piwik no script img

Sozialsenatorin über Jobs in der Krise„Die Notlage nicht bedacht“

Sozialsenatorin Breitenbach (Linke) glaubt, dass in der Coronakrise noch mehr Menschen ihre Arbeit verlieren werden – und hofft auf Hilfe vom Bund.

Elke Breitenbach (Linke), Sozialsenatorin Foto: picture alliance/Carsten Koall/dpa
Interview von Susanne Memarnia

taz: Frau Breitenbach, die Arbeitslosenquote in Berlin lag im Mai erstmals seit 2015 wieder bei 10 Prozent. Wie pessimistisch sind Sie, dass die Zahlen drastisch weiter steigen?

Elke Breitenbach: Ich bin nicht pessimistisch oder optimistisch, ich werde dafür bezahlt, Lösungen zu suchen. Ich gehe aber davon aus, dass noch mehr Menschen in die Erwerbslosigkeit kommen werden. Wir müssen ja nicht nur auf die Zahl der Arbeitslosen gucken, sondern auch auf jene, die derzeit Kurzarbeitergeld bekommen.

Wie viele Menschen sind das in Berlin?

Jedes dritte Unternehmen hat Kurzarbeit angemeldet, betroffen sind davon laut Statistik der Bundesagentur im Mai gut 33.000 Menschen. Wie viele Menschen aber tatsächlich in Kurzarbeit sind, wissen wir erst Ende Juni – dann wird abgerechnet.

Im Interview: 

Elke Breitenbach

geboren 1961, ist Erzieherin, Politologin, Ex-Gewerk­schafts­sekretärin und seit 2016 linke Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales.

Muss man nicht davon ausgehen, dass Kurzarbeit oft der erste Schritt in die Arbeitslosigkeit ist?

In der Tat gehe ich nicht davon aus, dass alle wieder zurück auf ihren Arbeitsplatz kommen. Für dieses Problem müssen wir zusammen mit den Sozialpartnern, der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit und auf der Bundesebene um Lösungen ringen.

Was sagen Sie zum neuen Rettungspaket der Bundesregierung? Enthält es nicht auch gute Ansätze für die Berlinerinnen und Berliner?

(denkt nach) Also für die Familien enthält es einen guten Ansatz mit den 300 Euro, die es pro Kind geben soll. Es gibt auch den Vorschlag, dass diejenigen Betriebe, die durch die Krise angeschlagen sind und trotzdem ausbilden, finanziell unterstützt werden. Das ist ein richtiger Schritt, den wir uns auch für Berlin überlegt hatten. Was ich aber extrem enttäuschend finde: dass beim Kurzarbeitergeld nicht an die Geringverdienenden gedacht wurde. Wir haben in Berlin sehr viele Menschen mit geringem Arbeitseinkommen. Wenn diese nun in Kurzarbeit sind, dann bekommen sie erst einmal 60 Prozent, wenn sie Kinder haben, 67 Prozent vom letzten Einkommen. Diese Menschen haben finanzielle Nöte! Sie geraten in die Armutsfalle. Das gilt ebenso für jene mit geringem Arbeitslosengeld I oder mit Hartz IV. Durch die Krise haben sich die Lebenshaltungskosten erhöht. Gleichzeitig sind Unterstützungsangebote weggefallen wie das kostenlose Schulessen oder die Tafel mit Lebensmittelspenden. Diese Notlage aller Geringverdienenden, auch der Arbeitslosen, hat die Bundesregierung nicht bedacht.

Was hätte sie tun sollen?

Wir hatten eine Bundesrats­initiative eingebracht: Menschen, die Transferleistungen beziehen, bekommen 100 Euro mehr im Monat, bis die Krise zu Ende ist. Aber diese Initiative hat der Bundesrat in den Ausschuss „versenkt“, sprich: auf irgendwann vertagt. Und diese Idee wurde auch im neuen Hilfspaket der Bundesregierung nicht aufgegriffen. Das heißt: Für Menschen, die in finanzieller Not sind, gibt es keine finanzielle Unterstützung, sofern sie keine Kinder haben und von dem Familienbonus profitieren. Hart trifft es zum Beispiel auch die RentnerInnen in der Grundsicherung. Das ist bitter, denn all diese Menschen brauchen jetzt Unterstützung und Hilfe.

Was könnte der Senat hier tun?

