Sotschi bei ARD und ZDF: Schlüpfrig und unappetitlich
ARD und ZDF kommen in ihrer Sotschi-Berichterstattung an Menschenrechten nicht vorbei. Queeres wird jedoch auf bizarre Art und Weise verhandelt.
Es ist nicht genau zu klären, wann der Verdruss anfing. Und zwar der SportjournalistInnen, die es in ihren TV-Zonen mit Dingen zu tun bekamen, die nach eigenem Verständnis nicht zu ihrer Sache gehören.
Hießen sie früher Heribert Faßbender oder Heinz Maegerlein, so heißen die Figuren, die ihr journalistisches Deutungsfeld offenbar bedroht sehen, heute Michael Antwerpes und Claus Lufen (ARD), Katrin Müller-Hohenscheid und Rudi Cerne (ZDF). Was sie nicht mögen, ist das Politische, das über den Sport hinaus-, besser: durch ihn hindurchgeht. Und das betrifft auch alle Fragen des Geschlechts, des Respekts, der Individualität schlechthin.
Beispiele? Im Russland des olympischen Ortes sind Gesetze beschlossen, die Homosexuelle grundsätzlich unter Verdacht stellen, sie mit Gefängnis bedrohen. Nicht allein die USA, auch andere Staaten haben protestiert. US-Präsident Barack Obama lancierte vor Jahresfrist die Nachricht, die US-Delegation in Sotschi werde von lesbischen und schwulen Prominenten aus dem Sport repräsentiert. Von Brian Boitano, Eiskunstlaufolympiasieger von 1988, ebenso wie von der Eishockeyspielerin Caitlin Cahow und der Tennislegende Billie Jean King, die in Sotschi noch erwartet wird.
Und in Deutschland? Man weiß, an diesem Thema, an der grundsätzlichen Fraglichkeit der Wahrung von Menschenrechten in Russland, kommen auch ARD und ZDF nicht vorbei – schließlich hat auch Bundespräsident Joachim Gauck eine prestigefreundliche Reise ans Schwarze Meer zur Eröffnungsfeier abgesagt.
Nun ließe sich denken, nach dem erfrischend souveränen Outing des Fußballers Thomas Hitzlsperger hätten auch ZDF und ARD journalistische Lust, sich dem Feld des Sportlichen zu widmen, das nicht auf Weiten, Sekunden und Noten reduziert.
Die harten Fakten des Lebens
Was man jedoch sieht nach zwölf Übertragungstagen aus Sotschi, ist deprimierend: Schwules und Lesbisches – also das, was nicht Lifestyle ist, sondern die harten Fakten des Lebens betrifft – wird ungefähr so präzise verhandelt wie eine schlüpfrig-seifige Angelegenheit, die Unappetitlichkeit und den Appeal vom Exotischen verströmt. Katrin Müller-Hohenstein kündigt zum Beispiel einen Film an, der von – so verschriftlich – „Hommoßexuellen“ handelt: Und gezeigt werden Bilder von Damenimitatoren aus dem „Majak“, dem queeren Klub vor Sotschi – und kein einziger schwuler Mann, der das mit der Kamera eingefangene (und damit reproduzierte) Image des „Cage aux Folles“-haften politisch flankiert. Ach, wie quietschig, lustig und doch nicht ganz bei Trost, das alles!
In der ARD war es Michael Antwerpes, der den Gipfel der Übergriffigkeit markiert. Erik Lesser gewinnt Silber im Biathlon und fällt gefühlt minutenlang seinem Trainer Mark Kirchner in die Arme. Und der Moderator fragt den Sportler ernsthaft, was denn da gewesen sei, kommt mit der Stimme ins kumpelig Modulierende und hakt nach: „War doch so unter Männern!“
Genau, so musste man das verstehen: Bitte keine Geste der Innigkeit unter Männern. Hinter dem seifigen Tremolieren Antwerpes’ stand natürlich auch – eine beinah aggressive Art der heterosexuellen Forderung. Lesser antwortete cool und ließ den Mann ins Leere laufen.
Der LGBTI-Aktivist Klaus Müller wurde jüngst gefragt, was russische Schwule und Lesben vom Westen erwarten. Der Historiker antwortete, man möge vor der eigenen Haustür kehren und all den Putins dieser Welt zeigen, wie fraglos anerkannt Lesben und Schwule im Westen seien. In diesem Sinne: Warum hat der DOSB keine offen queeren SportlerInnen nach Sotschi geladen – Flagge zeigend, Schwarz-Rot-Gold mit Regenbogenschärpe?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt