Solidarität mit den Schwächsten: Das System geht uns alle an

Wie werden in unserer Gesellschaft kranke oder schlicht hilfsbedürftige Menschen behandelt? Diese Frage ist und bleibt zentral.

Pflegekräfte demonstrieren

Es geht uns alle an, wenn Menschen, die helfen wollen, nicht mehr können Foto: dpa

Wir glauben oft, dass es uns nichts angeht, in welchem Zustand das Gesundheitssystem ist, solange wir jung sind, gesund sind, solange niemand in unserer Familie, von unseren Freun­d*in­nen krank ist. Wir glauben, dass wir nicht davon betroffen sind, solange es uns nicht betrifft.

Vor zweieinhalb Jahren, als die Pandemie begann, merkten einige, dass das nicht ganz stimmt. So klatschten sie für die Menschen, die trotz Gefahr für die eigene Gesundheit und die ihrer Familien zur Arbeit gingen und die Kranken versorgten. Sie hörten, vielleicht zum ersten Mal, dass viele Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, nicht nur nicht zufrieden sind, sondern sich ständig am Rande des Burnouts bewegen. Heute, im dritten Jahr der Pandemie, sind viele Menschen in den ihnen lieben Zustand zurückgekehrt, in dem sie sich so wenig Gedanken wie möglich über Krankheit, Kliniken und Kran­ken­pfle­ge­r*in­nen machen ­müssen.

Dabei ist die Frage, wie in unserer Gesellschaft kranke Menschen, hilfsbedürftige Menschen behandelt werden, zentral. Sie sagt so viel mehr aus als nur darüber, wie das alles in der Praxis organisiert wird.

Diese Frage bestimmt, ob wir Krankheit als etwas sehen, das verwaltet wird, das ein kaputter Teil des Körpers ist, der wie bei einem kaputten Auto repariert werden muss. Oder ob wir den erkrankten Menschen als ganzen sehen, der fühlt, der glaubt, und der emotional versorgt werden muss, während das „kaputte“ Teil repariert wird.

Forschung für was?

Diese Frage bestimmt, ob erkrankte Menschen ihre Würde behalten, nicht zum Opfer werden, nicht zum hilflosen Objekt, sondern dazu angeregt und ermuntert werden, an ihre Kraft zu glauben, auch wenn sie Hilfe brauchen, an ihre eigene Gesundheit und Resilienz. Diese Frage bestimmt, in welche Forschung Geld gesteckt wird – nur in die Erkrankungen, an denen viel Geld verdient wird, oder in seltene Erkrankungen, die weniger Menschen betreffen, die aber genauso Behandlung brauchen, und bei deren Erforschung sich vielleicht Neues lernen lässt. Diese Frage bestimmt, ob Millionen Menschen tablettenabhängig werden, weil Tabletten Geld bringen: Warum soll man bei Schmerzen nicht gleich eine Tablette verschreiben, anstatt erst mal mit der Person zu sprechen?

Diese Frage bestimmt, welche Leistungen Krankenkassen vergüten, wie hoch unsere Beiträge sind, wofür die Gemeinschaft zahlt und wofür nicht. Sie bestimmt, ob wir in Zukunft überhaupt noch Menschen haben, die sich um Erkrankte kümmern, denn nur, wer in Würde arbeitet, kann auch Würde geben.

Diese Frage bestimmt, wie wir als Gesellschaft miteinander umgehen wollen, wie wir leben wollen. Ich habe an dieser Stelle zwei Jahre über all diese Themen schreiben dürfen. Diese Fragen, diese Aufgaben, verschwinden nicht, sie werden nur größer werden. Und wir sollten sie nie aus dem Blick verlieren. Denn sie gehen uns alle an.

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Ausgebildet als Ärztin und Politikwissenschaftlerin, dann den Weg in den Journalismus gefunden. Beschäftigt sich mit Rassismus, Antisemitismus, Medizin und Wissenschaft, Naher Osten.

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