpassen“, sagt dagegen Michael Schmidt, Vorstand der Stiftung Friedehorst. Er will seine Angebote „wettbewerbsfähig erhalten“ und fordert deshalb „mittelfristig strukturelle Entlastungen“ für die Diakonie. Den schwarzen Peter gibt er weiter an private Pflegedienste – und die Allgemeinheit: „Der Gesellschaft ist die Altenpflege nicht mehr wert.“
Die Arbeitnehmer fordern 5,9 Prozent mehr Geld. Zwar bekommen sie seit Monatsbeginn schon 2,6 Prozent mehr Lohn. Zugleich seien aber „gravierende Einschnitte“ geplant, so die Mitarbeitervertretung. Unter anderem solle der Kinderzuschlag (90 Euro) und die Pflegezulage (80 Euro) ersatzlos gestrichen sowie die Jahressonderzahlung von einem auf ein Viertel Monatsgehalt gekürzt werden.
Auch bei der betrieblichen Altersvorsorge will die Diakonie sparen – die Beschäftigte sollen sie mit bezahlen. Und eine Stunde mehr in der Woche sollen sie auch arbeiten, insgesamt 40 Stunden – ohne Lohnausgleich. Gerade in der Pflege seien zudem weitere Einschnitte geplant, heißt es in dem offenen Brief. Betroffen wäre vor allem jene, die neu eingestellt werden, für alle anderen solle eine „umfangreiche Besitzstandwahrung“ gelten, sagen die Arbeitgeber.
Bisher brachten die Verhandlungen keine Einigung, allerdings dürfen die Beschäftigten der Diakonie nicht streiken, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Stattdessen läuft nun ein Schlichtungsverfahren. Helmut Schümann vom Gesamtausschuss der Mitarbeitervertretung – anderswo heißt das Gesamtbetriebsrat – warnt vor einem „Billig-Tarif“ in der Altenpflege und der beruflichen Weiterbildung: „Wir befürchten, dass sich damit der Pflegenotstand noch weiter erhöht.“ Die Arbeitgeber sollten ihre Forderungen deshalb zurückziehen, so Schumann.
„Die finanzielle Ausstattung in Bremen, insbesondere in der Altenpflege, stellt sich als prekär da“, verteidigt sich der Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VDDD). Sozialhilfeträger und Selbstzahler seien immer seltener bereit, höhere Kosten zu tragen. Und überhaupt: Die Sparmaßnahmen bezögen sich nur „auf wenige Berufsfelder“, in denen die wirtschaftliche Lage der Diakonie eine „stärkere Orientierung an den branchenüblichen Tarifgehältern“ notwendig mache.
Jörn Bracker von der Gewerkschaft Ver.di will das nicht gelten lassen. Er findet die Forderung der Diakonie „sehr unchristlich“: Diese Sparpolitik sei „ein Riesen-Skandal“ – und der Verweis auf die privaten Pflegedienste ohnehin „Quatsch“, so Bracker.
Michael Schmidt, Friedehorst
Er verweist auf die Assistenzgenossenschaft Bremen, einem ambulanten Pflegedienst für behinderte Menschen, der Lohnerhöhungen um mehr als 30 Prozent habe durchsetzen können. Die Kostenträger der Pflege seien laut Bundessozialgericht dazu verpflichtet, die Tarifverträge zu refinanzieren, so Bracker.
Das stimmt zwar, sagt Michael Schmidt, der für die Arbeitgeber mitverhandelt. Allerdings steige dann anderswo der Kostendruck, also beim Essen, in der Verwaltung oder beim Strom und der Heizung. Höhere Kosten aber seien auf dem Markt nicht durchzusetzen. Und schon jetzt gebe es bei den stationären Altenpflegeplätzen in Bremen Leerstände. Schmidt verweist in diesem Zusammenhang auf diverse Insolvenzen kirchlicher Altenheime in Bremen und Niedersachsen.
Da die Diakonie sich auf dem „3. Weg“ befindet, hat die Gewerkschaft in Bremen bei den Verhandlungen nicht mitzureden. In Niedersachsen ist das anders, sagt Bracker – dort stehen im Herbst wieder Tarifverhandlungen an. Und dort verdienen die Pflegekräfte mehr als in Bremen, sagt Ver.di. Allerdings gebe es in Niedersachsen auch kaum noch evangelische Altenheime, sagt Schmidt, und wenn doch, dann kämpften sie ums Überleben. In Bremen hat die Diakonie etwa 1.000 Plätze in der Altenhilfe.
„Die Entwicklung geht in keine gute Richtung“, sagt auch Schmidt. Für ihn gibt es nur eine Chance, die Abwärtsspirale bei den Löhnen zu stoppen: Allgemeinverbindliche Tarifverträge, die für alle Anbieter gleichermaßen gelten.
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