Wir waren und sind in Berlin schon vorbildlich, was Schutzschirme und Ähnliches angeht, um Armut abzufedern. Zudem haben wir – nur um ein Beispiel zu nennen – auch die Tafeln unterstützt, nicht mit Geld, sondern mit „realer“ Hilfe, sodass Lebensmittel ausgeliefert werden konnten. Wir haben auch einen Schutzschirm für die Träger geöffnet, die zum Beispiel Beratungen und Unterstützung anbieten. Wir zahlen ihnen das Geld weiter, weil wir davon ausgehen, dass sie den Menschen weiterhin helfen und sie beraten – wenn auch auf anderem Weg als bislang. Die Träger haben kreative Lösungen gefunden und die Menschen nicht allein gelassen. Aber bei Arbeitslosengeld, Grundsicherung und Asylbewerberleistungsgesetz kommen wir an unsere Grenze – das sind Leistungen des Bundes. Da können wir nur fordern, die Leistungen zu erhöhen.

Zurück zur Beschäftigungssituation. Könnte der Senat nicht den öffentlichen Beschäftigungssektor ausbauen, sprich: das Solidarische Grundeinkommen – kurz SGE?

Das habe ich in der Tat schon vorgeschlagen, ich komme darauf zurück. Aber grundsätzlich ist es seit den Hartz-Gesetzen ja so, dass der Bund zuständig ist für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen. Wir flankieren diese Programme mit Coaching und Qualifizierungen. Deshalb hoffen wir jetzt sehr, zu erfahren, ob der Bund neue Programme plant oder nicht. Wir stellen uns darauf ein, dass es mehr Qualifizierungen geben muss. Denn wenn wir uns die Struktur der Arbeitslosen ansehen, sind weiterhin jene besonders betroffen, die keinen Schulabschluss haben – ebenso viele Geflüchtete.

Wieso die?

Wir hatten uns ja sehr gefreut, dass in letzter Zeit viele Geflüchtete relativ schnell den Weg in Arbeit und Ausbildung gefunden haben. Aber wir haben festgestellt, dass viele von ihnen mangels Qualifizierung oder Anerkennung ihrer Berufsabschlüsse im Niedriglohnbereich angekommen sind. Deswegen hatten wir gerade angefangen, Geflüchtete gezielt zu qualifizieren – und hier sind wir jetzt in der Tat ein Stück zurückgeworfen worden durch die Krise. Ich will mir nun genau ansehen, welche Erfahrungen wir mit dem Solidarischen Grundeinkommen machen – es wird demnächst eine Evaluierung starten. Wenn sich herausstellt, dass dies tatsächlich ein Weg ist, um Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, dann sollten wir diesen Weg weitergehen. In einem ersten Schritt sollten wir zum Jahresende sehen, ob wir das Programm verlängern und dann, ob wir noch mehr Beschäftigte aufnehmen als die geplanten 1.000.

Bislang sind erst 300 von geplanten 1.000 SGE-Stellen besetzt. Warum?

Erstens müssen alle Anträge von Seiten der ArbeitgeberInnen genau überprüft werden – das dauert. Zweitens gehen die Stellenangebote an die Jobcenter und die bieten sie den Arbeitslosen an. Es ist ja kein Zwang, eine SGE-Stelle zu nehmen, sondern Leute bewerben sich freiwillig. Dann finden Bewerbungsgespräche statt und die Unternehmen entscheiden, wen sie nehmen. Wir hatten immer gesagt, dass diese Stellen sukzessive übers Jahr 2020 besetzt werden. Von daher sind wir mit den besetzten 338 Stellen, so der Stand Ende Mai, zufrieden. Aber, das ist auch klar, die Corona-Epidemie hat alles verzögert. Die Jobcenter haben erst mal alle verfügbaren Kräfte eingesetzt, um Leistungen so schnell wie möglich auszuzahlen. Und viele Betriebe warten wegen der Krise mit Neueinstellungen. Für mich gibt es aber keinen Grund zu sagen, das Solidarische Grundeinkommen sei ein Rohrkrepierer. Im Gegenteil.

Wieso im Gegenteil?

Es gibt viele Bewerbungen, die Leute sind interessiert. Die ersten Rückmeldungen sind ermutigend: Einige Unternehmen haben uns mitgeteilt, dass sie SGE-Beschäftigte übernehmen wollen.

Thema Ausbildung: Was passiert denn eigentlich mit Azubis, die gerade nicht arbeiten können, weil ihr Betrieb Kurzarbeit hat?

