Soziale Ungleichheit und Corona: Ungute Erinnerungen
Haben Kulturschaffende für Krisenzeiten einfach den falschen Beruf gewählt? Die Ungleichverteilung von Coronahilfen führt zur Entsolidarisierung.
D ass die Sozialfront wegen Corona unübersichtlich geworden ist, ließ sich kürzlich in Berlin beobachten. Freiberufliche KünstlerInnen hatten zur Demo aufgerufen, sie forderten ein „Existenzgeld“ für die Freiberufler, ähnlich dem Kurzarbeitergeld für Angestellte. Die freiberuflich Kulturschaffenden seien nicht berücksichtigt worden in den Rettungspaketen der Bundesregierung, hieß es.
In den sozialen Netzwerken folgten hämische Kommentare: Die KünstlerInnen sollten sich halt einen richtigen Beruf suchen. Überhaupt gebe es ja Hartz IV und wie die Demonstrierenden dazu kämen, sich für was Besseres zu halten als andere Arbeitslose. Man hatte den Eindruck, dass Schwache auf Schwache dreinschlagen und das ist immer ein beklemmender Anblick.
Das Opfer-Ranking in der Pandemie folgt nicht den alten Mustern von Gewinnern und Verlierern. Während Beschäftigte im Lebensmittelhandel nicht auf Kurzarbeit gehen, sah und sieht es bei Personal in der Gastronomie anders aus. MusikerInnen, freiberufliche DozentInnen, ReiseleiterInnen: Die menschennahe Dienstleistung, erst recht im Kulturbereich, ist zerschlagen.
Damit werden die materiellen Folgen von Corona individualisiert. Das erlebt jede, die Leute kennt, die ein paar zehntausend Euro durch weggebrochene Aufträge verloren haben, während andere unbeschadet durch die Krise gehen, abgesichert durch Festanstellung und die Möglichkeit zum Homeoffice.
Folgen der Entsolidarisierung
Die Ungleichverteilung führt zur Entsolidarisierung, und welche Folgen das im Wahlkampf 2021 haben wird, wenn die Wirtschaft coronabedingt weiter unter Druck steht und der Spielraum eng wird, das ist die Frage. Mit welchen Programmen wenden sich die Parteien an welche Gruppen?
Ungute Erinnerungen werden wach an die 90er und nuller Jahre, als die Wirtschaft schwächelte und das Wohl der Unternehmen ganz oben stand und alles rechtfertigte, den Angriff auf die Gesundheitsleistungen, auf die Renten, auf die Arbeitslosenunterstützung, dann die Sparpakete. Dem muss man vorbauen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag