Sozialpsychologe über Österreichs Rechte: „Es geht immer um Entwürdigung“
Klaus Ottomeyer findet die Vorwahlstimmung erfreulich. Der Sozialpsychologe über die Rechten im Opfermodus, den Sadismus von Herbert Kickl und das Wunder von Kärnten.
taz: Herr Ottomeyer, wie ist die Stimmung in Österreich vor dieser Wahl?
Klaus Ottomeyer: Recht erfreulich eigentlich.
Ach – inwiefern?
Die Klimakrise hat sich als Hauptthema des Wahlkampfs in den Vordergrund gedrängt. ÖVP und die FPÖ möchten das nicht und betreiben weiterhin eine Klimakrisenverleugnungspolitik. Weil sie wissen, dass sie von den Themen der nationalen Identität und, wie sie das nennen, illegalen Migration viel mehr profitieren. Aber langsam wird das schwierig, weil die Faktenlage beim Klimawandel so eindeutig ist – und die Mobilisierung so erfolgreich.
Mit Freud gesprochen: Die wirklichen Bedrohungen, die „Realangst“ rücken wieder in den Vordergrund, das schadet der Rechten.
Ja, natürlich. Weil die nationale Rhetorik ja lächerlich wird, etwa bei der Frage der gemeinsamen Bekämpfung der Klimakatastrophe. Der nette Herr Hofer von der FPÖ spricht deswegen im Fernsehen von der Hysterie der Jugendbewegung und von Greta Thunberg. So versuchen sie es hinzustellen. Und das entspricht natürlich Verleugnungstendenzen bei vielen Menschen, die am liebsten so weitermachen wollen wie bisher und ihre SUVs kaufen.
Diese Menschen ändern auch nichts an ihrem Wahlverhalten: Das Abschmieren der schwarz-blauen Regierung in der Ibiza-Affäre, aber auch die neuen Vorwürfe der Bereicherung gegen Ex-Vizekanzler Karl-Heinz Strache lassen die Mehrheit der WählerInnen den Umfragen zufolge unbeeindruckt.
Das liegt an der in diesen Kreisen weit verbreiteten Vorstellung, dass, wenn man Mist gebaut hat, man trotzdem selbst das Opfer ist. Das war schon beim FPÖ-Übervater Jörg Haider so, wenn aus seinem Umfeld bei Kritik an ihm verlautete, die „Jagdgesellschaft“ sei wieder unterwegs. Dann haben viele Leute Mitleid mit dem, wie man hier in Österreich sagt, „armen Bua“, der sich doch immer so bemüht und so nett ist. Das macht Ex-Kanzler Sebastian Kurz auch, da ist er ja bekannt dafür.
Das klingt aber nicht so erfreulich.
Man kann sich ein bisschen damit beruhigen, dass die Leute all diese Vorkommnisse erst verarbeiten müssen, miteinander besprechen. Dann erst gibt es vielleicht eine Ansteckung mit der Enttäuschung, einen Zeitverschiebungseffekt. Es kann sein, dass sich die Skandale der FPÖ bei diesen Wahlen noch nicht so abbilden, dass es länger dauert, bis der Groschen bei denen, die betrogen und verführt worden sind, fällt.
Wir müssen also einen langen Atem haben, bis das kriminelle Potential der Haiders und Straches bei ihren WählerInnen ankommt?
Und bis sich ihr Blabla eben auch für alle als Blabla erweist. Entscheidend ist aber auch die gerichtliche Aufarbeitung. Wenn Verurteilungen erfolgen, auch im Zusammenhang mit den aktuellen Untreuevorwürfen gegen Strache, dann halten doch manche Follower inne in ihrer Begeisterung.
Die autoritären Charaktere der Wähler der Rechtsparteien sind empfänglich für den Entscheid von Autoritäten, wenn klargemacht wird, dass ihre geliebten Führer zu weit gegangen sind?
Funktionierende Gerichte sind sehr wichtig. Die Rechtspopulisten wissen schon, warum sie immer gleich am Anfang die Unabhängigkeit der Justiz versuchen zu torpedieren oder sie lächerlich zu machen. Aber noch ist ihnen in Österreich dieser geplante Umbau des Rechtswegs nicht gelungen.
Diese Sehnsucht nach Erlösung von der Kontrolle durch demokratische Instanzen, diese Lust am Lächerlichmachen …
Das ist schön, diesen Über-Ich-Rucksack abwerfen zu können. Das ist eine Erleichterung – erst einmal.
Und schön ist offensichtlich auch die Bosheit: Wenn man sich auf YouTube das Video einer Wahlkampfrede des Ex-Innenministers Herbert Kickl (FPÖ) in einem Bierzelt in der Steiermark anschaut, dann ist man schon beeindruckt von dieser Sprache, die eigentlich über eine Dreiviertelstunde lang ausschließlich Gehässigkeiten enthält. Warum ist die Gemeinheit so erfolgreich?
Ich glaube, dass jeder von uns in seinem „inneren Team“ so eine gehässige Figur hat, so ein Schandmaul. Wenn dieser Teil rausdarf, wenn der Ausgang hat und niemand den aufhält und sanktioniert, dann ist das ein erleichterndes und unterhaltsames Gefühl.
Und wer soll oder kann diesen Teil sanktionieren?
