Soziologieprofessorin über Stadtplanung: „Der Eigenheimfokus ist realitätsfern“
Ingrid Breckner über die Kiezintegration von Flüchtlingen, die Illusion vom Leben im Grünen und die Wohnsilos von morgen.
Auf dem Wohnungsmarkt lastet hoher Druck: Laut Bundesbauministerin müssen jedes Jahr 350.000 Wohnungen gebaut werden – für Menschen mit durchschnittlichen Einkommen und längst auch für anerkannte Flüchtlinge, die bezahlbare Wohnungen suchen und ihre Familien nachholen. Ingrid Breckner ist Stadtsoziologin an der Hafencity-Universität in Hamburg und beschäftigt sich mit der Frage, wie Stadtplanung zur Integration beitragen kann. Von ihrem Büro aus hat man einen Blick über die Hafencity. Jenes Neubauprojekt mitten in Hamburg, geprägt von schicken Büro- und Wohnkubaturen.
taz.am wochenende: Frau Breckner, weil wir hier so schön mit Blick auf die Hafencity sitzen: Wäre das nicht ein idealer Ort, um Flüchtlinge und ihre Familien unterzubringen?
Ingrid Breckner: Da habe ich große Zweifel.
Aber es gibt viel Leerstand in der Hafencity, sie liegt zentral, ist gut angebunden, die Menschen wären mittendrin und fühlten sich nicht abgeschoben an den Stadtrand.
Abgesehen davon, dass es von den Wahlergebnissen her ganz klar ein FDP-Standort ist: Die Bewohner der Hafencity sind meist viel beschäftigte Leute, die keine Zeit haben, die an unterschiedlichen Standorten dieser Welt arbeiten oder auch wohnen – das ist kein gutes Setting, um Migranten zu integrieren.
Was wäre denn ein guter Ort?
Am besten sind gewachsene Stadtteile mit einer relativ stabilen Bevölkerung, die zeitliche und finanzielle Kapazitäten hat, um sich um die neuen Nachbarn zu kümmern. Es gibt in Hamburg sehr gute Erfahrungen mit Flüchtlingsunterkünften in Duvenstedt. Das ist ein wohlhabendes Viertel am Stadtrand. Die Bewohner dort leisten eine unglaublich gute Netzwerkarbeit. Wir haben Studentinnen, die als Flüchtlinge dort gewohnt haben und sagen, wenn sie nicht dahin gekommen wären, wäre ihre Biografie ganz anders verlaufen. Dasselbe passiert auch in Stadtteilen wie Blankenese und Rissen.
Wie sieht dieses Engagement aus?
Ganz unterschiedlich. Es gibt selbst organisierte Nachbarschaftsinitiativen, die vorwiegend von Frauen geleitet werden. Sie übernehmen Patenschaften, lesen mit Kindern, schaffen Angebote in Kultureinrichtungen, laden die Menschen auch mal in eine deutsche Familie ein, damit sie Kontakt bekommen.
Rissen, Blankenese, Duvenstedt – alles gut situierte Stadtteile. Man denkt ja eher: Reiche wollen lieber unter sich bleiben. Ist das nicht so?
Es muss nicht so sein. In den genannten Stadtteilen jedenfalls funktioniert es. Die Leute kümmern sich. Man sieht daran, dass menschliche und räumliche Kapazitäten erforderlich sind, um sich kümmern zu können. Oder nehmen Sie Harvestehude, ein reicher innerstädtischer Stadtteil.
Kenne ich. Mit Kindergärten, zu denen die Kinder morgens im Porsche gefahren werden.
Da hat die Stadt eine alte Bundeswehrliegenschaft gekauft, um Flüchtlinge unterzubringen. Ich finde die Entscheidung wunderbar. Dort gibt es natürlich auch Proteste, aber auch eine sehr aktive Unterstützungsinitiative.
Dieser Streit schwelt schon länger. Wie ist er ausgegangen?
ist Professorin für Stadt- und Regionalsoziologie an der Hafencity-Universität Hamburg. Sie wurde 1954 in Mediasch, Rumänien, geboren. Sie forscht und lehrt zu Themenfeldern wie Suburbanisierung, soziale Stadt und Strategien integrierter Stadtentwicklung.
