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Sommerserie Großstadtrevier (4)Brandenburg ist angefressen

Naturschützer und Landwirte streiten sich um den richtigen Umgang mit dem Biber – etwa darüber, wann der Nager abgeschossen werden darf.

Baut weniger Burgen als gedacht: Biber in Brandenburg. Foto: dpa

Plötzlich bleibt Burghard Sell stehen. Vorsichtig biegt er eine Brombeerranke zur Seite und zeigt auf die steil zur Nuthe hin abfallende Uferböschung. „Jetzt keinen falschen Schritt mehr, sonst stecken Sie bis zum Bauch in Bibers Wohnzimmer.“ Verschreckt sucht das ungeübte Auge den Boden ab und sieht außer Brennesseln, Dornen und einem vertrockneten Holunderbusch – nichts.

Burghard Sell, ehrenamtlicher Biberbetreuer beim Naturschutzbund (Nabu) Brandenburg, lächelt vergnügt. „Sie dachten, dass Biber Burgen bauen, stimmt’s?“, sagt Sell, der seit 2006 die Biberreviere an der Nuthe in Potsdam betreut. Klar, so steht es ja selbst in jedem Kinderbilderbuch! „Stimmt aber leider nicht“, frohlockt Sell. Solange die Tiere eine genügend hohe Uferböschung zum Eingraben vorfänden, hielten sie sich nicht unnötig mit komplizierten Bauaktionen im Wasser auf: „Erdbaue sind ihnen viel lieber.“

Bis zu einem Meter Durchmesser hat so eine Wohnhöhle, meist sind mehrere durch ein Tunnelsystem verbunden: „Den Bau, auf dem wir jetzt stehen, haben die Biber aber kürzlich aufgegeben“, erklärt Sell. Er ist täglich in „seinem“ Revier unterwegs, direkt gegenüber den Plattenbauten des Plattenbaugebiets Schlaatz, wo er auch wohnt. Sell scharrt mit der Fußspitze im märkischen Ufersand: Der Boden, „diese alte Sandbüchse“, sei über den Tunneln nachgesackt – deshalb nun auch die Einsturzgefahr.

An der Nuthe gehen die bis zu einem Meter langen und rund 30 Kilogramm schweren Nagetiere inzwischen mit einem beachtlichen Arbeitseifer zu Werke. Drei Biberpärchen hat Experte Sell gezählt. Sechs Wasserkilometer, von der Mündung der Nuthe in die Havel im Zentrum von Potsdam flussaufwärts, haben die monogam lebenden Pflanzenfresser für ihre Zwecke urbar gemacht: Tunnel gegraben, Wohnhöhlen angelegt, Pfade zu Futterplätzen ins Unterholz geebnet.

„Die Biber mögen die Stadt“, sagt Sell. „Auf dem Land finden sie viel Monokulturen, Mais- oder Rapsfelder. Hier ist die Pflanzenvielfalt größer.“

Und: Nicht nur an der Nuthe ist der Biber zurück. Kurz nach der Wende 1989 bis auf wenige hundert Tiere beinahe ausgerottet, wird der Bestand in Brandenburg vom Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (LUGV) inzwischen auf etwa 3.300 Tiere geschätzt. Der Biber steht auf der Liste der streng geschützten Arten: Das Fangen, Nachstellen und Töten ist laut Bundesnaturschutzgesetz verboten.

Das gefällt nicht allen. Landwirte klagen über Fraßspuren in den Äckern und vernässte Felder, weil der Biber die Entwässerungsgräben aufstaue und das Wasser nicht mehr abfließen könne. Anwohner in Hochwassergebieten ängstigen sich, die Biber würden mit ihren Gängen die Deiche kaputt machen. Sie durchlöcherten Straßen- und Bahndämme wie einen Schweizer Käse. Aus dem Amt Barnim-Oderbruch hieß es im Frühjahr, Straßen und Wege seien zum Teil unpassierbar geworden.

Allerdings darf der Biber ob seines strengen Schutzstatus‘ nicht oder, wie es seit Mai in Brandenburg der Fall ist, nur im Ausnahmefall vergrault oder gar getötet werden (siehe Interview unten). Das sorgt für viele Konflikte zwischen Mensch und Umwelt, die gelöst werden wollen. Man könnte auch sagen: Der Biber entwickelt sich in Brandenburg zu einer regelrechten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. So beschäftigt der Nager Ehrenamtliche wie Sell, die für das LUGV gegen eine kleine Aufwandsentschädigung die Biberpopulation statistisch erfassen.

In den Kreisverbänden des Nabu wiederum besänftigen die Mitarbeiter wütende Bürger und versuchen, Landwirten die Sinnhaftigkeit von Präventionsmaßnahmen gegen den Biber nahezulegen. „Ein zehn Meter breiter Grünstreifen zwischen Feld und Flussufer reicht schon, und der Biber wird sich kaum noch die Mühe machen, ins Maisfeld zu wandern“, sagt Christiane Schröder, Geschäftsführerin beim Nabu Brandenburg. In Deichen und Dämmen könnten Gitter und Steinschüttungen verhindern, dass ein Biber sich dort einrichten könne.

