Sommermode des mittelalten Mannes: Die Rache des Feinripps
Als Kind trug unser Autor auch im Sommer Jeans. Jetzt schwitzt er darin nur – und erkennt im Unterhemd die Windel des älteren Mannes.
Meine erste Blue Jeans bekam ich zur Einschulung. Als meine Mutter sie mir nach einer Woche wieder abnehmen wollte, um sie in die Waschmaschine zu stecken, verweigerte ich mich. Nie wieder würde ich eine dieser albernen, tatsächlich „Kinderhosen“ genannten, steifen, beigen oder bunten Polyester tragen. Es ging nicht in erster Linie um den Stoff, sondern um die Form, den Stil. Ich war jetzt ein Jeansjunge – und daran sollte niemand mehr etwas ändern.
Später, in den 1980ern, kamen Accessoires dazu – ein schwarzes Hemd, weiße Chucks oder beige Espadrilles -, aber die dunkelblaue Jeans blieb das Zentrum, um das sich mein angezogenes, nach außen getragenes Ich gruppierte. So kam ich bis vor ein paar Jahren meiner selbst einigermaßen sicher durch die mitteleuropäischen, im wesentlichen auch durch die mediterranen Sommer unseres Kontinents.
Und während jüngere Menschen oft gar nicht mehr wissen, was zum Beispiel eine 501 ist – wenn sie nicht gleich von „Boomer-Jeans“ sprechen -, fällt es mir jeden Morgen schwer, in einer davon wesentlich abweichenden Kleidungskombination das Haus zu verlassen.
Die toxische Verbindung von globaler Erwärmung, Gewichtszunahme und altersgemäßer Entkräftung hat diese Epoche beendet. Ich kann nicht mehr anziehen, was ich will, ich muss nun anziehen, was mich nicht wie eine Nacktschnecke eine feuchte Spur hinter mir her ziehen lässt.
Dabei sind für den nicht mehr jungen Mann die sommerlich-medialen Kleidungsempfehlungen immer noch recht eindeutig: Soweit im Büro arbeitend sind Oberbekleidung, die Körperbehaarung, und Schuhe, die Füße bedecken, obligatorisch.
Dass es in den sogenannten Kreativbranchen Verstöße gegen diese Grundsätze geben kann, wird zugestanden. Damit sind wir in meiner Blase, in der die kurze Hose – von T-Shirt, Tank Top, Kurzarmhemd und Sandale wollen wir gar nicht erst anfangen – inzwischen auch unter den älteren Semestern als zulässige Arbeitskleidung gilt.
Sehr oldschool
Und während ich mit dem (behütenden, panzernden – ich bin da offen für Analysen!) Gefühl aufgewachsen bin, dass Kleidung am Körper anliegt, muss ich nun akzeptieren, dass es in den neuen deutschen Schwitzesommern nichts Lindernderes gibt als wallende, wollene Bein- und Oberbekleidung, unter der angeblich die Luft zirkuliert. Meine erste Maßnahme gegen die Hitze war allerdings sehr oldschool.
Das (Feinripp-)Unterhemd war jahrzehntelang für mich der Inbegriff väterlichen Homedresses oder mütterlicher Abgefeimtheit, die meine Spielkameraden einst dazu zwang, unter (!) einem T-Shirt noch ein Unterhemd zu tragen. Ich besaß so was gar nicht – danke, Mama!
Später im Leben interviewte ich einen sehr gut aussehenden italienischen Krimiautor, der sich gar nicht genug beeumeln konnte über die spießigen Herren, die unter ihrem Poloshirt noch ein Unterhemd trugen. Ich glaube, er verglich es mit einem Kondom.
Das Unterhemd ist aber vielmehr die Windel des älteren Mannes: Es saugt wenigstens ansatzweise das auf, wofür man einst gar keinen Namen hatte, und was man heute widerwillig Rückenschweiß nennen muss, der in einschlägigen Internetforen in Bezeichnungen mündet, mit denen ich nicht assoziiert werden möchte. Das Unterhemd hat dabei auch dieses Gute, dass es den unteren meist weiß-dicklichen Bauchnabelbauch und, wenn lang genug, auch das ungute Herren-Dekolleté mit exponierter Poritze abdeckt.
Versuch der Würdebewahrung
Für den Zentralbereich habe ich allerdings keine Lösung gefunden. Ich mag sie einfach nicht, diese pyjamamäßigen Seidenhosen, diese sackaartigen Leinenkombinationen, diese Safari-Chinos meiner Altersgenossen. Ich sehe die Kostümierung, sehe durch den Versuch der Würdebewahrung hindurch, sehe dadurch vor meinem geistigen Auge Dinge, die ich nicht sehen möchte.
Mein Vater hat mir eine feine, schwarze Wollhose seines Sommertrachtenanzugs hinterlassen, die geht, aber alle anderen Versuche einer für mich tragbaren, langen Sommerhose sind gescheitert. Und wenn ich nach der Dusche in die Jeans steige, ist es wie der Eintritt in eine Heizröhre, eine Regenrinne, ein Fallrohr. Also ziehe ich mich wieder aus, stelle mich vor meinem vollen Kleiderschrank und habe nichts anzuziehen. Und stehe letztlich genau so nackt da, wie ich die anderen sehe.
Nacktheit ist aber keine Alternative, wenn man von den Möglichkeiten, die das Homeoffice bietet, einmal absieht (und die schneller als man denkt zu Peinlichkeiten führen können). Meine Überlegungen gehen deswegen in die Richtung: Einerseits muss Kleidung in einer zunehmend und notwendigerweise technisch geregelten Dienstleistungswelt nicht mehr auf Klimaanpassung aus sein; tendenziell werden wir uns eh hauptsächlich in Räumen und Fahrzeugen bewegen, die auf angenehme 20 Grad temperiert sind und überlassen Außenarbeiten KI und Robotern.
Andererseits, und das scheint mir interessanter zu sein, ist heute die eigentliche Kleidung der Körper. Im klimatisierten Gym, dem zentralen Sozialisationsort, vereinen sich Technik und Physis.
Die Generation meiner 20-jährigen Kinder trifft sich dort wie wir früher im Freizeitheim. Meine 11-jährige Tochter liebt an ihrem Sport Basketball nicht zuletzt, dass er drinnen stattfindet, während wir als Kinder immer draußen sein wollten (und sollten).
Ob er nun workoutmäßig modelliert oder körperpositiv exponiert wird – der Körper, nicht das, was ihn umhüllt, steht zumindest derzeit im Zentrum. Der Körper ist die Challenge, an ihm manifestieren sich Stil und Geschmack. Der Weg zum weniger Schwitzen bei hohen Temperaturen führt über den Schweiß, bis hin zum sogenannten „Hitzetraining“.
Um der Jeansjunge bleiben zu können, der ich war, müsste ich wieder werden wollen, was ich nicht mehr bin. Ich müsste an mir arbeiten, obwohl ich eh schon zu viel arbeite.
Und deswegen fahre ich jetzt erst mal in Urlaub, in kurzer Hose, ganz bestimmt viel barfuß und vielleicht sogar mal nur im Unterhemd.
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