Smartphone-Geburtstag: Eines für alle
Es ist ganz schön sensibel und hat nie genug Speicherplatz: Das iPhone wird zehn Jahre alt – und hat unser Leben verändert.
Smartphone für die Massen
Apple kombinierte mehrere technische Entwicklungen. Einen leicht zu bedienenden, mobilen Browser inklusive Suchmaschine für das Internet, den berührungsempfindlichen Bildschirm in Kombination mit der Wisch-Funktion, die das Gerät steuert; den Kartendienst von Google – mit der Möglichkeit, den eigenen Standort zu bestimmen und sich geografisch zu orientieren; und vor allem das Konzept des App-Stores, eines Marktplatzes für Anwendungsprogramme im Internet, der zigtausenden Unternehmen Milliardenumsätze und Einfluss auf das Leben der Nutzer ermöglicht
Mit dem iPhone wurde das Internet mobil. Man hatte es nicht mehr nur zu Hause auf dem Laptop, sondern immer dabei. Das Apple-Gerät wurde das Vorbild des massentauglichen Smartphones, das heute vermutlich mehr als zwei Milliarden Menschen nutzen.
Die Selfie-Sucht
25.676 Selfies macht ein US-Millenial durchschnittlich in seinem Leben, will ein US-amerikanischer Zahnweißhersteller errechnet haben. Smartphones haben nicht nur Kompaktkameras überflüssig gemacht. Mit ihren Frontkameras haben sie auch unsere Fotografie verändert: Das Selfie ist das Motiv der Smartphone-Ära geworden.2
Dass wir uns selbst das liebste Fotoobjekt sind, wissen auch Unternehmen. Etwa im Tourismus: Hotels wie das „1888“ werben mit „fesselnden Fotogelegenheiten an jeder Ecke“. Andere schreiben #bathroomselfie auf den Badezimmerspiegel, damit jeder gleich weiß, was nach dem Händewaschen zu tun ist.
Mit dem anschließend geposteten Bild wiederum dürfen die Gäste der markierten Selfie-Herberge kostenlose Werbung verschaffen. Aber immerhin: Beim Hotel-Selbstporträt dürfte niemand von Klippen stürzen, von Wildtieren gebissen werden oder 125 Jahre alte Statuen zerstören. Alles schon passiert …
Reden oder tippen?
Bereits 1979 sah der Autor Douglas Adams in seinem Buch „Per Anhalter durch die Galaxis“ voraus, dass es so etwas irgendwann geben würde: Einen kleinen, enzyklopädischen Wissenspeicher, der alle Kenntnisse über das Universum zugänglich macht. Nun haben wir ihn.
Sonntagmorgen am Küchentisch, kurz nach der US-Wahl: Der Sohn erscheint im Bademantel. „Trump wird Präsident“, sage ich, „obwohl Clinton Millionen Stimmen mehr bekam.“ Er schaut ungläubig. „Millionen? Niemals.“
Bevor ich antworten kann, läuft er in sein Zimmer und holt das iPhone. Ich bewaffne mich mit meinem Fairphone. Recherche-Battle. Jetzt herrscht erst mal Stille. Bis die Tochter fordert: „Schluss jetzt, reden!“ Sie ist Smartphone-Verweigerin.
Denn so ist das mit den Smartphones: Sie töten die Unterhaltung. Entweder, weil man eine Info sucht. Oder, weil man sie findet. Dann braucht man sich nicht mehr zu streiten, wer Recht hat.
Pu-push it real good!
Der sichere Weg in den Wahnsinn: Allen Apps auf dem Handy das Senden von Push-Nachrichten erlauben. Die kämpfen dann mit auf dem Display aufploppenden Erinnerungen (fünf Minuten Training mit der Sprachlern-App), Eilmeldungen (oft gar nicht so dringend) und einem Best-of der Nichtigkeiten („Soundso hat seit längerem mal wieder etwas gepostet“) darum, dass wir unsere Augen wieder auf den Bildschirm richten.