Wir haben im Mai mit Sozialpartnern und der Regionaldirektion der Arbeitsagentur eine gemeinsame Erklärung zur Ausbildung veröffentlicht, die wir jetzt umsetzen, damit die Auszubildenden, die vor ihrem Abschluss stehen, ihre Prüfungen absolvieren. Das zweite Problem war, dort etwas zu tun, wo die praktische Ausbildung derzeit nicht stattfinden kann – etwa bei Köchen im Hotel, die hatten ja erst mal nichts zu tun. Darum haben wir uns auch gekümmert.

Was heißt das konkret?

Wir warten noch auf die Rückmeldung der Unternehmen, welche Branchen konkrete Hilfe benötigen. Eine Idee war, Auszubildende in öffentlichen Ausbildungsstätten, etwa in Lehrküchen, zu beschäftigen. Jetzt geht es aber vor allem um das neue Ausbildungsjahr: Die SchülerInnen, die im Sommer die Schule verlassen, suchen schon seit geraumer Zeit einen Ausbildungsplatz. Aber es gab keine Berufsberatung, auch in den meisten Jugendberufsagenturen nicht. Doch wir brauchen gerade jetzt diese Unterstützung für die SchulabgängerInnen und wollen die Arbeit der Jugendberufsagenturen so schnell wie möglich wieder hochfahren.

Rechnen Sie damit, dass im September noch mehr Jugendliche ohne Ausbildungsplatz dastehen als ohnehin jedes Jahr?

Ja, klar. Wir wissen jetzt schon, dass es mehr als 1.200 Ausbildungsplätze weniger geben wird als in der Vergangenheit. Und da hat es schon nicht gereicht. Es gibt die Verabredung mit den Kammern und den Arbeitgeberverbänden, dass wir von ihnen genauere Informationen zu den einzelnen Branchen bekommen. Die brauchen wir dringend, um zu wissen, in welchen Bereichen wir am besten zusätzliche außerbetriebliche Ausbildungsplätze anbieten und finanzieren müssen, weil sich viele Betriebe dazu erst mal nicht in der Lage sehen.

Wie wollen Sie das machen?

Wir haben das Berliner Ausbildungsprogramm, das sind außerbetriebliche Plätze, von denen es derzeit 500 gibt. Davon sind aktuell 250 besetzt. Wir stellen uns darauf ein, bis zu 1.000 Plätze aufzustocken. Das wird ein echter Kraftakt für die Träger, weil sie die Ressourcen und das Personal noch nicht haben. Aber wir erwarten auch, dass sich nicht alle Betriebe zurückziehen und wer kann, auch über seinen Bedarf ausbildet. Gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister werde ich zum Beispiel die landeseigenen Betriebe bitten, dass auch sie deutlich mehr Lehrlinge ausbilden, als sie brauchen, sodass wir den AbsolventInnen eine berufliche Perspektive bieten können.

Ihre Parteifreundin Katina Schubert hat am Donnerstag im Abgeordnetenhaus auch schon die landeseigenen Betriebe und den öffentlichen Dienst gebeten, jetzt über den Bedarf hinaus auszubilden und Vorbild zu sein. Kann der Senat da nicht mehr tun als bitten?

Im öffentlichen Dienst müssen wir nicht bitten, hier müssen wir prüfen, wo wir weitere Kapazitäten haben. Ausbildung braucht ja auch bestimmte Voraussetzungen wie einen Arbeitsplatz und AusbilderInnen. Die Betriebe mit Landesbeteiligung bilden in vielen Bereichen aus, und deshalb appellieren wir auch an sie, ihre soziale Ver­antwortung wahrzunehmen und mehr Ausbildungsplätze anzubieten. Diese Betriebe und der öffentliche Dienst müssen da mit gutem Beispiel vorangehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    Typische Antwort von Apparatschik. Für jeden Auszubildenden ein Ausbilder und einen Arbeitsplatz. Reicht nicht einfach ein Schreibtisch und ein Stuhl. Im Werkstattbereich sind sicher Dutzende von Werkbänken unbesetzt. Klar ,man muss erst mal prüfen, eventuell eine Kommission einrichten und die Gleichstellungsbeauftragte fragen, anschließend einen psychologischen Eignungstest bei einem Institut in Auftrag geben und anschließend die Bewerber zum Auswahlverfahren informieren und einladen. Wir haben ja auch Verantwortung zu tragen.