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Soldaten sind schlecht in Geschichte

Verteidigungsminister Rühe verzichtet auf zusätzliche Überprüfung von Soldaten. Wehrbeauftragte Marienfeld vermißt ausreichend Distanz zur Wehrmacht. Rechtsextremismus in der Bundeswehr hat zugenommen  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) will nun doch auf eine zusätzliche Überprüfung von Soldaten auf ihre Verfassungstreue an bestimmten Stationen ihrer Laufbahn verzichten. In Bonn erklärte er gestern, nach sorgfältiger Prüfung erschienen die bereits bisher angeordneten Maßnahmen ausreichend. Eine Sonderregelung verspreche keinen Erfolg, der in einem angemessenen Verhältnis zur Störung des inneren Gefüges der Bundeswehr stehe.

Die Zahl der rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen Vorfälle in der Bundeswehr hat sich 1997 gegenüber dem Vorjahr vervierfacht. Das geht aus dem Jahresbericht der Wehrbeauftragten des Bundestages, Claire Marienfeld (CDU), hervor. Ihrer Ansicht nach kam diese Entwicklung jedoch „nicht völlig unerwartet, denn die Bundeswehr ist ein Bestandteil dieser Gesellschaft“. Ähnlich wie Minister Rühe argumentierte sie, die Soldaten seien schon bei ihrem Eintritt ins Militär von den Wertvorstellungen ihrer Umgebung geprägt.

Die 177 Verdachtsfälle 1997 lassen nach Ansicht von Claire Marienfeld sogar den Schluß zu, daß „die Gewaltbereitschaft in der übrigen Gesellschaft noch höher“ sei als in der Bundeswehr. Vorgesetzte forderte sie auf, durch „eine intensivere Dienstaufsicht, eine noch engagiertere politisch-historische Bildungsarbeit und durch ein höheres Maß an Fürsorge gegenüber ihren Untergebenen präventiv zu wirken“. Soldaten träten zum Teil ihren Dienst „mit bedrückender Unkenntnis“ über die deutsche Geschichte an. Zum einen liege das an Defiziten beim Schulunterricht, zum anderen sei größerer Einfallsreichtum im Bereich der politischen Bildung bei der Bundeswehr gefragt. „Ich denke nicht, daß die Stundenzahl angehoben werden sollte.“

Claire Marienfeld erklärte es für nicht hinnehmbar, in der Bundeswehr auch auf Formen der Traditionspflege zu stoßen, die zum Wertemaßstab des Grundgesetzes „in deutlichem Widerspruch“ stehen. Innerhalb der Bundeswehr werde die gebotene Distanz zur Wehrmacht nicht immer eingehalten. Verteidigungsminister Rühe wies diesen Vorwurf scharf zurück.

Die Wehrbeauftragte erneuerte die von ihrem Vorgänger und ihr selbst seit Jahren erhobene Forderung, den Traditionserlaß in die Zentrale Dienstvorschrift „Innere Führung“ aufzunehmen. In der Tatsache, daß diese Forderung bisher unerfüllt blieb, sieht sie eine „Mißachtung der parlamentarischen Arbeit und der Wehrbeauftragten“.

Ausdrücklich begrüßte die Wehrbeauftragte die „Bemühungen“ des Verteidigungsministeriums, Gewaltbereitschaft und Rechtsextremismus in den Streitkräften „unnachgiebig zu bekämpfen“. Auf Nachfrage bestätigte sie, ein Soldat sei in Detmold gemeinsam mit seinen Kameraden aus der Bundeswehr ausgeschlossen worden, obwohl er versucht hatte, diese an Gewalt gegen Ausländer zu hindern. Welche Folgen das für den jungen Mann habe, könne sie „im Moment nicht beantworten“. Gegen den Ausschluß habe sie „nichts unternommen“. Ein leitender Beamter ihrer Behörde sagte dagegen, das Amt habe beim Verteidigungsministerium gegen die Entlassung Bedenken angemeldet.

Soldaten seien verpflichtet, „Fehlverhaltensweisen“ zu melden, sagte die Wehrbeauftragte. „Dazu gehört nicht anonymes Denunzieren.“ Bekannt gewordene Vorfälle hätten gezeigt, „wie sehr Verschweigen der Bundeswehr insgesamt und den Soldaten schadet“.

Oppositionspolitiker sehen in den Ergebnissen des Jahresberichts Grund zur Sorge. Dieter Heistermann (SPD) erklärte, die Bundeswehr stecke in einer Krise. Die bündnisgrüne Abgeordnete Angelika Beer meinte, der Zustand der Bundeswehr habe sich verschlechtert. SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping hat erstmals Verteidigungsminister Rühe direkt angegriffen und ihm unzureichende Verfolgung rechtsradikaler Vorfälle in der Bundeswehr vorgeworfen. Kommentar Seite 12

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