Das Bezirksamt ist standhaft geblieben. Die Stadt hat mit den Klägern vor Gericht einen Vergleich geschlossen.
Und wie sieht der aus?
Die Zahl der Flüchtlingsplätze wurde von 220 auf 190 reduziert und die Zeit der Nutzung als Flüchtlingsunterkunft auf 10 Jahre begrenzt. Danach soll dort quartiersüblicher Wohnungsbau entstehen.
Villenbewohner, Porschefahrer, die Flüchtlinge in ihrer Nachbarschaft akzeptieren?
Ich weiß nicht, welche Autos die fahren, aber die Unterstützer sind vermutlich auch nicht arm. Die sagen: Genau das brauchen wir. Wir finden diese Homogenität nicht adäquat für das Leben in der Stadt. Wir freuen uns, dass wir was abgeben und tun können. Die sind sehr weit gegangen mit ihren Konzepten. Die haben schon eine Fahrradwerkstadt geplant, damit die Flüchtlinge selbständig nach St. Georg in die Geschäfte kommen, wo sie die für sie typischen Lebensmittel bekommen.
Das sind sehr begrüßenswerte Entwicklungen, stets aber ehrenamtliche, private Hilfestellungen. Müssen nun nicht dringend Wohnungen entstehen? Der Winter kommt …
…und es gibt noch viele Leute, die in Zelten wohnen. Auch die Modulbauten, die wenigstens ein bisschen besser sind als ein Zelt, werden Probleme machen. Ob die Elektroheizungen, die da drin sind, und die Isolierung von unten wirklich bei Winterkälte ausreichen? Bis nächstes Jahr will die Stadt Hamburg 5.600 Sozialwohnungen bauen, die als Übergangsunterkünfte genutzt werden können – grundsätzlich eine kluge Entscheidung, weil das stabile Gebäude sind, in denen man auch länger leben kann.
Aber diese Wohnungen lassen sich nicht alle in Stadtteile setzen, die so strukturiert sind, dass Flüchtlinge dort gut aufgenommen werden.
Na ja, es ist nicht überall Platz, um kleinteilig verstreut zu bauen. Einzelne Häuser wären unendlich teuer. Also baut die Stadt lieber mehr Wohnungen und geht dafür an Orte, wo es die Flächen gibt.
Also am Stadtrand.
Das muss nicht schlecht sein.
Man denkt aber sofort an großformatige Hochhaussiedlungen, aus denen schnell Problemviertel werden. Extrem: Banlieues in Frankreich. Und bei uns Orte wie Bonn-Tannenbusch. München-Hasenbergl. Berlin-Hellersdorf.
Die Franzosen waren die Ersten, die ein Wohnhaus gesprengt haben: in Lyon. Diese Siedlung hieß ironischerweise auch noch „La democratie“. Sie sagten damals, es liege am Gebäude. Es liegt nicht an den Gebäuden, es liegt an den fehlenden Perspektiven, vor allem für junge Leute.
Hochhaussiedlungen sind also gar nicht so schlecht?
Nicht prinzipiell. Wenn dort Perspektiven entwickelt werden können, dann ist das kein Problem. Dann ist auch der Reiz zum Konvertieren zum Islam nicht so groß. In Frankreich wie in Deutschland sind wir auf unterschiedliche Weise mit gescheiterter gesellschaftlicher Integration konfrontiert. Hier in Deutschland wurde eine sehr rigide Sprachpolitik praktiziert, die die Chancen von Mehrsprachigkeit vernachlässigt hat. In Hamburg haben wir bei mehreren Untersuchungen festgestellt, dass Fördergeld für Sprachunterricht in den Schulen immer wieder für andere Dinge verwendet wurde. Hinzu kamen verdeckte oder offene Degradierungserfahrungen, die bei den Betroffenen irgendwann den Eindruck entstehen lassen: Die wollen uns ja eh nicht.
Unsere Autorin ist nach Tannenbusch gefahren, eine Hochhaussiedlung am Bonner Stadtrand. Sie ist dort aufgewachsen. Weil es da heutzutage auch Salafisten gibt, steht Tannenbusch wieder im Blickpunkt. Die Kollegin schreibt, als Kind war das der schönste Ort für sie, mit vielen Welten hinter diesen vielen Wohnungstüren. Als sie jetzt wieder dort war, konnte sie das immer noch nachvollziehen. Sie traf dort ein paar junge Mädchen, Vater Jordanier, Mutter Italienerin, zehn Kinder. Die beiden Mädchen sind zum Islam konvertiert, wollen aber erst Kopftuch tragen, wenn sie den Koran lesen können. Das ist doch mikrosoziologisch genau das, wovor viele Leute Angst haben.
