Sozialwissenschaftler zum Lockdown: Regierungen guckten voneinander ab
Forscher haben untersucht, warum die OECD-Staaten im Frühjahr restriktive Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ergriffen haben.
Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie Mitte August in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS). Den Studienautoren unter Federführung von Abiel Sebhatu ging es also nicht um die Wirksamkeit der sogenannten nichtpharmakologischen Interventionen. Vielmehr analysierten sie per Datenanalyse und Modellierung, was die Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zu ihrer restriktiven Politik veranlasst hat.
Dabei stellten sie fest, dass die Regierungen von Staaten in schweren Krisen offenbar vor allem dem Beispiel anderer Staaten folgen – und ihre Entscheidungen auf das stützen, was andere Länder tun. Auffällig war, dass Regierungen in Ländern mit einer stärkeren demokratischen Struktur langsamer auf die Pandemie reagierten, dafür aber sensibler für den Einfluss anderer Länder waren und der Politik ihrer Nachbarländer eher folgten.
Überrascht waren die Forscher über den Befund, wie homogen die OECD-Länder bezüglich des Zeitpunkts waren, zu dem sie die Restriktionen beschlossen. Binnen zwei Wochen im März führten 80 Prozent der OECD-Staaten vier von fünf NPIs ein. „Angesichts der Heterogenität zwischen diesen Ländern hinsichtlich der Vorbereitung ihrer Gesundheitssysteme, ihrer Bevölkerungsdemografie und des Grades, in dem die Pandemie zu diesem Zeitpunkt in jedem Land Einzug gehalten hatte, ist die Homogenität in Bezug auf den Zeitpunkt der Annahme auffallend“, schreiben die Autoren.
Länder folgen einander
Die Wissenschaftler merken an, dass die Tatsache, dass viele Länder dem Beispiel anderer folgten, anstatt Entscheidungen zu treffen, die auf der spezifischen Situation ihres Landes basierten, dazu geführt haben könnte, dass Länder sich entweder zu früh oder zu spät abgeschottet hätten. Wenn Länder auch bei der Lockerung restriktiver Maßnahmen einander folgten, könne dies mitunter zu politischen Entscheidungen führen, die unter epidemiologischen Gesichtspunkten „suboptimal“ seien.
Zu langes Warten könne dazu führen, dass die Ausbreitung außer Kontrolle gerate und das Gesundheitssystem überfordert sei. Eine zu frühe Einführung von Interventionen in einem ganzen Land könne ebenfalls gefährlich sein, da sie das Risiko einer „zweiten Welle“ von Infektionen erhöhen könne, sobald die ersten Interventionen gestoppt würden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos