Sommerserie „Berlin, deine Spätis“ (1): Hotte hat noch Hoffnung

Hottes Späti in Prenzlauer Berg ist von der Kündigung bedroht. Im gentrifizierten Kiez treffen sich dort die Normalos.

Hotte, Späti-Besitzer in seinem Kiosk

Hotte in seinem Späti in der Choriner Straße in Prenzlauer Berg… Foto: Lena Giovanazzi

BERLIN taz | Es gibt eine Diplomarbeit über die Berliner Spätis, die sehr hilfreich ist, wenn man Hottes Späti in der Choriner Straße 12 verstehen möchte. Der Kommunikationsdesigner Christian Klier hat sie vor einigen Jahren geschrieben und er ist darin zu erstaunlichen Erkenntnissen gekommen. Zum Beispiel, dass der durchschnittliche Berliner Spätverkauf Zigaretten im Wert von 8.200 Euro in seinem Laden vorrätig hat. Oder dass er im Schnitt 39 Quadratmeter groß ist.

Das Wichtigste aber, was Klier feststellt: 70 Prozent der Händler lassen ihre Kunden anschreiben. Überhaupt, so Klier, habe der Berliner Späti in der Stadt eine wichtige Funktion. Hier treffen sich auch in schicken Bezirken oft Menschen, die nicht genug Geld haben, um in die Kneipe gehen zu können. Viele Späti-Besitzer*innen kümmern sich um ihre Stammkund*innen, lassen sie duschen, wenn zu Hause mal wieder Strom abgestellt ist, oder kochen ihnen Weihnachten was Leckeres. Viele von ihnen, so Klier, erfüllen die Rolle von Sozialarbeitern.

Einer, der zu hundert Prozent in dieses Bild passt, ist Thomas Albrecht, den alle nur unter dem Namen Hotte kennen. 2004 hat er den seit 1995 existierenden Späti in der Choriner Straße 12 übernommen, der etwas schmuddeligeren Schwester der Kastanienallee an der Kiezgrenze zwischen Mitte und Prenzlauer Berg.

Wer Hottes Späti betritt, der wird zunächst einmal von Nostalgie überwältigt. Man weiß gar nicht, wohin man zuerst blicken soll: Ist es der Einkaufswagen voller Äpfel oder sind es die Zeichnungen des Ostberliner Comiczeichners OL an der Wand? Ist es der alte Sessel am Ofenrohr oder die Glastheke mit den leckeren Quiches und Stullen, was am meisten begeistert?

Hottes Späti mit angeschlossenem Café, das ist glasklar, gehört zur so genannten Kategorie der Ost-Spätis, die eigentlich auch gar nicht Spätis heißen, sondern Spätverkauf – oder, wenn man schon abkürzen muss, Spätkauf. Hottes Spätkauf hat es sogar als Drehort schon einmal vor zehn Jahren in einen Spielfilm geschafft, in Alex Ross’ „Tom Atkins Blues“, in dem die Pleite eines Spätkaufs dank Gentrifizierung beschrieben wird.

Wer Hottes Späti betritt, der wird zunächst einmal von Nostalgie überwältigt.

Der 42-jährige Ostberliner Hotte hat es nicht so mit der Kommunikation über digitale Endgeräte, das stellt sich schon bei der Verabredung heraus. Er hält es auch nicht so genau mit seinen Öffnungszeiten. Aber wenn er mal da ist, ist er voll und ganz für alle da. Er muss noch mit einigen Leuten reden, bevor er endlich Zeit hat für die Zeitung.

Die Leute, die hier ein und aus gehen, wirken zwar nicht unbedingt wie Hartz-IV-Empfänger, aber dennoch deutlich „normaler“ als an anderen Stellen in Prenzlauer Berg. Einige der Menschen, die hier oft abhängen, wird Hotte später erzählen, wohnen schon immer hier. Es ist, als sei Hottes Späti eine Art Anlaufstelle und Begegnungsstätte, einer der letzten Orte im Kiez, wo es noch vielfältig zugeht.

