Sommerserie Großstadtrevier (3): Keine Angst vorm Serienkiller
An Katzen, häuslichen wie verwilderten, scheiden sich die Geister. Wollen die nur spielen – oder einen Massenmord unter Kleintieren anrichten?
Katzen – wer mag sie nicht? Tapsig als Babys, später elegant und immer samtweich, so wie Nachbars Getigerter, der gerade ein lustiges buntes Bällchen durch den Vorgarten rollt. Na, du Süßer? Was hast du denn da? Ja, was … aber … das ist ja das Köpfchen von einer Blaumeise! Pfui! Böser Kater!
Katzen – Killer im Schmusetierpelz. Lässt man sie vor die Tür, richten sie ein Massaker an. Nicht nur unter Mäusen, die keine allzu große Lobby haben, sondern auch unter Singvögeln, Eidechsen, Fröschen. Unter anderem deswegen gibt es ziemlich viele Menschen, die Katzen überhaupt nicht mögen. Im Netz wettern sie gegen die Krallenträger und die Schneise der Verwüstung, die diese in unsere Artenvielfalt ziehen.
Sie zitieren Studien wie jene, nach der Katzen in den USA zwischen 1,4 und 3,7 Milliarden Vögel im Jahr töten. Milliarden! Eine entsprechend kleinere, aber immer noch stattliche Zahl geistert für Deutschland herum: 200 Millionen Vögel bringen die geliebten Raubtiere demnach alljährlich zur Strecke.
Voller Genugtuung dürften die Verteidiger des Ökosystems daher Aktionen wie die der australischen Regierung zur Kenntnis nehmen: Die plant gerade die Tötung von bis zu zwei Millionen verwilderten Katzen, ein Zehntel der Gesamtpopulation auf dem Kontinent. Man habe „wild lebenden Katzen den Krieg erklärt“, sagte Australiens Artenschutzbeauftragter.
Aber Australien ist weit weg. Wie viele Katzen in Berlin leben – mit und ohne Besitzer –, darüber gibt es keine exakten Zahlen. Schlüsse kann man aus den Angaben ziehen, die der Industrieverband Heimtierbedarf (IVH) für ganz Deutschland macht. Mit zurzeit fast 12 Millionen Hauskatzen rechnet der IVH auf der Basis des verkauften Futters – auf Berlins Bevölkerungsanteil umgelegt, käme man hier auf eine halbe Million Hauptstadt-Miezen, von denen ein unbekannter Anteil als Freigänger auf die Pirsch geht.
Die Maus ans Bett
Sie sind überall. Manche sehen wir jeden Tag, manche so gut wie nie. Andere werden uns in Zukunft noch häufiger über den Weg laufen. Berlin ist nicht nur das Zuhause für dreieinhalb Millionen Menschen, sondern auch für unzählige Tiere: Füchse und Falken, Ratten und Schweine, Katzen und Spatzen. Für Sie legen wir uns auf die Lauer, lesen Fährten und schielen in Nester: Diese Sommerserie wird animalisch.
Bereits erschienen: Betrachtungen über den Fuchs (21. Juli) und den Migrationshintergrund der Berliner Fauna (28. Juli).
Da kommt einiges an Beute zusammen, das wissen die Halter am besten. Sie bekommen ja die toten Mäuse ins Bett gebracht oder müssen das Spatzenküken vor den todbringenden Fängen retten. Dabei hatten sie ihrem Liebling doch gerade Kaninchen in Gelee aus der Portionstüte gequetscht! Für Jörns Fickel, Evolutionsbiologe am Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW), ist das kein Wunder: „Freilaufende Hauskatzen haben das menschengemachte Naturschutzkonzept selbstverständlich nicht verinnerlicht. Die verhalten sich in der Freilaufphase so, wie sie es als Wildtier tun würden.“ Der Jagdinstinkt ist am Ende einfach stärker.
Zudem, so Fickel, gebe es in einer Stadt wie Berlin kein Regulativ. „In der freien Wildbahn regeln Futtermenge, Prädatoren und Krankheiten den Bestand. Futter liefert der Mensch, Krankheiten behandelt er auch, und Prädatoren sind ausgeschaltet.“ Füchse etwa könnten einen Katzenbestand theoretisch regulieren, aber die fänden ohnehin einen gedeckten Tisch vor: „Das Risiko des Kampfes mit einer Katze müssen sie nicht eingehen.“
Genug geschnurrt: Wie tief ist er jetzt, Berlins ökologischer Tatzenabdruck? Schauen wir erst mal dorthin, wo es mutmaßlich besonders wehtut, in der siedlungsnahen Natur. Hier will keine rechte Dramatik aufkommen: Bei den Berliner Forsten etwa sind gar keine Probleme bekannt, dabei fängt der Wald in einigen Bezirken gleich hinterm Gartenzaun an. Und in den Natur- und Landschaftsschutzgebieten, die sich übers ganze Stadtgebiet verteilen? Auch hier winken die Fachleute ab: „Es gibt in Berlins Naturschutzgebieten kein auffälliges Problem mit Katzen“, weiß Senatswildtierexperte Derk Ehlert.
