Sorben in Brandenburg: Queer, sexy, sorbisch
Immer weniger Menschen sprechen Niedersorbisch in Brandenburg, schlägt eine Studie Alarm. Ist das wirklich so? Eine Erkundung in vermintem Gelände.
Aber auch das Brauchtum verändert sich und mit ihm die kulturelle Praxis. So könnte man den Beitrag auch mit dem „Kolektiw Wakuum“ beginnen. Die Künstlerinnen und Kulturaktivisten aus Cottbus haben in diesem Jahr zum ersten Mal eine „queere Vogelhochzeit“ gefeiert. Auch ein bunter Kakadu war dabei. „Uns war wichtig, diese heteronormative Geschichte der Elster und des Raben nicht noch einmal so zu reproduzieren“, sagt Hella Stoletzki, ein Mitglied des Kollektivs.
Offen sorbisch und queer wollen sie beim Kolektiw Wakuum sein können und haben damit wohl, by the way, den Wortschatz der niedersorbischen Sprache um das Regenbogenwort ergänzt. Ob sie damit das Niedersorbische auch als Sprache retten können?
Wie bei so vielem ist es auch beim Niedersorbischen so, dass immer dann über das Thema geredet wird, wenn es brenzlig wird. Für die bad news haben am 9. April Till Vogt (sorbisch Till Wojto) und Sabine Asmus vom Institut für Sorabistik an der Universität Leipzig gesorgt. In einer auf Niedersorbisch veröffentlichten Studie haben sie behauptet, dass nur noch 50 bis 100 kompetente niedersorbische Sprecherinnen und Sprecher in der brandenburgischen Niederlausitz lebten.
Darüber hinaus würden nur 10 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die alljährlich das Niedersorbische Gymnasium in Cottbus abschließen, ausreichend Sorbisch sprechen. Weil nur noch 15 Familien die Sprache an ihre Nachkommen weitergeben, sei auch der intergenerationelle Spracherwerb abgebrochen.
Heftige Kritik an der Studie
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Die Sprachkompetenz am Niveau C1 und C2 des europäischen Referenzrahmens zu messen, wie es Vogt und Asmus gemacht haben, werde der Sprachwirklichkeit nicht gerecht, sagt Mĕto Nowak vom Sorbischen Institut in Cottbus. Außerdem lägen der Studie keine aktuellen empirischen Daten zugrunde.
Der beim Brandenburger Landtag angesiedelte „Rat für Angelegenheiten der Sorben/Wenden“ stellt klar: „Der Rat wird sich nicht an Spekulationen zu Zahlen von Sprecherinnen, Sprechern, Familien, Sorbinnen/Wendinnen und Sorben/Wenden beteiligen.“
In seiner Stellungnahme schreibt der Rat, dass davon auszugehen sei, „dass ein großer Teil derjenigen, die Niedersorbisch/Wendisch aktiv verwenden, nicht den in dem Text definierten Kompetenzstufen entspricht, weil etwa die älteren Muttersprachlergenerationen nie die Möglichkeit hatten, die Schriftsprache zu erwerben, und daher die Sprache vorwiegend mündlich gebrauchen.“
Was ist da also los in der sorbischen Community? Wird sie nun bunt und subkulturell und queer? Oder stirbt sie als Sprechergemeinschaft aus? Und was steckt hinter dem auf offener Bühne ausgetragenen Streit? Soll in Zukunft weniger in Brauchtumspflege als in den Spracherwerb investiert werden?
Videocall mit den beiden Autoren der Studie: Sabine Asmus legt Wert auf ihre Titel, einmal Professorin und dreimal Doktor, und sagt: „Die Kritik ist irrational. Da geht es um Dinge wie: Ich möchte noch ganz viele Jobs für meine Familie haben.“ Auch beklagt sie, dass es nun eine von der Volkswagenstiftung finanzierte Professur für Sorabistik an der, wie sie sagt, „elitären TU Dresden“ gebe. Deren Inhaber ist, das muss man wissen, Hauke Bartels, gleichzeitig Direktor des Sorbischen Instituts mit den Standorten Cottbus und Bautzen.

Ganz offenbar spielt also Konkurrenz um die Ressourcen eine Rolle beim Streit um den niedersorbischen Spracherwerb, der da entbrannt ist. Die Sorabistik an der Uni Leipzig sorgt sich nicht nur, dass es zu wenige Sprecherinnen und Sprecher gibt. Sie hat auch zu wenige Studierende für das Lehramt Niedersorbisch. Aus Brandenburg gab es in den vergangenen zwei Jahren keinen einzigen Bewerber. Aus Sachsen, für das das Fach Obersorbisch unterrichtet wird, sind es jährlich zwei bis vier.
