Sonderparteitag der Grünen: "Es dürfen nicht alle nur Atom machen"
Die Grünen müssen sich auf ihrem Sonderparteitag nicht nur um den Atomausstieg, sondern auch um die Eurokrise kümmern, fordert ihr Finanzpolitiker Gerhard Schick.
taz: Herr Schick, die Eurokrise scheint bei den Grünen nicht wichtig zu sein. Auf dem Sonderparteitag nächsten Samstag sollte anfangs nur der Atomausstieg debattiert werden.
Gerhard Schick: Jetzt gibt es aber auch einen Leitantrag zur Schuldenkrise in Europa.
Trotzdem hat man den Eindruck, dass sich Fraktionschef Jürgen Trittin und Parteichef Cem Özdemir vor allem auf den Atomausstieg konzentrieren, um bei der Basis zu punkten und den internen Machtkampf zu entscheiden.
GERHARD SCHICK, 39, ist promovierter Volkswirt und sitzt für die Grünen seit 2005 im Bundestag. Er ist finanzpolitischer Sprecher der Fraktion und rechnet sich zum linken Parteiflügel.
Der Atomausstieg ist eines der grünen Kernthemen. Aber natürlich muss eine Partei, die 25 Prozent in den Umfragen erreicht, breit aufgestellt sein. Die Grünen brauchen ein klares wirtschafts- und finanzpolitisches Profil. Es dürfen nicht alle nur Atom machen.
Was sieht der Leitantrag zur Eurokrise vor?
Es reicht nicht, in den Krisenländern nur Sparpolitik zu betreiben, die zudem sozial unausgewogen ist. In Griechenland benötigen wir zusätzlich ein Investitionsprogramm, das auch zu einer ökologischen Neuausrichtung der Wirtschaft führt - also einen Green New Deal.
Wie viele Milliarden wollen Sie in Griechenland investieren?
Allein im europäischen Haushalt sind noch rund 16 Milliarden Euro vorhanden, die Griechenland eigentlich als Investitionsmittel zustehen, die aber noch nicht abgerufen wurden. Denn der griechische Staat hat nicht mehr das Geld, die Kofinanzierung für die Projekte aufzubringen. Diese Mittel könnte man umwidmen und freigeben.
Ein Investitionsprogramm von 16 Milliarden Euro würde doch nichts daran ändern, dass Griechenland pleite ist?
Wir brauchen auch eine Umschuldung. Aber es reicht nicht, nur eine reine Laufzeitverlängerung bei den Staatsanleihen vorzunehmen, wie Finanzminister Schäuble es vorschlägt. Die Banken müssen Abschläge hinnehmen, die den jetzigen Kursverlusten entsprechen, die griechische Staatsanleihen auf den Finanzmärkten einfahren. Man muss den Banken sichere Euro-Anleihen anbieten, die sie zu den jetzigen Niedrigstkursen gegen griechische Staatsanleihen eintauschen können - freiwillig.
Schwarz-Gelb dürfte sich nicht an den grünen Parteitagsbeschluss halten. Trotzdem scheint Trittin schon Zustimmung zu signalisieren, um Regierungsfähigkeit zu beweisen?
Wir können auf dem Parteitag nicht klären, wie wir uns zu Vorschlägen der Regierung verhalten, denn diese liegen nicht vor. Klar ist: Vieles, was die Bundesregierung aktiv vorantreibt, widerspricht dem, was wir Grünen vorschlagen, und verschärft die Wirtschafts- und Finanzkrise.
Aber ist der Leitantrag nicht obsolet, wenn die Fraktion am Ende durchwinkt, was die Regierung auf EU-Ebene vereinbart?
Wichtig ist, dass wir die Debatte nicht länger den Europakritikern überlassen. Der Parteitag ist eine Chance, für unsere proeuropäische Position zu werben und auf die verfehlte Politik hinzuweisen, gegen die viele Menschen zu Recht auf die Straße gehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind