Sozialistisches Internet: Wikipedia auf Kubanisch
Kuba hat eine eigene „Wikipedia Cubana“ gestartet – um der Szene um „Cybersöldnerin“ Sánchez etwas entgegenzusetzen. Doch bislang kennt kaum jemand EcuRed.
HAVANNA taz | Nur einen Steinwurf von der Autobahn entfernt, an einer der Ausfallstraßen Havannas, stehen frisch gestrichene Betonwürfel. „Hier ist unsere Informatikuniversität untergebracht“, erklärt der Reiseleiter mit stolzer Stimme.
Mehrere tausend Studenten sind an der Uni nahe dem internationalen Flughafen von Havanna eingeschrieben. Hier ist aber noch etwas anderes zu Hause – die vielen kubanischen Webseiten, allesamt regierungsamtliche Projekte.
Bis 2002 war in dem Betonkomplex die sowjetische Abhörzentrale Lourdes untergebracht. „Heute wird hier EcuRed gepflegt“, sagt Reiseleiter Jesús. EcuRed ist das Wikipedia Kubas – betrieben von staatlichen Bloggern. „Die Informatiker haben rund um die Uhr Zugang zum Internet. Das ist sehr innovativ.“
"Kubas Netzpolitik ändert sich. Das Schema des begrenzten Zugangs wird von einer Strategie des Filterns der Inhalte ersetzt - so wie in China", erklärt Ernesto Hernández Busto. Der Kubaner lebt und arbeitet in Barcelona und betreibt mit "penultimos dias" einen der meistgelesenen Blogs über die Insel. Bestens vernetzt ist er mit der Opposition und der Blogosphäre der Insel.
Die Bloggerszene ist recht vielfältig. Längst sind es nicht nur kritische Geister wie Yoani Sánchez, die seit 2007 ihren Blog "Generación Y" betreibt, sondern auch vermeintliche Agenten der Staatssicherheit, die sich im Netz rumtreiben. So wird der Blog "Yohandry" den kubanischen Behörden zugerechnet. Aber es sind auch viele Blogs gelistet, die von Anhängern der Regierung betrieben werden. Das offizielle Kuba hat die Blogosphäre entdeckt und will kritischen Bloggern nicht das Terrain überlassen. Dazu gehört auch das kubanische Wikipedia-Pendant EcuRed. Von "radio-elektronischer Souveränität" ist im offiziellen Sprachjargon mittlerweile genauso die Rede wie vom Cyberkrieg.
Anders als im kubanischen Alltag wird die Opposition beim Namen genannt und nicht totgeschwiegen, wie das Beispiel von Yoani Sánchez oder dem Menschenrechtsaktivisten Elizardo Sánchez zeigt. Mit denen beschäftigt man sich in EcuRed, während sie in Kubas offizieller Presse nahezu inexistent sind. Das ist Teil des digitalen Paradigmenwechsels, der in Kuba in vollem Gange ist. Minister wie Bruno Rodríguez oder Mariela Castro, Tochter von Staatschef Raúl, haben Twitter und Facebook entdeckt, verteidigen aber gleichzeitig noch das alte Schema. Freier Zugang zum Internet sei, so Außenminister Rodríguez jüngst, schlicht zu teuer.
In kaum einem Land der Welt ist die Auffahrt ins World Wide Web so schwierig wie auf der Insel. Langsame Leitungen und damit quälend langes Warten auf die Seiten, das ist in Kuba Usus. Kaum ein Kubaner, der nicht über die Trägheit des Netzes schimpft. „Jeden Gast, der uns ein Mail mit Foto schickt, verfluche ich insgeheim“, erzählt Oscar Acosta, ein privater Zimmervermieter im Zentrum Havannas.
„Es dauert extrem lang, bis das Foto geladen ist, und oftmals bricht die Leitung zwischenzeitlich zusammen“, klagt der Mann, der eine kleine Gründerzeitvilla besitzt. „Ja, ich habe von EcuRed, unserem Wissensportal, gehört. Aber bis die Seite lädt, kann ich auch schon mal Kaffee kochen“, winkt der gelernte marxistische Ökonom ab.
Acosta hat sich den Zugang zum Internet illegal besorgt. Die meisten Gäste melden sich nun einmal per Mail an. Umgerechnet zwanzig US-Dollar zahlt er im Monat, um sein Mailkonto täglich vom eigenen Computer abrufen zu können – über ein altes Wähl-Modem. So geht es den allermeisten der kubanischen Internautas, wie die Internetfans auf der Insel genannt werden.
Zu denen gehören auch die Macher der Enciclopedia Cubana. Das Wissensportal ging Ende 2010 mit 20.000 Seiten an den Start. Heute zählt es rund 75.000 Seiten sowie eine Bibliothek mit etlichen tausend wissenschaftlichen Aufsätzen. „Wissen mit allen und für alle“ lautet der Untertitel der Seite, mit der die staatliche kubanische Sicht der Dinge vermittelt werden soll. Dafür wird landesweit gearbeitet – an der Informatikuniversität, in den Ministerien und landesweit in rund 600 Computerclubs.
