Soldaten in der Ukraine: Ein Krankenwagen für die Kameraden
Für jeden getöteten Soldaten zahlt die Ukraine den Hinterbliebenen eine Entschädigung. Viele Familien spenden das Geld – etwa für die Truppen.
Oft beschließen Familien, einen Teil dieser Entschädigung für die Bedürfnisse der Armee zu spenden. Eine weitere Möglichkeit ist, dass die Ukrainer*innen dieses Geld für Infrastrukturprojekte in ihren Städten oder Dörfern ausgeben, damit sich mehr Menschen an den Einsatz der Soldaten erinnern.
Maria Peschko ist Mutter eines verstorbenen ukrainischen Soldaten. Sie hat die Entschädigung vom Staat für den Bau eines Fußballplatzes im Dorf Orwjanitza in der westukrainischen Region Riwne gespendet.
Maria war 40 Jahre lang Lehrerin an der örtlichen Schule. Auch ihr Sohn Iwan Kljuko hat diese Schule besucht. Maria weint die ganze Zeit, wenn sie von ihm spricht. Die Wunde durch den Verlust ihres einzigen Sohnes ist immer noch tief. Von Zeit zu Zeit huscht ein verhaltenes Lächeln über ihr Gesicht, dann erzählt sie, was für ein Mensch ihr Iwan war.
„Für mein Alter reicht das, was ich verdient habe“
Das erste Mal ging er 2014 an die Front. Iwan sagte, er würde gehen, um sein Land zu verteidigen. Er könne doch nicht zu Hause sitzen und die Hände in den Schoß legen. Nach der Demobilisierung arbeitete er im Ausland, wo er seine zukünftige Frau kennenlernte.
Im April 2022 unterschrieb Iwan zum zweiten Mal einen Vertrag bei der Armee und machte sich auf in den Krieg – als Flugabwehrschütze. Seine Mutter sah ihn nicht wieder. Der 35-jährige Sohn starb in der ostukrainischen Region Luhansk.
Nach der Beerdigung beschloss Maria, die Erinnerung an ihren Sohn wachzuhalten. Nachdem sie für Iwans Tod das Geld vom Staat erhalten hatte, begann sie einige Monate später, sich für den Bau eines modernen Fußballplatzes im Dorf zu engagieren. Im vergangenen Oktober wurde der Platz offiziell eröffnet. Das erste Spiel bestritten Iwans Kameraden, die für einige Tage von der Front zurückgekehrt waren.
„Ich habe nicht zwei Leben. Für mein Alter reicht das, was ich verdient habe. Um etwas von mir und meinem Sohn zu hinterlassen, habe ich beschlossen, für meine Dorfbewohner etwas Gutes zu tun. Dieser Platz ist die beste Erinnerung an Iwan“, sagt Maria Peschko.
Eine Geschichte wie diese ist in der Ukraine nicht ungewöhnlich. Ein Mitarbeiter der Abteilung für soziale Dienste in der westukrainischen Stadt Luzk, die die Entschädigungsfälle bearbeitet, sagt, dass in fast allen Fällen Angehörige fragten, wie sie Geld an Wohltätigkeits- oder Hilfsprojekte der Armee überweisen könnten.
„Wir haben in solchen Fällen kein Recht auf formelle Beratung, bitten jedoch um eine erneute Rücksprache mit der Familie. Sehr oft spenden Angehörige der Opfer an die Kampfeinheiten, in denen ihre Ehemänner oder Söhne gedient haben“, sagt ein anderer Mitarbeiter, der anonym bleiben will.
Eine Kirchenglocke für die Gemeinde
Auf den Seiten von Wohltätigkeitsstiftungen sind weitere Geschichten nachzulesen. Da ist zum Beispiel Nadeschda Derkat, eine 57-jährige Witwe aus der Region Wolhynien. Die über 350.000 Euro Entschädigung für den Tod ihres Mannes spendete sie der Armee. 50 Kamikaze-Drohnen, drei Aufklärungsdrohnen und eine Wärmebildkamera wurden an vier Brigaden an der Front übergeben.
„Während eines Urlaubs unterhielt sich mein Mann mit unserem Sohn über Zahlungen vom Staat im Todesfall. Mein Mann sagte: Was tun mit diesem Geld? Besser ist es doch, für das Militär Drohnen oder Autos zu kaufen, um den Soldaten ihren Dienst zu erleichtern. Daher war die Entscheidung, Geld an die Streitkräfte der Ukraine zu überweisen, wohl überlegt“, sagt Nadeschda Derkat.
Iwan und Jaroslawa Soltys aus der Stadt Sudowaja Vishnja verloren im Krieg ihren einzigen Sohn Wladimir, er hatte sich freiwillig für einen Einsatz an der Front gemeldet. Sie kauften in Polen einen Krankenwagen. Wladimir war 34 Jahre alt. „Ich habe gesehen, in welchem Zustand der Körpers meines Sohnes war, als sie ihn brachten. Da habe ich beschlossen, einen Krankenwagen zu kaufen, um seinen Kameraden an der Front zu helfen“, sagt Ivan Soltys.
Anna Kubay, Ehefrau eines getöteten Soldaten aus der Stadt Mena in der Region Tschernihiw, schenkte ihrer Gemeinde eine Kirchenglocke und einen Spielplatz. Sie hat fünf Söhne. Sie alle kämpfen jetzt für die Ukraine gegen die russischen Truppen.
Der Vater des Scharfschützen Stepan Gabrus aus der Region Lwiw kaufte mit der Entschädigung, die ihm der ukrainische Staat gezahlt hatte, drei Fahrzeuge für die Streitkräfte der Ukraine. „Mein Sohn kommt nicht mehr zurück, aber es gibt andere, für die wir an allen Fronten kämpfen müssen“, sagt er.
Aus dem Russischen von Barbara Oertel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid