Sozialhistoriker über Diskussionskultur: „Wir müssen über Fairness sprechen“

Die Gesprächskultur hat sich verändert, sagt Sven Tetzlaff von der Körber-Stiftung. Mit dem Literaturhaus startet die eine Veranstaltungsreihe dazu.

Eine Hand über der Tastatur eines Laptops.

Geht schnell ohne Hemmungen ab: Online-Kommunikation Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

taz: Herr Tetzlaff, warum ist es gerade jetzt wichtig, sich damit zu beschäftigen, wie wir miteinander sprechen und kommunizieren?

Sven Tetzlaff: Weil sich die Gesprächskultur in den letzten Jahren dramatisch verändert hat: das Aufkommen von Shitstorms, es wird immer schriller und empörter gestritten. Da fragt man sich natürlich: Wie können wir wieder zu einer zivilen Gesprächskultur zurückfinden?

Wie kann denn ein konstruktiver Dialog über teilweise emotionale Themen gelingen?

Das ist eine Herkulesaufgabe. Das Problem ist, dass man durch soziale Medien schnell aktiv werden kann, wenn man sich emotional angesprochen oder angegriffen fühlt. Da genügt dann ein Knopfdruck, um zu reagieren. Das Entschleunigen der Reaktion ist meiner Ansicht nach schon mal ein Hilfsmittel. Wir müssen auch über Fairness sprechen. Wie kann man fair sein und Empathie stärken? Da sollte jeder sich selbst befragen.

Haben sich Diskurse über Sprache und Kunstfreiheit in den vergangenen Jahren verengt – oder sind sie vielfältiger geworden?

Es beteiligen sich mehr am Sprechen. Das ist in einer offenen Gesellschaft erst mal gut. Dadurch entsteht natürlich auch Reibung. Das ist auch gar nicht zu kritisieren. Es fängt an, problematisch zu werden, wenn Positionen vertreten werden, die andere Meinungen und Sprechweisen ausschließen oder abwerten wollen.

Darf man bestimmte Sachen heute nicht mehr sagen?

Das es ausgesprochene Verbote gibt, die einem verbieten etwas zu sagen, sehe ich nicht. Wir sehen aber, etwa bei der gegenderten Sprache, dass Menschen den Eindruck haben, dass ihnen etwas vorgeschrieben wird. In meiner Arbeit für die Stiftung spreche ich auch mit Menschen, die sich ausgegrenzt fühlen, weil sie sich möglicherweise falsch geäußert haben.

Dieser Eindruck schlägt sich nieder in der Popularität des Begriffs „Cancel Culture“.

Das muss man erst mal ernst nehmen. Es stehen sich bestimmte Haltungen gegenüber: Die einen möchten über Sprache bestimmte Werte ausdrücken, und die anderen sagen, dass sie sich einer Sprachpolizei unterwerfen müssen. Wenn sich die jeweiligen Positionen radikalisieren, ist das nicht hilfreich. Diese Konflikte, die wir sehen, können aber auch ein Zeichen von Fortschritt sein.

Inwiefern?

Sie zeigen zunächst einmal, dass eben mehr Leute an einem Tisch sitzen. Wie man dann miteinander umgeht, muss man aushandeln. Darin kann jetzt nicht per se das Problem liegen. Aber vermeintliche Sprachverbote oder Zuweisungen in bestimmte Schubladen sind nicht sehr hilfreich.

Stehen sich etwa in der Gender-Debatte zwei Gruppen unversöhnlich gegenüber?

Diskussion „Gegenrede: Wozu braucht es Streitkultur?“ mit Marie-Luisa Frick und Michel Friedman (Moderation: Stephanie Rohde): 31. Januar, 19 Uhr, Hamburg, Körberforum, sowie als Stream auf www.koerber-stiftung.de.

Dort finden sich auch alle Infos zu den drei weiteren Terminen der Reihe „Im Anfang war das Wort. Sprache und Öffentlichkeit heute“, die die Körber-Stiftung und das Literaturhaus Hamburg zusammen ausrichten.

Hier ist viel Spannung entstanden. Man muss immer hingucken, wo solche polarisierenden Diskussionen stattfinden. In der medialen Berichterstattung bekommt man leicht den Eindruck, wir wären eine gespaltene Gesellschaft und es gäbe eigentlich nur noch zwei Gruppen. Das muss man mit der eigenen Situation abgleichen: Familie, Freundes- und Freizeitkreisen. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich ständig durch eine hochgradig polarisierte Gesellschaft laufe. Dieser Eindruck kann durch Social Media entstehen, aber wir haben immer noch Medien, große Verlage, Zeitungen, Zeitschriften und Sendeanstalten, wo es genug Raum für Abwägungen gibt, um Dinge auszudiskutieren. Ich würde nicht sagen, dass die gesamte Öffentlichkeit sich in zwei Lager teilt und polarisiert ist.

Wie lässt sich eine offene Diskussionskultur schaffen, ohne radikalen Aussagen zu viel Raum zu geben? Man denke etwa an die Verharmlosung des Nationalsozialismus bei den Corona-„Spaziergängen“.

Ich meine, den radikalen Positionen darf man gar keinen Raum geben. Wir reden in dieser Reihe über liberale Gesprächskulturen, aber auch in liberalen Kulturen gibt es eindeutige Grenzen: Antisemitismus, Menschenfeindlichkeit, Ausgrenzung. Wer das vertritt, der möchte sich nicht an einen Tisch setzen. Jenseits von solchen Stimmen gilt es, erst mal zuzuhören, abzuwägen und dann konstruktiv zu streiten.

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