„Conexion a wiki fallida“
Anders als bei Wikipedia darf im EcuRed jedoch nicht jede und jeder eigene Beiträge posten. Bei EcuRed muss man oder frau sich erst einmal registrieren, um mitmachen zu können – und das ist alles andere als einfach. „Conexion a wiki fallida“, Verbindung zu wiki gescheitert, lautet die Nachricht bei verschiedenen Anläufen im schöner Regelmäßigkeit.
Das erweckt den Anschein, dass nicht jeder ohne Weiteres mitmachen kann bei Kubas Wikipedia. „Verantwortlichkeit, Rückverfolgbarkeit, Originalität und Zuverlässigkeit“ sind ohnehin zentrale Kriterien zum Mitmachen. Wer dabei sein will, muss sich den EcuGrupos anschließen, die es in allen kubanischen Provinzen gibt.
An Interessenten aus dem Ausland scheint niemand gedacht zu haben. Bei den zwölf Tipps zur Recherche, die auf der Seite genannt werden, findet sich keine Seite aus dem Ausland. Nicht mal an die befreundeten Bruderstaaten wie Venezuela, Bolivien oder Nicaragua hat man gedacht. Dort wird das kubanische Wikipedia genau beobachtet – denn schließlich ist nicht nur Venezuelas Präsident Hugo Chávez an einer positiven Außendarstellung seines Landes interessiert.
Die Eindimensionalität bei der Recherche birgt allerdings den Nachteil, dass die Informationen auf dem kubanischen Wiki EcuRed nicht immer die aktuellsten sind. So datieren die letzten Informationen zur Seite über Deutschland von 2006. Auch beim Pro-Kopf-Einkommen von 129.500 US-Dollar scheint sich ein Fehler eingeschlichen zu haben.
Kleinigkeiten – denn schließlich geht es darum, dass „die Welt Kuba besser versteht“. Geschrieben wird dabei aus „dekolonialisierender Perspektive“. Dabei kommt der mächtige Nachbar im Norden nicht allzu gut davon.
Die USA seien historisch dadurch aufgefallen, dass sie mit Gewalt Gebiete und Bodenschätze anderer Länder ausgeraubt haben, so steht es auf EcuRed zu lesen. Zudem verbrauche die mächtigste Nation aller Zeiten ein Viertel der weltweiten Energieproduktion und lasse ein Drittel ihrer Bevölkerung ohne Gesundheitsversorgung. In Kuba undenkbar.
Die Opposition wird nicht totgeschwiegen
Das kann man auf den Seiten zur Gesundheitsversorgung der Insel schnell nachschlagen – wenn die Seite denn lädt. EcuRed hat allerdings auch einige Überraschungen in petto, denn die Opposition auf der Insel wird, anders als im kubanischen Alltag, nicht totgeschwiegen.
Lange, detaillierte Beiträge zu dem christdemokratischen Oppositionellen Oswaldo Payá finden sich genauso wie zu Elizardo Sánchez, dem bekannten Menschenrechtsaktivisten. Auch die international bekannte Bloggerin Yoani Sánchez taucht dort auf – allerdings wird sie als „Cybersöldnerin“ bezeichnet, die angeblich aus den USA finanziert werde. In Kuba könne sie weitgehend unbehelligt das Internet nutzen. Das soll zumindest ein Foto der Bloggerin im berühmten Hotel Nacional nahelegen.
Die Realität sieht allerdings ganz anders aus. So ist der Zugang zum World Wide Web in Kuba ausgesprochen teuer. Zwischen 8 und 14 CUC, dem kubanischen Devisenpeso, der im Verhältnis 1:1 an den US-Dollar gebunden ist, kostet die Stunde im World Wide Web auf der Insel. „Das kann sich kaum jemand leisten angesichts eines Durchschnittslohns von umgerechnet rund 20 Euro“, kritisiert Kubas international bekannter Schriftsteller Leonardo Padura.
Der bärtige Mann gehört zu den wenigen Kubanern, die ganz offiziell zu Hause online gehen können. Der 56-Jährige kennt die Wikipedia Cubana nicht einmal – und das trifft für so manchen der angeblich 1,6 Millionen Kubanerinnen und Kubaner zu, die laut offiziellen Zahlen Zugang zur digitalen Welt haben.
Die nutzen das Netz jedoch ähnlich wie Computerfreak Miguel Díaz Monteguado. „Wenn ich mal Zugang habe, dann reicht es gerade, um ein paar Mails an Freunde und Bekannte abzusetzen, zum Surfen bleibt keine Zeit“, erklärt der 29-jährige Rockfan. Er hat noch nie etwas von EcuRed gehört. Obwohl er in einem Kulturzentrum mit internationalen Kontakten arbeitet, hat er in aller Regel keinen Zugang zum Internet.
Ein Erfolgsgeschichte ist das Wikipedia Cubana demnach bisher im Inneren der Insel nicht. Vielleicht ist es jedoch in der weltweiten Solidargemeinde besser angekommen. Die war allerdings auch zuvor schon ganz gut informiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Sicherheitsleck in der JVA Burg
Sensibler Lageplan kursierte unter Gefangenen