Immerhin schaffen die Scharmützel zwischen den verschiedenen Interessengruppen nun sogar zwei bezahlte Vollzeitarbeitsplätze: Das LUGV von Minister Jörg Vogelsänger (SPD) sucht zum 1. September zwei hauptberufliche Bibermanager. Stellenbeschreibung: vermitteln, die Wogen glätten zwischen Naturschützern und jenen, die mit der Natur als bewirtschaftetem Kulturland in erster Linie Geld verdienen müssen.

taz-Serie Großstadtrevier

Sie sind überall. Manche sehen wir jeden Tag, manche so gut wie nie. Andere werden uns in Zukunft noch häufiger über den Weg laufen. Berlin ist nicht nur das Zuhause für dreieinhalb Millionen Menschen, sondern auch für unzählige Tiere: Füchse und Falken, Ratten und Schweine, Katzen und Spatzen. Für Sie legen wir uns auf die Lauer, lesen Fährten und schielen in Nester: Diese Sommerserie wird animalisch.

Bereits erschienen: Betrachtungen über den Fuchs (21. Juli), Recherchen über den Migrationshintergrund der Berliner Fauna (28. Juli) und ein Essay über die Frage, ob Katzen auch Raubkatzen sind (5.August).

Im Landkreis Märkisch-Oderland lebt rund die Hälfte der Brandenburger Biber. Tatsächlich sind die Spuren, die der stattliche Nager hinterlässt, hier weniger dezent als an der Nuthe in Potsdam. Wer im Oderbruch unterwegs ist, sieht: Kaum eine Weide an den Flussufern, die nicht Rinde lassen musste. Der Gewässer- und Deichverband Oderbruch (Gedo) bezifferte die Kosten zur Beseitigung von Biberschäden für das Jahr 2013 auf rund 100.000 Euro. 2007 seien es noch 17.000 Euro gewesen.

Während sich die Naturschutzverbände über die erholte Population freuen, fordert der Landesjagdverband inzwischen, den Biber ins Jagdgesetz aufzunehmen. Prävention sei ja gut und schön – doch der Bestand sei längst stabil genug für eine Bejagung, heißt es in einem kürzlich veröffentlichten Positionspapier.

Für Biberbetreuer Sell wäre das „der mit Abstand dümmste Weg“, die Biberbevölkerung künstlich klein zu halten. Ohnehin mag er das von Landwirten gerne bemühte Wort „Überpopulation“ nicht: Wenn der Biber ein natürliches Nahrungsangebot vorfinde, regele die Natur den Bestand schon von ganz allein durch das simple Prinzip von Angebot und Nachfrage.

Nur ist dort, wo sich der Biber einrichtet, eben meist auch der Mensch zu Hause – eine WG, in der die Bewohner durchaus unterschiedliche Vorstellungen über die Gestaltung ihres Vorgartens haben.

An den Stellen, an denen sich die Nuthe dichter an die Wohnsilos des Schlaatz heranschlängelt, ist der Uferstreifen zugänglicher: fast kein Unterholz mehr, dafür zwei breite Fahrspuren. Im vergangenen November hat das Wasser- und Bodenamt hier Tatsachen geschaffen. Begründung für die Aufräumaktion: Die vielen ins Wasser hängenden Zweige sorgten dafür, dass das Wasser nicht mehr abfließen könne – im Hochwasserfall ein Problem.

Im Prinzip richtig, sagt Nabu-Geschäftsführerin Schröder. „Doch dem Biber fehlt hier jetzt ein Großteil der Nahrungsgrundlage.“ Einzelne Äste zurückzuschneiden, die ins Wasser hängen, „das hätte es durchaus auch getan.“

Neuer Zündstoff

So hat die Aktion vor allem eins gebracht: Neuen Zündstoff in die Biberdebatte und Mehrarbeit für die Naturschützer. Denn die hungrige Biberfamilie macht sich nun an den Eichenbäumen am Ufer zu schaffen. Dabei sei das doch ganz einfach zu verstehen, sagt Sell: „Wir nehmen dem Biber seinen Lebensraum, also nutzt er unseren. Der ist ja nicht blöd.“

Mit anderen Worten: Der Biber macht Arbeit, eine ganze Menge sogar, weil er nicht in eine extensiv genutzte Kulturlandschaft passt, wie sie der Mensch geschaffen hat. Doch wie viel Arbeit er macht, das hat wiederum der Mensch in der Hand.

Und er könnte die Arbeitskraft des Bibers sogar nutzen, statt gegen ihn zu arbeiten. Bei der Renaturierung von künstlich begradigten Flüssen sei der Biber quasi Experte, sagt Schröder. Bauten und ins Wasser gezogene Äste sorgten von ganz alleine für einen mäandernden Fließverlauf. „Eine gezielte Nutzung des Bibers ist aber schwierig“, schränkt Schröder ein. Und Burghard Sell betont, dass der Bibereben ein anderer Landschaftsgärtner sei als der Mensch.

Geschmack hat er jedenfalls, der Biber: hübsch, wie er die Zweige um sein ehemaliges Wohnzimmer unterm Holunderbusch drapiert hat. Als im November die Maschinen des Wasser- und Bodenamts anrückten, den Holunderbusch entwurzelten und so auch die Decke seines Erdbaus beinahe zum Einsturz brachten, hat er dann aber lieber ein paar Kilometer weiter die Nuthe hinauf neu gebaut. Er ist ja nicht blöd.

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