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Socialmedia und Frankfurter BuchmesseVerknöcherungen abtrainieren

Twitter-Aphorismen und Online-Biobuchläden: Soziale Medien präsentieren auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse hybride Angebote.

Läuft schon, aber eher für weiße Männer. Darüber regen sich sogar Twtter-Avatare auf Foto: dpa

Die präraffaelitischen Girls haben die Nase voll. Von toxischer Männlichkeit, von den Rechten im Netz und auf der Straße – und vor allem davon, dass manchmal alles zusammenkommt. Ihre Wut twittern sie sich bissig bis boshaft von der Seele, etwa so: „Entwicklungsroman-Spoiler: Junge weiße Männer, die sich immer nur kritisch an alten weißen Männern abarbeiteten, statt Vielfalt wahrnehmen zu lernen, würden eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachen und sich in ihrem Job und Leben zu einem alten weißen Mann verwandelt finden.“

Diese Girls, wie der vorangestellte kunsthistorische Hinweis schon andeutet, sind keine echten Personen. Sie sind Avatare, ein Konstrukt der Verlegerin und Autorin Christiane Frohmann, die den Twitter-Account @pgexplaining („Pre-Raphaelite Girls Explaining“) betreibt.

Darin kontrastiert sie Frauenporträts aus dem Präraffaelismus – jener Epoche englischer Malerei im 19. Jahrhundert, die hauptsächlich wunderschöne und zugleich sphärisch entrückte viktorianische Schönheiten zeigt – mit kurzen Gedanken zur Jetztzeit. Das ist, durch die Absurdität der zusammengemixten Formen, meistens lustig, oft anprangernd, immer schlagfertig. Diese Art von Texten findet man auf Twitter häufig; früher füllten sie als Aphorismensammlung ganze Bände.

Am Donnerstag trug Chris­tia­ne Frohmann eine eigens für das Buchmessenpublikum erstellte Auswahl der Minitexte vor, mit Beamer, auf den die zugehörigen Präraffaeliten-Por­träts geworfen wurden. Begleitend zum Bildnis einer resigniert in die Ferne blickenden Rothaarigen („Veronica Veronese“, 1872 von Dante Gabriel Rossetti gemalt) hieß es etwa: „Wenn sie ab heute nur noch Autorinnen lesen würde, wären es bis zum Ende ihres Lebens immer noch mehr Autoren gewesen, das war schon eine niederschmetternde Erkenntnis.“

„Twitteratur“ schon wieder für tot erklärt

Darüber wurde gelacht, wenn auch verhalten, denn das Publikum bestand vor allem aus jungen Frauen. Und als eine solche ist der Spaziergang über die Buchmesse auch in diesem Jahr nicht sehr erquicklich, zeigen die riesengroßen Pappaufsteller und Werbescreens für Starautoren doch eben: Autoren, seltener Autorinnen, von den Altherrengesellschaften an vielen Messeständen ganz zu schweigen.

Dass es Literatur in 280-Zeichen-Form im Netz gibt, ist nicht neu, im Gegenteil: Der Begriff der „Twitteratur“ wurde sogar von New Yorker und Merkur schon wieder für tot erklärt. Natürlich hat auch die Frankfurter Buchmesse ihren eigenen Hasthag, dieses Jahr lautet er #fbm18, unter dem Messeberichterstattung genauso verschlagwortet wird wie lustige Beobachtungen oder Bitten um Veranstaltungstipps. Soziale Medien sind auch ein Ort der Literatur und Literaturvermittlung – innovativ ist das nicht mehr.

Interessant ist dafür, wie locker Literatur mittlerweile zwischen digitaler und analoger Sphäre hin und her wechselt. Christiane Frohmann hat ihr Twitter-Projekt als Buch veröffentlicht: „Präraffaelitische Girls erklären das Internet“. Aus flüchtigen Gedanken bei Twitter entstand ein gebundener Band mit Farbdruck – eine denkbar konventionelle Ausspielform.

„Biobuchladen“ im Netz

Letztlich zeigt das Projekt, wie künstlerische und literarische Formen nicht nur ins Netz wandern, sondern auch wieder hinaus. Frohmann spricht von „postdigitalem Denken“ – wohlgemerkt nicht als Rückschritt, sondern als hybride Weiterentwicklung literarischen Schreibens und seiner Vermarktung. Als Autorin könne man davon in puncto Sprachempfinden profitieren: „Ich habe mir mit diesem Schrei­ben im Netz meine literaturwissenschaftliche Verknöcherung abtrainiert“.

Als Hybrid zeigt sich auch eine neue Plattform, die sich auf der Buchmesse in diesem Jahr erstmals vorstellt. „mojoreads“ will Buchhandel, Rezensionsmedium und soziales Netzwerk in einem sein. Während Messebesucher am Stand freudig Werbepostkarten vom Stapel zupfen, erklärt Marcus von Jordan das Prinzip: Man kann nicht nur Bücher kaufen, sondern sie auch auf seiner Timeline empfehlen, und bekommt dann, wenn andere sie deshalb ebenfalls kaufen, digitales Guthaben für weitere Bücherkäufe – ob als E-Book oder auf Papier.

Kommerzielle Algorithmen soll es nicht geben. Von Jordan nennt es einen „Biobuchladen“. Nur eben im Netz. Ob zur nächsten Buchmesse dann wohl Aphorismen-Sammelbände der neue Trend sind?

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