Und nach einer Viertelstunde ungefähr lässt Hotte sich natürlich auch ein auf das Gespräch mit der Journalistin, denn schließlich geht es an diesem Nachmittag nicht nur um seine Person und um seinen Späti, sondern ebenso darum, dass Hotte kürzlich Teil einer Initiative geworden ist.

Das Haus, die Choriner Straße 12, wurde am 26. Mai 2021 verkauft. „Vorher hat es einem Mann in der Schweiz gehört“, sagt Hotte, und dass im schlimmsten Fall nun wie im erwähnten Spielfilm die Schließung des Spätkaufs drohe, vielleicht auch das Ende der bekannten Kneipe Lassuns­freundebleiben nebenan, die Verdrängung der Hausgemeinschaft. Aber auch dank Hotte – der wie viele Gewerbetreibende in Berlin einen Mietvertrag hat, der von Jahr zu Jahr verlängert wurde, der hier nicht nur arbeitet, sondern auch mit seiner Familie wohnt – waren die Nach­ba­r*in­nen schon ziemlich aktiv.

Aussenansicht eines Spätkaufs in der Choriner Straße in Berlin

…mit angeschlossenem Café Foto: Lena Giovanazzi

Am 21. Juni, ansonsten traditionell Tag der Fête de la Musique, haben sie vor Hottes Spätkauf ein Kiezfest veranstaltet, bei dem sogar die Bolschewistische Kurkapelle Schwarz Rot aufspielte. In Zusammenarbeit mit der Genossenschaft Bremer Höhe möchten die Be­woh­ne­r*in­nen der Choriner 12 das Haus selbst übernehmen, und zwar im Rahmen der bezirklichen Prüfung des Vorkaufsrechts.

Dafür brauchen sie allerdings einen zinslosen Kredit für den genossenschaftlichen Bestands­erwerb. Das Problem ist, dass dafür in diesem Jahr die Mittel schon ausgeschöpft sind. Über eine eigens erstellte Webseite (choriner12.de) kann man sich derzeit Briefvorlagen an die zuständige Senatsverwaltung ausdrucken, um für das Haus zu trommeln.

Hotte ist eigentlich guter Hoffnung, dass es schon irgendwie klappen wird mit dem Haus, mit seinem Spätkauf auch.

Vom Spätverkauf Da kauft man ein, wenn man beim Einkaufen etwas vergessen hat. Und zwar bis spät in die Nacht, die in Berlin sowieso gern etwas länger sein darf. Ein Erfolgsmodell. Und eine sozialistische Errungenschaft: Schließlich entstand der Spätverkauf in den 1950er Jahren in der DDR, seit der Wende hat sich das liebevoll verknappte „Späti“ als Begriff etabliert, den man seit einigen Jahren sogar im Duden nachschlagen kann. Selbst in süddeutschen Städten wie München und Stuttgart soll der Begriff „Späti“ mittlerweile verwendet werden.

Zur Kiezkultur Trotz dieser Erfolge auch anderswo aber bleibt der Späti vor allem ein besonderer Bestandteil der Berliner Kiezkultur. Und ist damit Grund genug, sich in unserer Sommerserie einmal genauer in diesen Läden umzuschauen. Alle Folgen: taz.de/berlin/spätis-in-berlin.

Aber was würde er machen, wenn nicht? In der Tucholskystraße ist er aufgewachsen, eine Viertelstunde Gehweg von hier. Später hing er mit seinen Kumpels oft am Teute ab, dem Teutoburger Platz ganz in der Nähe. Beim Vorbesitzer seines Spätkaufs war er immer einkaufen, „beim Alex“, wie er sagt.

„Dann bin ich da irgendwie reingerutscht“, sagt er im schönsten, breitesten Ostberliner Slang. Trotzdem. Hotte ist ein echter Berliner, und echte Ber­li­ne­r*in­nen können mitunter unfassbar zäh sein. „Angst habe ich eigentlich keine“, sagt er. „Notfalls setze ich mich auch mal bei Rewe an die Kasse.“

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