Es geht bei Kickl und anderen immer um Entwürdigung. Und das muss sanktioniert werden, unter Berufung auf die Menschenrechte und die Menschenwürde, gerichtlich und auch sozial – indem man sagt, mit jemandem, der sich so aufführt, reden wir nicht. Das macht ja übrigens jetzt auch Sebastian Kurz, wenn er sagt, dass er mit Kickl nicht mehr kann und will.
Und es gibt nachträglich doch auch einen recht breiten Konsens, dass Kickl zu weit gegangen ist, wenn er etwa bei einem Aufnahmezentrum für Flüchtlinge das Schild „Ausreisezentrum“ hat anbringen lassen: Das ist reiner Sadismus. Damals ging das durch, war angeblich nicht zu sanktionieren. Als er weg war, ist das sofort weggekommen. Einige, die das Draufschlagen auf die Schwachen und Flüchtlinge vorher unterhaltsam gefunden haben, denen ist das jetzt etwa unheimlich geworden – das merkt man. Das gilt sogar für Seehofer, der jetzt Flüchtlinge aus dem Mittelmeer retten will. Als hätte man in einer leicht besoffenen Zeit gelebt, wo die Menschen und die Autoritäten über die Stränge geschlagen haben.
Aber Kickl hat das Bierzelt begeistert und nach den letzten Umfragen wählen immer noch 20 Prozent FPÖ. Was machen wir mit denen?
Mit denen, die den Sadismus ausblenden oder genießen, führe ich keinen Dialog. Ich möchte nicht geduldig verstehen, warum es sinnvoll sein soll, Flüchtlinge zu erniedrigen. Die Umfragen geben aber auch her, dass 60 Prozent Kickl auf keinen Fall mehr haben möchten. Es gibt keinen Politiker, der so stark abgelehnt wird.
Davon profitiert aber jetzt ausgerechnet Sebastian Kurz, der „Messias“ – obwohl der die Gangster erst ins Boot geholt hat.
Im Zentrum von Kurz' Programm stehen die sogenannte kulturelle Identität der Österreicher und die Lösung der sogenannten Migrationsfrage. Das ist die Politik der Identitären, die er neuerdings ja verbieten lassen will, in einer Light-Version. Die Politik von Orbán; nur dass die Verspottung und Erniedrigung der als bedrohlich wahrgenommenen Objekte nicht mehr auf der Vorderbühne stattfindet. Aber Kurz sagt klar, dass man hässliche Bilder und Vorgänge, den Tod von Menschen im Mittelmeer zum Beispiel, eben in Kauf nehmen müsse.
war Professor für Sozialpsychologie in Klagenfurt. Er ist Vorstand des Vereins Aspis, der sich der therapeutischen Behandlung von Flüchtlingen widmet.
Er ist der kalte Wolf im Pelz eines Unschuldslamms. Das beruhigt das Über-Ich der Leute, die sich nicht vorstellen können, dass jemand, der immer so hübsch und nett ist, der so verbindlich auftritt und dabei immer so hart angegangen wird – dass der so brutal und böse ist und unseren eigenen kalten und bösen Anteil umsetzt. Man hat dann kein schlechtes Gewissen mehr, wenn man sich bei ihm anhängt. Dabei hat er den Sadismus erlaubt.
Was macht das linksliberale Lager falsch, dass es im 40-Prozent-Keller verharrt?
Auf dem Land fühlen sich viele Menschen abgehängt, sie fühlen sich vergessen, nicht wertgeschätzt. Das hat auch viel mit Psychologie zu tun. Die Linke müsste darauf eingehen, präsent sein, sich die regionalen Probleme anhören, in Infrastruktur investieren. Ich kann Ihnen aber eine Region nennen, wo das ganz gut läuft: Das ist hier in Kärnten, wo ich wohne.
Im Jörg-Haider-Land! Wie ist das zugegangen?
Wir haben hier einen Landeshauptmann, den Peter Kaiser von der SPÖ, dem es gelungen ist, das Land nach dem finanziellen Desaster, das Haider hinterlassen hat, zu sanieren, aber auch die nationalistische Wichtigtuerei abzumontieren. Ich war kürzlich im Spiegelsaal der Landesregierung bei einer Ehrung einer Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus, die schon mit 15 in Gestapo-Haft kam. Eine solche Ehrung hätte es hier in Kärnten früher nicht gegeben.
Interessanterweise hat dann da aber auch eine Kapelle in Lederhosen gespielt, da waren Frauen in Tracht, die sogenannten Goldhauben, die auch geehrt wurden. Da wird es manchem Linken ein bisschen komisch – aber es geht wahrscheinlich nicht anders, als die Leute für das, was sie tun – die Mitarbeit in der freiwilligen Feuerwehr etwa – zu loben, zu ehren, aber eben auch gleichzeitig, im selben Raum, antifaschistische Gedenkpolitik stattfinden zu lassen; auch wenn man nicht sicher sein kann, ob bei der Trachtenkapelle nicht auch ein Rechtsextremer mitspielt.
Der Herr Kaiser würde das ja durchaus umstrittene „Konzept Heimat“ also nicht zurückweisen?
Nein, das würde er nicht. Dieser Heimatbegriff hat mit einem nationalistischen Identitätskonzept aber nichts zu tun. Der Kaiser ist gelernter Soziologe, der könnte Ihnen darüber spontan eine Dreiviertelstunde einen Vortrag halten.
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