Soziale Medien bei Bundestagswahl: Wie rechte Trollarmeen hetzten
In den USA löschen soziale Netzwerke Hunderte Accounts aus dem Iran und Russland. Doch auch bei uns wird online politisch gezielt desinformiert.
Nun gibt es eine neue Merkel-Meldung mit Meme-Potenzial: Die Kanzlerin hat sich vor der Sommerpause von einem Internetexperten die Digitalisierung erklären lassen. Bloß: Das ist eigentlich gar nicht zum Lachen, sondern eher ziemlich smart – und etwas, das nicht nur die Kanzlerin machen sollte, sondern auch die allermeisten von uns.
Warum? Ganz einfach. Weil im Moment vor allem solche Menschen die Winkelzüge und Kniffe der Digitalisierung bis in alle dunklen Ecken durchschauen und entsprechend für sich zu nutzen wissen, die potenziell das friedliches Zusammenleben in unserer Gesellschaft stören wollen und damit uns alle bedrohen. Alle anderen – mal abgesehen von wohlmeinenden Nerds und Hacker*innen, deren Existenz hier nicht bezweifelt werden soll – tapern bedröppelt hinterher und merken meist nicht mal, was um sie herum geschieht.
Gucken wir in die USA, also dorthin, wo gezielte Versuche, das Meinungsklima in sozialen Medien wie Facebook und Twitter zu beeinflussen und in eine bestimmte Richtung zu verzerren, mutmaßlich vor der US-Präsidentschaftswahl begannen. Einer, der davon unter anderem profitiert hat, twittert jetzt aus dem Weißen Haus. In den USA gehen Internetkonzerne und soziale Medien gerade – auch wegen des politischen Drucks, unter dem sie stehen – gegen mögliche Beeinflussungsversuche vor. Facebook löschte gerade erst 652 Accounts, Seiten und Gruppen, die aus dem Iran und mutmaßlich vom Umfeld des russischen Militärgeheimdiensts betrieben worden seien. Es habe sich um koordinierte Aktionen mit verknüpften Accounts gehandelt, sagte Mark Zuckerberg in einer Telefonkonferenz mit Journalisten in der Nacht zum Mittwoch. Twitter sperrte 284 Konten, die für eine „koordinierte Manipulation“ eingesetzt worden seien.
Längst auch bei uns
Nun könnte man denken: Hui, gruselig. Klingt wie ein US-Spionagethriller, den ich bestimmt bald im Kino gucken kann. Aber das wäre fatal. Denn was in den sozialen Netzwerken der USA geschieht, passiert längst auch bei uns. Das belegte zu Beginn des Jahres eindrücklich eine Studie am Londoner Institute for Strategic Dialog, deren Ergebnisse längst nicht die breite Aufmerksamkeit bekommen, die ihnen gebührt.
Darin ist nachzulesen, wie sich rechtsextreme Trollarmeen mit dem schönen Namen „Reconquista Germanica“ oder die Gruppe „Infokrieg“ aus dem Dunstkreis der Identitären Bewegung auch in Deutschland vor der Bundestagswahl in verschlüsselten Chats verabredeten, um gemeinsam und mithilfe von Fakeaccounts bestimmte Hashtags auf Twitter zum Trenden zu bringen oder mit massenhaften Likes und Dislikes den Facebook-Algorithmus zu manipulieren und so das Stimmungsbild in den sozialen Medien zugunsten von AfD-Themen und der zugehörigen Rhetorik zu kippen.
Wer genau dahintersteckt und wie eng die Bändel zur AfD sind, ist ungeklärt. Dass die Partei bei der Bundestagswahl von den abgesprochenen Desinformations- und Einschüchterungskampagnen profitiert hat, glauben die Forscher*innen nachweisen zu können. Übrigens auch, dass zumindest die größere von beiden Gruppen, Reconquista Germanica, aufgrund der im geheimen Chat verbreiteten Inhalte zu den (rechts)extremsten Deutschlands gehört und daher vom Verfassungsschutz beobachtet werden sollte.
Eine derartige absichtsvolle Stimmungsmache in sozialen Medien bereitete nicht nur den Nährboden für den Einzug der AfD in den Bundestag. Sie bestimmt auch die Politik, die wir derzeit erleben. Wenn Seehofer Geflüchtete an der Grenze abweisen will und Italiens Innenminister Salvini vor dem Ertrinken Gerettete zurück nach Libyen schicken will, dann feiert die Trollcommunity das als ihren Erfolg.
Desinformation erkennen
Davon müssen alle Menschen, die im Netz unterwegs sind und soziale Netzwerke nutzen, wissen – und sie müssen erkennen lernen, wann sie es mit einer von Trollen verabredeten Desinformationskampagne zu tun haben. Das wird ohne gute, weil wirksame Gesetze nicht funktionieren. Schon allein deshalb, weil niemand ernsthaft wollen kann, dass politische Entscheidungen, die de facto über das Schicksal von Menschen entscheiden, künftig – überspitzt gesagt – davon abhängen, ob Facebook und Twitter in der Lage sind, richtig einzuschätzen, was nun ein Fakeaccount ist, der da gerade Meinungen absetzt, und was nicht.
Angela Merkels verlachtes Neuland-Zitat aus dem Jahr 2013 hatte im Übrigen noch einen zweiten Teil. „Das Internet ist für uns alle Neuland und es ermöglicht auch Feinden und Gegnern unserer demokratischen Grundordnung mit völlig neuen Möglichkeiten und völlig neuen Herangehensweisen, unsere Art zu leben in Gefahr zu bringen“, lautet er in Gänze. Die Vorlage für hämische Memes – das wären dann wohl wir.
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