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Soziologe Rafael Behr über Gefahrengebiete„Aufwallung der Gefühle“

Nach den Demo-Krawallen und der Ausweisung eines Gefahrengebiets streitet Hamburg über Gewalt und die Schuld daran. Polizei-Soziologe Rafael Behr im taz-Interview.

"Merkwürdiges Spiel auf dem Rücken von Polizisten": Demo-Transparent in Hamburg. Bild: dpa

taz: Muss man sich Sorgen um die Hamburger Polizei machen, Herr Behr?

Rafael Behr: Nicht mehr als man es vor der Demonstration um die Rote Flora getan hat. Natürlich sind die Beamten, die unmittelbar betroffen sind, anders bewegt als diejenigen, die es aus der Distanz sehen. Ich habe großes Verständnis dafür, dass es da zu einer Aufwallung der Gefühle kommt. Von daher unterlasse ich auch alles, was es relativiert. Wir sind ja erst in einer Phase, wo verstehen wollen schon als Billigen gilt.

Tatsächlich könnte man sich Sorgen um eine scheinbar kopflose Polizei machen, der nach einer Woche auffällt, dass Kollegen nicht beim Angriff auf eine Polizeiwache verletzt wurden, sondern in einer Seitenstraße der Reeperbahn.

Das sind Scharmützel, die jetzt stattfinden, die einem gewissen Ritual folgen. Die eine Gruppe denkt, dass sich in diesem Widerspruch eine Verschwörung von Politik und Polizei zeigt und die anderen sagen, dass ein semantischer Fehler passiert ist unter dem Eindruck von Informationsreduktion. Allerdings werden Angriffe auf die Polizei in der Regel dramatischer bewertet als andere Straftaten. Das gilt auch für die Verletztenzahl.

Inwiefern?

Es hat zu der skurrilen Situation geführt, dass der Hamburger Innensenator am Montag im Ausschuss sagte, dass bei der Rote- Flora-Demonstration im Dezember 169 Polizisten verletzt worden seien und zwei Zivilisten.

Im Interview: Rafael Behr

55, ist seit 2008 Professor an der Hamburger Akademie der Polizei, wo er die Forschungsstelle Kultur und Sicherheit leitet. Behr war 15 Jahre Polizist, ehe er Soziologie studierte.

Tatsächlich sollen es 500 verletzte Demonstranten gewesen sein.

Der Senator hat exakt gezählt, nämlich die Krankmeldungen bei der Polizei und die Zahl der Verletzten, die die Feuerwehr versorgt hat. Diese Form der Zählung führt zu einer Steigerung des Unverständnisses – ich saß im Ausschuss unter Teilnehmern der Demonstration, die sich dadurch natürlich brüskiert fühlen.

Tut die Polizei etwas, um die Fronten aufzuweichen?

Die Deutsche Polizeigewerkschaft hat gerade einen Neun-Punkte-Aktionsplan veröffentlicht, von denen kein einziger auf Deeskalation ausgerichtet ist. Stattdessen fordert sie die Ausrüstung mit Tasern und anderem Gerät und natürlich mehr Stellen und mehr Geld. Hier wird auf dem Rücken von verletzten Polizisten ein merkwürdiges Spiel gespielt. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich habe den Einsatzleiter vom 21. Dezember, Peter Born, nicht als kopflos erlebt. Die Rolle der Polizeigewerkschaften halte ich dagegen wirklich für konfus. Aber das ist, wenn man so will, eine instrumentelle Kopflosigkeit.

Wozu dient die?

Wir wissen noch nicht abschließend, was bei dem Steinwurf auf den Polizeibeamten wirklich passiert ist. Es kann die Tat eines verwirrten Einzeltäters gewesen sein und nicht die einer Gruppe. Aber im Moment scheint es sehr klar, dass die Polizei im Kern angegriffen wird. Die Resonanz darauf hat das bestätigt: Wir leben in einem Betroffenheitsstadium, in dem Differenzierung und Distanz schwerfällt und in dem viele Menschen glauben, ihre Solidarität mit der Polizei ausdrücken zu müssen, um ernst genommen zu werden.

Vertrauen Sie darauf, dass dieser Fall solide aufgeklärt wird?

Das tue ich. Ich glaube nicht, dass hier von der Polizei bewusst manipuliert wurde. Es wird vorhandenes Informationsmaterial benutzt. Ich erkenne da eher eine Arbeitsteilung, dass die Polizeibehörde und der Innensenator relativ moderat auftreten, es aber nicht verhindern, dass die Polizeigewerkschaften bewusst an der Dramatisierungsschraube drehen.

Wird so was verabredet?

Ich glaube nicht, dass das bewusst geschieht. Das sind Teile eines sehr komplexen Systems, in dem viele ihre eigenen Interessen vertreten. Da braucht es keine Absprachen am Kamin.