Das ist tatsächlich dramatisch. Ohne Studierende keine Lehrerinnen, ohne Lehrer kein Sprachunterricht. Etwa 70 bis 80 Lehrerinnen und Lehrer für Niedersorbisch gibt es derzeit in Brandenburg, 50 von ihnen gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand. Der größte Teil des Unterrichts ist Sorbisch als Fremdsprache, zwei Stunden die Woche, da kommt natürlich keiner auf C1 und C2. Am Niedersorbischen Gymnasium in Cottbus gehen jährlich 30 Schülerinnen und Schüler mit Sorbisch bis zum Abitur ab. Dieser Anteil müsse steigen, um mehr junge Leute für das Lehramtsstudium zu begeistern, fordern Vogt und Asmus. Auch müsse das Sprachniveau der Lehrerinnen und Lehrer besser werden.
All dem würde Mĕto Nowak vom Sorbischen Institut nicht widersprechen. Dennoch, sagt er, komme die Studie zu einer Zeit, in der viele Anstrengungen unternommen werden. „Mit den Strukturfördermitteln der Lausitz können wir für die Dauer von zehn Jahren eine umfassende Sprachplanung vorantreiben“, sagt Nowak der taz. Er verweist zudem auf das Projekt „Zorja“ (Morgenröte). Dort lernen Erwachsene ein Jahr lang als Stipendiaten Niedersorbisch und können sich dann zu Lehrkräften an Grundschulen weiterbilden. „Sorbisch wird gerade wieder attraktiv“, sagt Nowak und verweist auf die subkulturelle Szene in Cottbus, auf die queere Vogelhochzeit oder auf die Filmemacherin Grit Lemke, deren Dokumentarfilm „Bei uns heißt sie Hanka“ einen wichtigen Beitrag zur Debatte um sorbische Identität leistet.
Wird sorbisch also sexy – und nur die Sorabisten in Leipzig haben es nicht mitbekommen?
Nachfrage doppelt so hoch
Anruf bei Grit Lemke: Selbst hat die in Spremberg geborene und in Hoyerswerda lebende Filmemacherin und Autorin (Kinder von Hoy) 2017 angefangen, Niedersorbisch zu lernen – in der Cottbuser Schule für Niedersorbische Sprache und Kultur. „Damals waren es keine 50 Leute, heute sind es mehr als doppelt so viele“, freut sie sich.
Auch Projekte wie das bereits 1998 gestartete Projekt „Witaj“ mit spielerischem Unterricht in Kitas und Schulen seien wichtig. „Oft sind es die Eltern von Witaj-Kindern, die jetzt bei Zorja richtig Niedersorbisch lernen“, sagt Lemke. Das Interesse sei inzwischen riesig. „Wenn ich mit meinem Film unterwegs bin, ist es immer voll.“
Genauso wichtig wie die Sprache ist Lemke die Identität. „Bislang ist immer nur von der sorbischen Minderheit die Rede“, kritisiert sie. „Warum reden wir nicht von einer sorbischen Region? Warum lernen nicht alle, die in der Lausitz leben wollen, Sorbisch?“ Sorbisch müsse etwas Selbstverständliches werden. „Nicht nur einmal im Jahr die Tracht anziehen und zampern gehen oder Ostereier bemalen. Das ist für die Jungen nicht attraktiv.“
Ein Beispiel dafür, wie sich das Sorbische nicht nur sprachlich, sondern auch kulturell entwickelt, ist für Lemke das Kolektiw Wakuum. „Da ist viel Bewegung drin. Das ist in erster Linie aber nicht von den sorbischen Institutionen ausgegangen.“
Einen Paradigmenwechsel fordert Lemke. Zumindest da ist sich die Aktivistin mit dem universitären Spracherwerb einig. Auch Sabine Asmus ist es wichtig, dass Sorbisch attraktiver wird. „Gerade in Cottbus muss das über die zweisprachigen Straßenschilder hinaus sichtbar werden. Das kann die Neugierde erhöhen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tödlicher Polizeieinsatz in Oldenburg
Drei Schüsse von hinten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
Berlin, Paris, London: Gaza-Blockade „untragbar“
Kampf gegen die Erderhitzung
In Europa macht sich der Klima-Fatalismus breit
Konsum von Geflügelfleisch
Der Chickenboom ist gefährlich für Mensch und Tier
Mindestlohn
Die SPD eiert herum
Brandsätze in Luftfracht
Russischer Militärgeheimdienst soll verantwortlich sein