Bekannt ist, dass Katzen vor allem unter Bodenbrütern aufräumen. Neben Rotkehlchen und Zaunkönigen gehört dazu auch die Feldlerche, die auf dem Tempelhofer Feld unter Schutz und Beobachtung steht. Hier weiß Anja Sorges, Berliner Geschäftsführerin des Naturschutzbunds (Nabu), Bescheid – und sie hat gute Nachrichten: „Seit der Öffnung haben wir keinen abnehmenden Bestand der Feldlerchen registriert.“
Entwarnung also für die geschützte Natur. Aber das Gemetzel in Gärten oder Hofanlagen? Wir fragen Lars Lachmann, Vogelexperte beim Nabu-Bundesverband. Er hält die Horrorzahlen für zu hoch: Bei 200 Millionen toten Vögeln dürfte in Siedlungsgebieten – wo die meisten Katzen leben – eigentlich gar nichts mehr herumflattern, sagt er und macht eine andere Rechnung auf: „Im Prinzip ist es egal, ob 2 oder 20 Millionen Vögel gefressen werden. Wichtig wäre zu wissen, ob das für die jeweilige Population zu viel ist.“ Soll heißen: Solange eine Vogelart Verluste etwa durch häufigeres Brüten ausgleichen kann, ist sie nicht bedroht. Sie produziert nur unfreiwillig Katzenfutter.
Alles gut also? Nicht ganz. Es sterben ja trotzdem zahllose Kleintiere einen, wenn das Wort erlaubt ist, sinnlosen Tod. Für verantwortungsvolle Katzenhalter haben die Naturschützer deshalb ein paar Tipps: Erstens, während der Brutzeit die Katze möglichst im Haus lassen. Zweitens, den Garten naturnah gestalten – je steriler, desto weniger Verstecke gibt es für Kleintiere. Ein paar dornige Zweige um den Baum halten die Katze vom Klettern ab, ein Netz oder Gitter kann den Sonnenplatz von Eidechsen schützen.
Drittens: Die Katze muss unters Messer. „Kastration ist eine gute Methode, um die enorme Reproduktionsrate der Katze in den Griff zu kriegen“, sagt Nabu-Chefin Anja Sorges. Tatsächlich vermehren sich Katzen extrem effektiv, wenn man sie lässt. Nach einer Modellrechnung könnte eine einzelne trächtige Katze in zehn Jahren eine Population von 80 Millionen Tieren begründen. So schlimm ist es in der Realität nicht, aber alle Experten stimmen darin überein, dass Geburtenkontrolle nottut: Es gebe bereits viel zu viele streunende Katzen in Berlin – und die sind die hartnäckigsten Jäger.
Horrende Zahlen wurden in den vergangenen Jahren genannt: Von „mehreren hunderttausend“ wild lebenden Katzen war oft die Rede. Aber müsste man da nicht auf Schritt und Tritt Kolonien begegnen wie in Rom oder Istanbul? „Wo diese Zahl herkam, weiß ich auch nicht“, sagt Evamarie König, Sprecherin des Tierschutzvereins für Berlin (TVB), der im Lichtenberger Ortsteil Falkenberg das Berliner Tierheim betreibt, „wir rechnen mit einigen zehntausend.“
Auch Gift ausgelegt
Auch das ist nur eine Schätzung. Laut König leben die Streuner eher im Verborgenen, auf Friedhöfen und verlassenen Industriegeländen oder in Kleingärten, die von den Pächtern gerade nicht genutzt werden. Der Tierschutzverein kümmert sich um sie: An 245 Stellen in der ganzen Stadt werden sie gefüttert, aber auch aufgegriffen, wenn sie krank oder trächtig sind.
Mensch und Katze, das ist eine lange Geschichte. Seit vermutlich 10.000 Jahren leben sie in Symbiose, die eine vertilgt Mäuse, der andere lässt sie bei sich wohnen.
Des Menschen Wertschätzung für das kleine Raubtier schwankte allerdings im Laufe der Zeit. Wurde sie im alten Ägypten noch regelrecht vergöttert, brachte das mittelalterliche Christentum Unheil für die Katze: Unter anderem wegen ihrer nächtlichen Aktivität wurde sie mit „Hexen“ und Dämonen in Verbindung gebracht und nicht selten auf dem Scheiterhaufen mitverbrannt. Auch in jüngerer Zeit flackerte bisweilen Hass auf. Die ersten Vogelschützer machten Ende des 19. Jahrhunderts Front gegen Katzen, und auch unter den Nazis gab es vereinzelt ideologische Hetze gegen die vermeintlich fremde, „orientalische“ Wesensart des beliebtesten deutschen Haustiers.
Das Internet fügte dem Katzenbild des Menschen eine neue Facette hinzu: Dank Lolcat-Memes und YouTube-Clips gilt die Mieze inzwischen als niedlich, nerdig und ein bisschen doof.
Die genaue Lage der Fütterungsstellen macht der Tierschutzverein nicht öffentlich: „Es kommt auch so schon oft genug vor, dass Anwohner oder Hauseigentümer Gift auslegen“, erklärt König, zudem würden die Mitarbeiter angefeindet, weil das Futter Ratten anziehe. Das sei aber Unsinn – im Gegenteil, die Katzen kontrollierten die Rattenpopulationen.
Seit Jahren fordern die Tierschützer eine Katzenschutzverordnung von der Landespolitik: Wie anderswo längst üblich, sollen dadurch auch Berlins Katzenhalter gesetzlich verpflichtet werden, ihre Tiere zu kastrieren, wenn die Zugang zum Freien haben. Das würde verhindern, dass Hauskatzen sich mit wildlebenden paaren, erklärt die Sprecherin. „Wir wissen nicht, warum man sich damit so schwer tut. So eine Verordnung tut doch niemandem weh.“
Auch die Grüne Claudia Hämmerling ist ratlos. „Es gibt immer wieder Aussagen der tierschutzpolitischen Sprecher von SPD und CDU, dass sie eine solche Verordnung befürworten. Aber ein konkreter Vorschlag ist mir nie bekannt geworden.“ Man scheue in der Landesregierung wohl die Kosten, die die Durchsetzung mit sich brächte. Und man habe die falschen Prioritäten: „Für Tierquälerei wie den mit 36 Millionen geförderten Mäusebunker an der Charité gibt es immer Geld. Für den Tierschutz nicht.“
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