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Sommerliche FischattackenDie Welslage

Heiko Werning
Kommentar von Heiko Werning

Ein Riesenfisch mit grusligen Barteln macht Schlagzeilen. Dabei geht es dem Wels bei uns eigentlich sehr gut, profitiert er doch vom Klimawandel.

Oberflächlich betrachtet ist am Brombachsee alles in menschlicher Hand und Ordnung Foto: Daniel Karmann/dpa

D roht jetzt ein „dritter Welskrieg“, wie die Zeit fragte? Immerhin sieht man dort in der klassischen Sommerlochgeschichte über Welse, die gerade mit einer gewissen Hartnäckigkeit fränkische Badegäste anraspeln, ein „politisches Lehrstück von shakespearescher Qualität“.

Oder sind diese kleinen Dramen nicht längst unser kollektiver Wels in der Brandung zu einer Zeit, in der es ein Sommerloch gar nicht mehr gibt?

Jeden Morgen öffnet man nervös die Nachrichtenseiten, um zu sehen, was der durchgeknallte US-Horrorclown wieder angestellt hat, und atmet erleichtert auf, wenn er nur ankündigt, im nächsten Jahr zum Nationalfeiertag am 4. Juli Käfigkämpfe vor dem Weißen Haus zu veranstalten. Dagegen wirkt die Posse über den durch die Polizei erschossenen Fisch wie ein Welsnessprogramm für die gestresste Seele. Welslage statt Weltlage.

Das Timing ist jedenfalls perfekt. Pünktlich zum 50. Geburtstag von „Der weiße Hai“ kommt der wackere Waller aus der Tiefe zwar nicht des Atlantiks am Myrtle Beach, sondern der eher seichten Gewässer des Badestrands am fränkischen Brombachsee.

Was ist los im fränkischen Badesee?

Es ist auch kein kriegstraumatisierter, besessener Haijäger, der das Tier am Ende mit der Harpune persönlich zur Strecke bringen will, sondern ein vermutlich etwas überforderter Dorfpolizist, der es mit der Dienstwaffe erschießt. Aber Urängste vom Monster aus dem Untergrund, das immer auch für die Bedrohung aus dem eigenen Unterbewusstsein steht, wecken die Geschehnisse eben doch, gepaart mit provinzieller Schmunzelkrimi­atmosphäre à la „Mord mit Aussicht“.

Doch wie in jedem guten Horrorstreifen ist das Happy End zunächst nur ein vermeintliches, denn jetzt kommt ein zweiter Riesenfisch – er müsste natürlich noch größer sein! – und nimmt Rache am nächsten arglosen Schwimmer.

Was ist da los im Badesee? Welsgeschichten sind auch deswegen so gut, weil kaum ­jemand in unserer Dienstleistungsgesellschaft noch die Natur in ihrer archaistischen Ausprägung in Form des wilden Tiers auf dem Schirm hat. Zumal nicht in Form eines am Grund lauernden Riesenfischs mit am Maul baumelnden tentakelartigen Barteln, die als hochsensible Sensoren dienen, um Beute oder, nun ja, Schwimmer zu detektieren.

Alles scheint gemanagt und geregelt bis ins Detail, bis wir plötzlich irritiert von Zwei- bis Dreimeterfischen erfahren, die im wörtlichen Sinne mitten unter uns schwimmen. Und zwar erstaunlich häufig, denn der Wels ist ein echter Klimawandelprofiteur.

Wie schmeckt Pudel?

Unsere Gewässer haben sich im Schnitt schon deutlich erwärmt, was den Wels frohlocken lässt, denn so wächst er schneller und kann früher zum Laichgeschäft schreiten, was die Überlebenschancen der bis zu 500.000 Eier anwachsen lässt. Der Wels ist zur Abwechslung also mal keine bedrohte Art, sondern fühlt sich pudelwohl im ­Anthropozän, und Pudel fräße er wohl auch, denn er verschluckt alles, was er nur kriegen kann.

Auch wenn die den Deutschen besonders entsetzende Hundemahlzeit in Wirklichkeit noch nie nachgewiesen wurde, finden sich allerlei Wirbeltiere von Schildkröten bis Tauben in seinem Magen. Eine Gefahr für Menschen geht trotzdem nicht von ihm aus, denn wo der Weiße Hai mit seinen jaws zuschlägt, hat der Wels nur Bürstenzähnchen, mit denen er höchstens kleinere Schürfwunden verursachen kann. Menschen greift er nur an, wenn sie seiner Brut zu nahe kommen. Wegen des niedrigen Wasserstands im Brombachsee stehen ihm seine bevorzugten Nistplätze unter am Ufer stehenden Bäumen derzeit nicht zur Verfügung, und so baut er seine Nester eben an den dortigen Schwimminseln.

Die Horrorattacke erfolgt also, und hier wären wir dann schon bei der prototypischen Monstersaga „King Kong“, nur aus Liebe, wenn auch aus elterlicher. Der vermeintliche Killerfisch ist einfach nur ein weiterer treusorgender alleinerziehender Vater, denn die Welsmutter hat sich nach der Eiablage flugs aus dem Schlamm gemacht. Weil uns das rührt, werden im Brombachsee nun die zur Welswiege umgewidmeten Badeinseln einfach für eine Weile gesperrt – und der Wels wird künftig wieder geangelt statt erschossen.

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Heiko Werning
Autor
Heiko Werning ist Reptilienforscher aus Berufung, Froschbeschützer aus Notwendigkeit, Schriftsteller aus Gründen und Liedermacher aus Leidenschaft. Er studierte Technischen Umweltschutz und Geographie an der TU Berlin. Er tritt sonntags bei der Berliner „Reformbühne Heim & Welt“ und donnerstags bei den Weddinger „Brauseboys“ auf und schreibt regelmäßig für Taz und Titanic. Letzte Buchveröffentlichung: „Vom Wedding verweht“ (Edition Tiamat).
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