Das ist so ein Muster, was sich gebildet hat. Der Siedlungstyp Großkubatur hat einfach einen schlechten Ruf. Das hat viel mit einem Antimodernismus zu tun, der in Deutschland in Bezug auf Geschossbau, Größe und Dichte verbreitet ist. Es gibt viele Leute, für die ist das Eigenheim immer noch die liebste Wohnform, auch wenn es nichts mit der Realität zu tun hat.
Alexander Mitscherlich sprach von Eigenheimweiden.
Wir haben eine Untersuchung gemacht in den Vororten von Hamburg und Berlin, und fast alle Haushalte sagten uns, sie seien ins Grüne gezogen, aber sie nutzen es nicht. Der handtuchgroße Garten war auch nur drei Jahre relevant für die Kinder und dann gab es Streit, weil Kinder spätestens als Jugendliche immer in die Stadt wollten und die Eltern sich darüber stritten, wer fährt oder abholt.
Da kann man also auch auf Abwege geraten.
Absolut. Wir haben festgestellt, dass es großen Frust bei den Frauen gibt, die inzwischen qualifiziert sind, aber in suburbanen Räumen immer noch schwer geeignete Arbeitsplätze finden. Und ohne Arbeitsplatz bekommt man in einigen Gemeinden keinen Kindergartenplatz. Einer meiner Mitarbeiter hat sich einmal in eine Neubürgerführung eingeschlichen und musste dann vom Bürgermeister erfahren, dass Städter, die Anspruch auf Kindergärten erheben, eigentlich nicht erwünscht seien. Die Gemeinden versuchen Grundstücke zu verkaufen und denken nicht darüber nach, dass sie auch Infrastruktur bauen müssen.
Nochmal zurück nach Tannenbusch. Marco G. wohnte dort, ein Konvertit, der einen Anschlag auf den Bonner Hauptbahnhof geplant haben soll. Meine Kollegin hatte die Mädchen, mit denen sie unterwegs war, gefragt, ob es dort Islamisten gebe, und auch den sogenannten Hassprediger Pierre Vogel erwähnt. Die Antwort war: Ja, der ist da mal aufgetreten, aber der hat vom Islam und vom Frieden geredet. Der ist doch ganz toll. So jemand nutzt eine Leerstelle, weil es keine anderen Angebote gibt?
Klar. Der bayerische Innenminister hat neulich im Deutschlandfunk gesagt, dass wir diesen Leuten nicht die Sozialarbeit und die Integrationsarbeit überlassen können. Was für eine Erkenntnis! In den letzten 30 Jahren wurde politische Bildung in den Schulen vernachlässigt, zugleich wurde versucht, das Andere erst mal beiseitezuschieben nach dem Motto: Entweder passt du dich hier an oder nicht. Man weiß sehr genau, dass die Leute sich überall dort radikalisieren, wo Not ist. Not an Materiellem, Not an Perspektiven. Und da wirkt so ein Heilsverkünder wie eine Medizin.
Jemand hat von Köln-Chorweiler erzählt, auch so eine Hochhaussiedlung am Stadtrand. Da hält zwar die S-Bahn, aber manchmal eben nicht, weil sie pünktlich am Flughafen sein muss.
Sehen Sie, so etwas ist symptomatisch. Man fühlt sich dort abgehängt – und oft zu Recht.
Okay, aber Sie sagen, es liegt nicht an Gebäuden. Können Großsiedlungen bei dem derzeit gravierenden Wohnungsmangel eine Lösung sein?
Größere, mehrgeschossige Gebäude sind nicht per se schlecht. Man muss sich aber ganz genau überlegen, wie sie gebaut werden. Wie ist die Erschließung, wo sind Räume, wo sich die Leute begegnen? Wenn man einen riesigen Turm hat, in dem sich die Leute maximal im Aufzug treffen können und sonst nichts stattfindet, dann ist das schwierig. Aber selbst da kann es funktionieren. Auch Hochhäuser in Berlin geraten nach ersten Forschungsergebnissen eines meiner Doktoranden unter Gentrifizierungsdruck, wenn sie interessant gelegen sind.