Was bedeutet es, wenn ein Polizeigewerkschafter sagt, dass es bei der Ausweisung des Gefahrengebiets nicht darum gehe, Täter zu fassen, sondern ein Zeichen zu setzen?

Das Zeichen ist die Möglichkeit der Durchdringung des Raumes. Das scheint mir die Grundhaltung der Polizei, nicht nur in Hamburg zu sein: Man will zeigen, dass jede Form von Kontrolle und Intervention möglich sein muss, und zwar zu jeder Zeit. Man kann das als Machtdemonstration interpretieren oder als offensive Polizeistrategie, das kommt auf die eigene Bewertung an. Das war bei der Kontrolle der Lampedusa-Flüchtlinge so, das war bei dem Vorstoß der Polizeieinheiten bei der Rote-Flora-Ansammlung so. Rechtlich war das bestimmt in Ordnung, ob es aber auch klug war, ist eine ganz andere Frage.

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7 Kommentare

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  • Dieses etwas verunglückte Interview war doch schon vor zwei Tagen hier zu lesen - und plötzlich war es wieder weg - und nun isses wieder hier!?

     

    Eigentlich kann man auf Interviews mit Soziologen verzichten - veröffentlicht doch mal ein Interview mit Neumann :-) - oder mit Herrn O.Scholz!

  • G
    Gast

    Für diejenigen, bei denen was gefunden wurde, ist es sicher als eine Warnung gedacht... in dem Sinne: wir kennen Dein Gesicht. Und davor haben zumindest diejenigen Respekt, die noch am Anfang ihrer Militarisierung stehen und noch Angst vor Ärger am Arbeitsplatz/Studium haben. Sinnvoll finde ich es schon wenn immer mehr vermummte Steinewerfer Gesicht zeigen müssen. Genauso sinnvoll eine Zahlenkennzeichnung der Polizei. In einer anonymen Masse ist fast jeder Mensch eher gefährdet seine eigenen Gewaltgrenzen zu überschreiten.

  • A
    abcschuetze

    Der Herr Behr hat vor Jahren mal das Verhalten der Polizeigewerkschaften als pubertäres "Herumgejammere" bezeichnet. Diese haben ihn dann ordentlich angefahren, Rücktrittsforderungen, Kompetenzanzweiflung, etc., und auf Linie gebracht. "Der macht das nicht nochmal", soll ein Gewerkschaftsführer gesagt haben. Seitdem hält Behr schön den Rand und redet konform. Polizeilicher Corpsgeist halt.

  • G
    Gast

    Der ist Professor? Der schafft es tatsächlich, die Ausweisung des Gefahrengebiets im gleichen Satz als Machtdemonstration bzw. offensive Strategie und als rechtlich zulässig zu bezeichnen.

     

    Dabei ist das Gesetz hier relativ klar: Voraussetzung ist nämlich, dass "auf Grund von konkreten Lageerkenntnissen anzunehmen ist, dass in diesem Gebiet Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden und die Maßnahme zur Verhütung der Straftaten erforderlich ist."

     

    "Erforderlich" heißt, dass es keine andere Maßnahme gibt, die den Einzelnen oder die Allgemeinheit weniger belastet (auch das steht im Polizeigesetz, SOG §4). Machtdemonstrationen fallen nicht darunter. Eine defensive Strategie dürfte immer weniger Grundrechte verletzen, als eine offensive.

     

    Aber an der Polizei-Uni scheint logisches Denken nicht zu den Einstellungskriterien zu gehören...

    • @Gast:

      Jeder darf sich Professor von Entenhausen nennen. Habilitiert ist der Mann nicht, also auch kein ordentlicher Universitätsprofessor.

       

      Wohl aber hat er, laut Lebenslauf, Promoviert und einen Ruf an die Hochschule der Polizei Hamburg erhalten.

      • P
        Planer
        @Dhimitry:

        Doch, ist er. Ist aber in der Tat unerheblich. Wenn eine Machtdemonstration hilft, um eine Lage zu beruhigen, wird da wieder ein Schuh draus.

      • G
        Gast
        @Dhimitry:

        @Dhimitry

         

        Da er an keiner Universität arbeitet, sondern an der Hochschule der Polizei, behauptet auch niemand, dass es sich um einen Universitätsprofessor handelt. Die HdP ist eine Fachhochschulabspaltung (inzwischen nennen sich ja auch alle FHs Hochschulen), dafür genügt eine Ruf für einen Kandidaten mit Promotion und mind. fünfjähriger einschlägiger Berufspraxis. Ohnehin ist der Sinn einer Habilitation ist vielen Fällen fraglich und durch andere Leistungen der Wissenschaft oft mehr Dienst getan.