Soziologe über AfD-Erfolg: „Der Erfolg der Linken zeigt, wie es gehen kann“
Die AfD könnte im Osten künftig noch weiter wachsen, sagt Soziologe Axel Salheiser. Was helfen könnte: das eigene Parteienprofil schärfen.
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taz: Die AfD ist in allen ostdeutschen Flächenländern stärkste Kraft geworden. Wie erklären Sie sich das?
Axel Salheiser: Ich hatte damit gerechnet. Was mich aber schockiert, ist, dass sie im Vergleich zu den letzten Landtagswahlen kräftig zugelegt hat. Sie profitiert einerseits vom Klima in ganz Deutschland. Andererseits zeigen Nachwahlbefragungen, dass in Ostdeutschland andere Themen wahlentscheidend waren als in Westdeutschland. Themen wie Umwelt und Klima haben im Osten so gut wie keine Rolle gespielt. Hier war das Hauptthema die Zuwanderung – als Sündenbockdebatte. Das Narrativ, dass MigrantInnen systematisch bevorzugt werden, verfängt hier, weil viele Ostdeutsche sich als BürgerInnen zweiter Klasse sehen.
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taz: Warum? So schlecht geht es den Leuten im Osten nicht.
Salheiser: Das stimmt, aber demokratische PolitikerInnen scheuen sich, das anzusprechen, weil niemand seine WählerInnen beschimpfen will. Und es ist ja auch schwierig, den Leuten zu sagen: „Es geht euch vielleicht nicht so gut, wie ihr erhofft habt. Aber es könnte euch noch viel schlechter gehen.“
Was stimmt, ist: Die Erfolge der Politik der letzten 35 Jahre werden viel zu wenig adressiert. Stattdessen malen die Ostdeutschen ihre Zukunft düster: Strukturwandel, die Jungen ziehen weg, die Regionen werden leerer. Wir wissen, dass da, wo die Zukunftsorientierung besonders negativ ist, die Unzufriedenheit mit der Demokratie besonders groß ist.
taz: Aber auch andere Regionen in Deutschland stehen vor ungelösten Zukunftsfragen. Warum ist der Osten noch empfänglicher für rechte Narrative?
Salheiser: Wir untersuchen seit vielen Jahren die Einstellungen der ThüringerInnen. Der wichtigste Faktor, der erklärt, warum Menschen die AfD wählen, sind nationalistische und fremdenfeindliche Einstellungen. Das heißt, dass Menschen, die rassistisch eingestellt sind, am ehesten die AfD wählen. Das klingt banal, bleibt aber relevant. Nicht alle Menschen, die unzufrieden sind mit der Demokratie wählen AfD. Aber alle, die die AfD wählen, sind unzufrieden mit der Demokratie. Die AfD saugt die politische Unzufriedenheit auf wie ein Schwamm.
taz: Die AfD hat in Thüringen und Sachsen fast 40 Prozent errungen. Was bedeutet das?
Salheiser: Daraus ergibt sich ein großes Repräsentationsdefizit. Wenn fast jeder zweite Thüringer die AfD gewählt hat, fragt man sich zu Recht, warum diese politische Kraft von der Macht ferngehalten wird. Das können die demokratischen Parteien nicht ausreichend erklären. Im Gegenteil: Die CDU steht für eine Migrationspolitik, die sehr nah an dem ist, was die AfD will. Wie soll sie dann überzeugend erklären, warum sie nicht mit der AfD arbeitet?
taz: Die demokratischen Parteien haben viel probiert: Sie verweisen auf die rechtsextremen Tendenzen, sie versuchen sie inhaltlich zu stellen. All das scheint nichts zu nützen. Wie geht es besser?
Salheiser: Der Erfolg der Linkspartei zeigt ja im Kleinen, wie es gehen kann: Kein Abarbeiten an der AfD, stattdessen das eigene Profil schärfen. Es ist ein Fehler, die soziale Frage an die Herkunft von Menschen zu knüpfen. Das Reden von der Einwanderung in unsere Sozialsysteme bleibt falsch. Das führt dazu, dass Migration in Gänze als illegal geframt wird. Die demokratischen Parteien müssen es schaffen, dieses Narrativ abzuräumen. Es nutzt nur der AfD.
taz: Die Stärke der AfD ist kein rein deutsches, schon gar kein rein ostdeutsches Phänomen. Rechtspopulisten triumphieren global. Schließt Deutschland jetzt also zum generellen Zeitgeist auf?
Salheiser: Ja, aber der Vergleich zu den Rechtspopulisten in Italien, Niederlanden und Frankreich hinkt. Ich will die dortigen rechten Parteien nicht verharmlosen. Aber die AfD ist viel schärfer. Sie steht nicht nur stramm rechts. Sie ist rechtsextrem und will den Systemwandel.
taz: Ist absehbar, dass die AfD aufhört zu wachsen?
Salheiser: Nein, davon ist überhaupt nicht zu sprechen, gerade im Osten. Wir sehen eine lineare Entwicklung über die letzten Wahlen. Wenn wir diese Linie verlängern, dann erringt die AfD bei den nächsten ostdeutschen Landtagswahlen eine absolute Mehrheit. Das ist eine katastrophale Entwicklung. Welche Schäden die demokratische Kultur nimmt, können wir im Regionalen schon jetzt sehen.
Die AfD baut mit ihrer Präsenz in den Parlamenten ihre Strukturen aus und stärkt ihre außerparlamentarischen Vorfeldorganisationen. Es führt zu mehr Gewalt, zu mehr Polarisierung. Die Leidtragenden sind in erster Linie Geflüchtete, Queere, linke und nicht-weiße Menschen auf dem Land.
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