Sondierungsgespräche für Jamaika: Erst mal Witterung aufnehmen
Am Mittwoch beginnen die Sondierungen zwischen Union, Grünen und Liberalen. Was geht da vor, was passiert, wenn Jamaika scheitert?
Gut drei Wochen sind seit der Bundestagswahl vergangen, an diesem Mittwoch beginnen nun die Sondierungsgespräche für eine mögliche Jamaika-Koalition. Die wichtigsten Fragen dazu im Überblick.
Wo wird geredet?
Die Sondierungsteams für Jamaika treffen sich in der Parlamentarischen Gesellschaft. Das ehemalige Reichstagspräsidentenpalais steht direkt neben dem Reichstag. Die Verhandler tagen im Kaisersaal im ersten Obergeschoss. Kronleuchter, Lesesaal, Kaminzimmer, Garten zum Durchatmen – das Ambiente ist gediegen. Es gibt genug Nebenräume, in die sich kleine Gesprächsgruppen zurückziehen können, wenn es hakt. Einen ungemütlichen Job haben die Journalisten. Sie harren im Oktoberwetter vor der Tür aus, um an Informationen zu kommen.
Wie ist der Zeitplan?
Diese Woche bildet nur den Auftakt. An diesem Mittwoch spricht erst eine 5 + 5-Runde aus CDU und CSU mit Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer an der Spitze mit der FDP, danach mit den Grünen. Am Donnerstag sondieren FDP und Grüne gemeinsam. Und am Freitag tagt ab 16.30 Uhr erstmals die große Runde. Über fünfzig VertreterInnen der vier Parteien werden dabei sein. Ansage: „Ende offen.“ Das Treffen wird also bis in den späten Abend dauern. Das ist, wie gesagt, nur der Auftakt: Kanzlerin Angela Merkel rechnet damit, dass die Sondierungen „mehrere Wochen“ dauern. Am Ende stünde die lose Verabredung: Okay, lasst es uns versuchen. Dann käme die größere Herausforderung: die Koalitionsverhandlungen. Dort verhandeln Arbeitsgruppen akribisch die Inhalte des Koalitionsvertrages, Spiegelstrich für Spiegelstrich.
Wann gibt es eine neue Regierung?
Angestrebtes Ziel ist das Jahresende, das gilt aber als ehrgeizig. Schließlich verhandeln vier unterschiedliche, hoch sensible Partner. Seehofer ist angeschlagen, die Grünen sind nervös, die FDP ist personell schwach auf der Brust. Die Grünen lassen zum Beispiel einen Parteitag darüber abstimmen, ob sie Koalitionsverhandlungen aufnehmen. Über den fertigen Koalitionsvertrag sollen die gut 60.000 Mitglieder entscheiden. So viel Demokratie kostet Zeit.
Wer redet mit?
Alle drei Parteien gehen mit unterschiedlich großen Teams an den Start. Allein die Union bringt 29 Leute mit, 18 von der CDU und elf von der CSU. Die Grünen treten mit einem vierzehnköpfigen Team an, das fein nach Geschlecht und Strömung ausbalanciert ist. Die Leitung haben Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt. Die Liberalen kommen im Slimfit-Format. Neben Parteichef Christian Lindner nehmen sein Vize Wolfgang Kubicki, Generalsekretärin Nicola Beer und Parlamentsgeschäftsführer Marco Buschmann teil. Das Team soll aber bei den einzelnen Gesprächen jeweils um mindestens zwei Politiker aufgestockt werden.
Worum geht es?
Diese Woche geht es um Atmosphärisches. Wie ist Seehofer drauf? Doziert Lindner? Wie skeptisch gibt sich Trittin? Alle Parteien haben Vorlieben, die sie unbedingt durchdrücken wollen – und No-Gos. Die Grünen brauchen zum Beispiel unbedingt vorzeigbare Erfolge beim Klimaschutz, etwa beim Kohleausstieg. Die FDP will den Solidaritätszuschlag schnell abschaffen – also eine Steuersenkung. Und die CSU wird auf eine harte Linie in der Flüchtlingspolitik drängen. Merkel muss die Interessen und Eifersüchteleien ausbalancieren. Intern haben sich die Verhandler vorbereitet – und ihre Wünsche priorisiert. Was lasse ich mir zur Not abverhandeln? Was ist für mich unverzichtbar? Diese Agenda wird von allen Beteiligten gehütet wie ein Staatsgeheimnis.
Auf wen kommt es an?
Wichtig sind die Bosse, klar. Merkel. Seehofer. Lindner. Özdemir und Göring-Eckardt. Aber keiner von ihnen kann Entscheidungen im Alleingang treffen. Seehofer zum Beispiel wackelt. Er musste am Montag im CSU-Vorstand darum bitten, die Debatte über seine Zukunft auf die Zeit nach den Koalitionsgesprächen zu vertagen. Er agiert also auf Abruf. Die beiden Ober-Grünen gehören zum Realo-Flügel ihrer Partei, und sie wissen: Ohne das Ja der Linksgrünen hätte Jamaika auf einem Parteitag keine Chance. Sie müssen deshalb eng mit ihren linksgrünen ParteifreundInnen Anton Hofreiter, Claudia Roth und Jürgen Trittin kooperieren.
Kann das Ganze scheitern?
Klar. Es gibt jede Menge Punkte, die heikel sind. Die obergrenzenverliebte CSU trifft auf Grüne, die sich für ihre humanitäre Flüchtlingspolitik loben. Alle Partner in spe bemühen sich allerdings seit Tagen, keine roten Linien zu ziehen. Motto: Runter von den Bäumen, ab jetzt wird gearbeitet.
Und wenn doch?
Wenn Jamaika scheitert, bleibt noch eine Neuauflage der großen Koalition. Das hat die SPD schon am Wahlabend ausgeschlossen. Ob sie sich im Fall der Fälle doch anders entscheiden würde, ist reine Spekulation. Wenn nicht, gäbe es wohl Neuwahlen. Die will aber keiner.
Und sonst? Hier lesen Sie, wie die Grünen sich mit der FDP um den Soli zanken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!