Sozialarbeiter über Gesundheitszentren: „Ungleichheit macht krank“

Hannah Gruber und Jonas Löwenberg engagieren sich in sozialen Gesundheitszentren. Auch Faktoren wie Rassismus und knapper Wohnraum trügen zu Erkrankungen bei.

Obdachloser mit Einkaufswagen.

Soziale Ungleichheit als Faktor bei der Gesundheit: Obdachloser in Berlin Foto: Peter Hartenfelser/imago

taz: Frau Gruber, Leipzig, Berlin, Hamburg, Köln und Dresden: Gruppen aus fünf Städte sind bereits Teil des Poliklinik Syndikats. Haben Sie überall schon Gesundheitszentren aufgebaut?

Hannah Gruber: Das ist unterschiedlich. In einigen Städten gründen sich gerade Gruppen, in Berlin steht der Einzug in das neue Stadtteilgesundheitszentrum in Neukölln kurz bevor.

Jonas Löwenberg: Zwei aktive Polikliniken gibt es schon: in Leipzig seit einem Jahr und in Hamburg bereits seit vier Jahren. Dort gibt es gerade sogar mehrere Standorte.

Ihr Projekt hat eine dezidiert politische Haltung. Sie sprechen von einem Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Bedingungen und Gesundheit. Wie sieht dieser Zusammenhang aus?

HG: Gesellschaftliche Faktoren wirken sich auf die Gesundheit von Menschen aus, positiv wie negativ. Diese Faktoren heißen soziale Determinanten und werden oft gar nicht berücksichtigt. Stattdessen sollen wir regelmäßig Sport machen, nicht rauchen oder uns gesund ernähren. Dadurch wird vermittelt, dass wir ganz allein für unsere Gesundheit verantwortlich sind.

JL: Schlechte Arbeitsbedingungen, Wohnraum, der immer knapper und teurer wird, Rassismus, soziale Ungleichheit – all das trägt eben auch dazu bei, dass Menschen krank werden.

Was heißt das konkret für die Arbeit in Ihren Gesundheitszentren?

JL: Wir schauen bei der Beratung nicht nur auf die akuten Symptome und leiten daraus eine Therapieform ab, sondern gucken, was dahintersteckt. Dazu arbeiten verschiedene Berufsgruppen zusammen. Wenn Ärz­t*in­nen feststellen, dass sie bei der Behandlung nicht weiterkommen, können sie So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen oder Psy­cho­log*in­nen hinzuziehen.

HG: Das kann so aussehen: Wenn eine Allgemeinärztin feststellt, dass die Wohnsituation einer behandelten Person schwierig ist, kann eine Sozialberatung dabei helfen, die Probleme anzugehen. Einmal kamen in die Hamburger Poliklinik viele Menschen in die Hausarztpraxis, bei denen es in der Wohnung geschimmelt hat. Daraufhin haben sich die Menschen getroffen und beschlossen, das gemeinsam zu verändern.

ist 28 Jahre alt, Sozial­arbeiter und seit drei Jahren bei der Poliklinik in Leipzig aktiv.

Wie finanzieren Sie sich?

HG: Es gibt gemeinnützige Trägervereine, die sich über Drittmittel, Spenden und Fördermitgliedschaft finanzieren.

JL: In Hamburg, Berlin und Leipzig werden die Projekte im Haushalt der Stadt berücksichtigt. In den kooperierenden Praxen werden die Leistungen über die Krankenkassen abgerechnet. Langfristig braucht es aber ein anderes Abrechnungssystem und Modell für die Trägerschaft – bedarfsorientiert und gemeinnützig.

Wie erfolgversprechend ist es denn, beim Kampf gegen ein riesiges Problem wie soziale Ungleichheit mit Gesundheitsarbeit auf lokaler Ebene anzusetzen?

ist 26 Jahre alt, studiert im Master Psychologie und ist seit zwei Jahren Teil der Gruppe SoliMed in Köln.

JL: Viele soziale Kämpfe werden bereits von anderen Initiativen oder Gewerkschaften geführt. Es ist wichtig, dass wir uns mit ihnen vernetzen. Aber die Polikliniken sind der fixe Anlaufpunkt im Stadtteil: Hier kommen Menschen mit Problemen hin, können sich austauschen. Medizinische Versorgung allein reicht nicht. Wir müssen auch den politischen Weg gehen, indem wir das Leben der Menschen vor Ort verbessern, Probleme kollektivieren.

Ihr Anspruch klingt sehr radikal. Aber die Idee funktioniert nur, indem Sie Leute erreichen, die keinen explizit politischen Anspruch haben und einfach so in eine der Polikliniken kommen.

HG: Unser Konzept ist sinnvoll, um Gesundheitsarbeit zu machen. Wir haben konkrete Vorstellungen davon, wie gute Gesundheitsversorgung und Beratung aussehen sollen. Wir wollen Leute nicht politisch agitieren, nur weil sie in eines unserer Gesundheitszentren kommen.

Wie könnte die Arbeit des Syndikats in zehn Jahren aussehen?

HG: Solidarische Stadtteilgesundheitszentren soll es bis dahin in mehreren Stadtteilen und Städten geben. Gesetzliche Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, wir wollen zum Beispiel Kassensitze.

JL: Ja! Gesundheitszentren könnten neben Arztpraxen und Krankenhäusern bestehen.

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