Solidarität im Ukraine-Krieg: Wiederaufstehen als Lebensmodell

Yurii Korotun musste selbst vor dem Krieg fliehen. Nun gibt der Skateboarder ukrainischen Kindern in Hannover Unterricht in der Halfpipe.

Yurii Korotun, ein Skater mit langen Haaren und Mütze

Gibt ehrenamtlich Skate-Unterricht für ukrainische Kinder: Yurii Korotun Foto: Andrea Maestro

HANNOVER taz | Die Schlange der Neugierigen wird von Minute zu Minute länger. Sie möchten von ihm Helme, Schutzkleidung und gute Ratschläge im Empfang nehmen. Freitagnachmittag in einem entlegenen Industriegebiet von Hannover: Im Skaterpark Gleis D steht Yurii Korotun hinter einem Tresen und hilft mit klaren Anweisungen. Der 25-Jährige umkurvt die Wirren in der Ukraine, indem er geflüchteten Kindern und Jugendlichen aus seinem Heimatland kostenlosen Skate-Unterricht gibt.

„Ich bringe die Kinder zum Lächeln“, sagt Korotun. Als er mit seinem Aufwärmprogramm beginnt, machen alle brav mit. Die Kids finden Ablenkung von ihrem Leid und der Trennung ihrer Familien.

Sein Tempo ist beachtlich. Auf Rollen und auch sonst. Korotun verdient sein Geld als professioneller Boarder sowie als Produktionsassistent beim Drehen von Musik- und Werbevideos. Neben seiner flippigen Art überzeugt er mit der besonderen Gabe, durch die Luft zu fliegen und waghalsige Tricksprünge vorzuführen. Das lockt den Nachwuchs in Scharen an. Wenn der Yurii irgendwo am Start ist, verbreitet sich diese gute Nachricht wie ein Lauffeuer in der Stadt.

Kostenloser Unterricht bei einem Star in der Szene, dazu freier Eintritt im Gleis D – so nimmt Jugend- und Sozialarbeit ganz unkompliziert an Fahrt auf. Am Vortag war Korotun noch privat in Hamburg. Am Freitagvormittag musste er kurz zum Sozialamt. Am Nachmittag steht er gleich wieder ehrenamtlich beim Skaten im Mittelpunkt. Wer ihm zuhört, wenn er von seinen vielen Ausflügen, Ideen, Plänen und Zielen zuhört, riskiert angesichts der Wucht an Lebensfreude einen mentalen Schwindelanfall. Das ständige Hinfallen, Wiederaufstehen und Weitermachen beim Skaten überträgt sich in seinem Fall in ein Lebensmodell.

Mit Schwung durchs Leben

Braucht jemand wie Korotun eine Webseite für PR in eigener Sache? Nö. Bei Instagram kann er unter den Namen „jurasssick“ viel dynamischer und aktueller zeigen, was gerade abgeht. Yurii als Lehrer, Yurii als Vorturner, Yurii als Vater-Ersatz. Es ist nicht zu fassen, mit welchem Schwung der Mann durch ein Leben eilt, das ihn zutiefst traurig machen könnte. Seine Eltern leben weiterhin in der Nähe von Kiew. Sie fürchten Tag für Tag um ihr Leben. „Das Skateboarden ist das Erste, was mir geholfen hat, zu vergessen“, gesteht Korotun.

Als der Krieg ausbrach, war er gerade beruflich in der Türkei. Seine Freundin lebt in Hannover. Sein großes Ziel sind Reisen quer durch Europa zu großen Skateboard-Events und eine Zukunft in Los Angeles. Dort würde er am liebsten unterrichten, sich als Skater weiterentwickeln und neue Filme entstehen lassen. Nicht des Geldes wegen, sondern weil es ihm Spaß macht.

Yurii Korotun sammelt in diesen Tagen Spenden für die Ukraine, hilft geflüchteten Kindern über eine schwierige Zeit hinweg und versteht sich als Teil einer Bewegung auf Rollen. Ihm geht es um eine grundsätzliche Haltung. Das Skaten ist für ihn mehr Berufung als Beruf. Wenn es einer von der Ukraine über das Gleis D bis nach L. A. schafft, dann er.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.