Moment mal, eine Hochhaussiedlung, die gentrifiziert wird?
Das gibt es, nicht nur in Berlin. Eine Kollegin hat gentrifizierte Hochhäuser in London untersucht. London ist ja sehr teuer geworden, und da wird ein Hochhaus, das vorher einen schlechten Ruf hatte, als Wohnort attraktiv, weil sich die Leute sagen: Lieber wohne ich in der Nähe meines Arbeitsplatzes mitten in einem Kiez, der bunt und anregend ist, als täglich zwei Stunden in die Stadt hineinzufahren und abends wieder hinaus.
Und Ihr Doktorand in Berlin, was hat er erlebt?
Der hatte sich als Liftboy verkleidet und führte Gespräche mit den Bewohnern. Total spannend, was sich da entwickelt: Menschen, die als Erstbewohner seit Jahrzehnten dort wohnen, Hartz-IV-Bezieher, Ausländer, Rentner – eine ziemliche Mischung noch, aber mittlerweile ziehen Fotografen ein und andere Kreative …
… die Vorboten der Gentrifizierung. Weil der Wohnungsmarkt so dicht ist. Und dann folgt die Verdrängung, weil sich alteingesessene Bewohner die Miete nicht mehr leisten können.
Aber das muss nicht so sein. Gezielte Gentrifizierung kann kippende Stadtteile auch positiv verändern. Weil sich dann dort Mittelschicht ansiedelt. Die Mischung muss stimmen. Ottensen zum Beispiel …
… ein beliebter Hamburger Stadtteil, eine Art Kreuzberg an der Elbe …
…gilt als einer der gentrifiziertesten Stadtteile in Hamburg überhaupt. Aber da sitzen die Punks immer noch auf der Straße, es wohnen dort gut situierte Leute und der Migrantenanteil ist nach wie vor hoch. Ottensen wurde sanft saniert, vorher wurde da nicht selten auf offener Straße geschossen. Es zogen viele Leute weg, weil sie sich nicht vorstellen konnten, dass es da eines Tages anders werden kann. Geplant war eine Kahlschlagsanierung und der Bau einer City-West, was Gott sei Dank verhindert wurde durch Proteste im Stadtteil. Es gab dann eine ganz langsame Haus-für-Haus-Sanierung und Baulückenfüllung. Eine Art „Gentrifizierung von innen“, weil viele, die damals als Studierende und stadtpolitische Aktivisten dort gewohnt haben, auch geblieben sind, auch Ausländer oder inzwischen Eingebürgerte. Und man hat auf freie Flächen Sozialwohnungen gesetzt, sodass da immer noch eine Bevölkerungsmischung besteht.
Aber Freiflächen gibt es ja nicht überall.
Das ist genau das Problem, die innere Stadt ist im Moment relativ zugebaut. Da geht es um Nutzungserfordernisse, deshalb sollte man die Stadt durchaus genau angucken: Wo gibt es zum Beispiel leerstehende Büro-Immobilien, die in Wohnraum umgewandelt werden könnten? Das hätte auch die charmante Seite, dass man wieder mehr Wohnnutzung in der Innenstadt bekäme. Die Innenstädte leiden alle darunter, dass sie zu wenig Wohnnutzung haben und zu tristen Zonen werden, wenn abends die Geschäfte schließen. Das ist auch ein Sicherheitsproblem.
Womit wir wieder bei der Hafencity wären.
Die Hafencity hat den Anteil von Wohnenden in der Innenstadt deutlich erhöht. Es ging aber nicht nur um Wohnungen, sondern um ein neues Stück innere Stadt mit Arbeitsplätzen und notwendiger Infrastruktur für Bildung, Versorgung, Gesundheit zum Beispiel. Wachsende Städte müssen jetzt alle Wohnungen bauen und geeignete Standorte für die jeweilige Nachfrage suchen, sollten dabei aber immer auch daran denken, dass an solchen Orten Stadt entsteht oder erhalten bleibt und nicht lediglich mehr Quadratmeter Wohnraum hinzukommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach