Spät-Folgen der Sparpolitik: Jugendhilfe in der Klemme
Im Bezirk Harburg fehlt Geld für Spielangebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Die Sozialbehörde prüft nun eine Etat-Erhöhung, aber erst für 2017/18.
Der scheidende Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) hat die unter ihm erfolgten Kürzungen bei der Offenen Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) kurz vor seinem Abgang in die Spitze der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg bedauert. Die rot-grüne Koalition habe eigentlich gelobt, diesen Bereich zu stärken. Seit Jahren aber werden wichtige Projekte nur noch durch bezirkliche Restmittel erhalten.
Im Bezirk Harburg scheint dieser Weg jetzt ausgeschöpft. In dem Etat für Bauspielplätze, Mädchentreffs, Spielmobile und Jugendclubs klafft für 2016 ein Loch von rund 116.000 Euro.
Für den „Falkenflitzer“ zum Beispiel, ein mobiles Spielangebot in Form eines Lastwagens mit Pädagogen-Team, das öffentliche Plätze besucht, zuletzt häufig auch vor Flüchtlingsunterkünften stand, gibt es kein Geld mehr. Ebenso für das Spielhaus Außenmühle, das Sportangebot Op de Bünte und das Nachmittagsangebot im Margaretenhort in Sandbek.
Weitere 66.000 Euro fehlen dem bezirklichen Jugendhilfe-Etat, weil wegen der Schuldenbremse Lohn- und Betriebskostensteigerungen nicht mehr refinanziert werden. Das Geld fehlt selbst dann noch, wenn Harburg die vom Senat eigens für solche Engpässe reservierten „Verstärkungsmittel“ von 88.000 Euro voll erhält.
Der Etat für offene Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) wurde 2012 um zehn Prozent, sprich um 3,5 Millionen Euro, gekürzt. Die Begründung: Wegen der Ganztagsschulen gebe es weniger Bedarf.
Im Jahr 2015 beträgt die Rahmenzuweisung für die OKJA in den sieben Bezirken rund 23 Millionen Euro. Für Familienförderung gibt es 4,3 Millionen Euro, für sogenannte sozialräumliche Angebote 3,7 Millionen Euro.
Zudem gibt es Haushaltsmittel für „Sozialräumliche Hilfen und Angebote“. Einschließlich Jugendsozialarbeit und weiterer Posten gibt es dafür 22 Millionen Euro.
Das Geld wird nach einem Schlüssel auf die Bezirke verteilt. Für Tarifkostensteigerungen gibt der Senat in 2015 und 2016 für diesen Bereich je eine Millionen Euro dazu. Für Harburg wären das maximal 88.000 Euro. Trotzdem bleibt ein Defizit von 116.000 Euro.
Am Mittwochabend tagte der Jugendhilfeausschuss Harburg, um über die Mangel-Verteilung zu entscheiden. Doch die Sache wurde auf Anregung der Verwaltung auf November vertagt, wie Sahbattin Aras berichtet, der für die Linke im Ausschuss sitzt. Denn es gibt etwas Geld: Um auf die Bedarfe von jungen Menschen in Flüchtlingsunterkünften zu reagieren, gibt der Senat eine Millionen Euro, von denen die Sozialbehörde 330.000 Euro behält und den Rest auf die sieben Bezirke verteilt. Harburg bekommt davon voraussichtlich rund 65.000 Euro.
Doch die Lücke ist damit nur halb gefüllt. Außerdem, sagt Aras, sei dies ja Geld für die zusätzliche Aufgabe der Flüchtlingsbetreuung. Es sei „eigentlich nicht Sinn und Zweck“, dies für die bestehenden Angebote auszugeben, findet auch der CDU-Jugendpolitiker Florian Klein. Einstimmig verabschiedete deshalb der Jugendhilfeausschuss den Antrag der Linken, der Senat möge die „Rahmenzuweisung“ an den Bezirk für 2016 um 116.000 Euro erhöhen. Das sei „nicht viel Geld, wenn die Olympia-Bewerbung allein 70 Millionen Euro kostet“, sagt der Linke-Bezirkspolitiker Florian Muhl.
Es ist nicht der erste Appell dieser Art. Aber er wird erstmals erhört. Angesichts immer mehr zu versorgender Kinder und Jugendlicher „prüft die Sozialbehörde eine Aufstockung der Rahmenzuweisung für die Kinder- und Jugendarbeit“, teilt Behördensprecher Marcel Schweitzer mit.
„Unser Ziel ist, die OKJA zu stärken“, sagt auch der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Frank Schmidt. Ihm werde von Sozialarbeitern berichtet, dass es „jede Menge mehr Leute“ in den offenen Angeboten für Jugendliche gebe. Das Thema habe man erkannt, was das in Zahlen heißt, könne man noch nicht sagen.
Eine Erhöhung der Rahmenzuweisung „wäre ein Traum“, sagt CDU-Politiker Klein. Allerdings greift dies wohl erst im Doppelhaushalt 2017/18. Für das Loch im Harburger Jugend-Etat hilft das jetzt nicht.
Die Linken-Fraktionschefin der Bürgerschaft, Sabine Boeddinghaus, warnt vor Flickschusterei. „Es wäre abstrus, den Falkenflitzer allein mit Geld für Flüchtlingskinder zu retten.“ Nötig sei eine gesund ausfinanzierte soziale Infrastruktur und zusätzliche Angebote.
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