Es mag selbst gewählter Stress sein, aber es gibt ja auch wichtige Nachrichten, die man nicht verpassen will. Nur sind die selten – und trotzdem lenkt das blinkende Display ab. Smartphones fordern dank Push-Notifications mehr Aufmerksamkeit als das bedürftigste Tamagotchi.
Vielleicht gilt für Apps, was die US-amerikanische Soziologin und Psychologin Sherry Turkle einmal über Computer geschrieben hat: dass mittlerweile nicht wir sie, sondern die Computer uns auf Trab hielten, „als wären wir ihre Super-App geworden“.
Reisen oder wischen?
Weise Menschen nehmen ihr Smartphone nicht mit auf Reisen. Sie eröffnen sich damit die Möglichkeit, Leute in einer fremden Stadt nach dem Weg zu fragen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Wer jedoch auf sein Gerät nicht verzichten möchte, hat andere Vorteile. Beispielsweise kann man morgens im Hotel online ein Zimmer für den nächsten Abend suchen, sich die Fahrtroute dorthin und eine Bestätigungsmail auf den Bildschirm schicken lassen. Nur kurz das E-Mail-Programm öffnen und kontrollieren.
Doch was ist das? Die Kollegen in Berlin haben geschrieben: Sie möchten den für nächste Woche verabredeten Artikel schon morgen in Empfang nehmen. Diesen Angriff des Alltags auf den Urlaub abzuwehren, dauert fünf Minuten. Bis das Feriengefühl zurückkehrt, etwas länger.
10.000 Schritte! Naja, fast
Ich dachte früher, ich wäre beim Datenschutz so mittelkompetent: Ich nutze auf meinem Smartphone nie die Ortungsdienste bei Google Maps, ich trage meine Malaisen nicht in halbseriöse Gesundheits-Apps ein, und kompromittierende Fotos sammle ich woanders.
Bis ich merkte, dass mein neues Telefon ohne einen blassen Schimmer meinerseits alle meine Schritte aufgezeichnet hatte. Das wirklich Schlimme: Ich war nur zwei Minuten empört, dann fasziniert. Ich schaue mittlerweile sogar mehrfach täglich nach, ob ich schon 10.000 Schritte getan habe.
So weiß mein Telefon: Nicht einmal 3.000 Schritte bin ich an Neujahr gegangen, davon die meisten vor 4 Uhr morgens. Verlöre ich mein Handy, gäbe es zwar ein Passwort. Aber einmal den Code geknackt, könnte ein interessierter Dieb alles über mich erfahren.
Dann sind es nicht mehr die mangelnden Schritte an Neujahr, die mir Sorgen machen. Dabei ist der Dieb wohl die unwahrscheinlichste Variante: Welche Daten meine anderen Apps sammeln und wo sie diese speichern – mal ehrlich, wissen Sie das so genau?
Jeden Moment teilen
Eine Theorie: Die einzigen Leute, die sich noch über einen Browser auf dem PC bei Facebook einloggen, müssen eigentlich arbeiten und können nur deshalb nicht auf ihr Handy starren. Alle anderen schauen auf das Smartphone, um ihr Bedürfnis nach Status-Updates, Foodporn-Fotos und vielleicht auch Nachrichten zu erfüllen.
Etwas Besseres als die permanente Verbindung zum Web über das Handy hätte den sozialen Netzwerken nicht passieren können – immerhin sind Facebook, Instagram & Co. so ständig zum Teilen jeden Moments griffbereit. Nach Angaben von Facebook nutzten im September durchschnittlich 1,18 Milliarden Menschen täglich das Netzwerk.
1,09 Milliarden User waren über mobile Geräte darin aktiv, also mit Smartphones oder Tablets. Auch die meistheruntergeladene iPhone-App des vergangenen Jahres war ein soziales Netzwerk: Snapchat. Davon gibt es nicht einmal mehr eine Version für den PC.
Miese Löhne, sechzig Stunden Arbeit
Frühjahr 2011, Besuch in der Foxconn-Fabrik im chinesischen Shenzhen nördlich von Hongkong. Rund 400.000 Beschäftigte stellen hier unter anderem die Geräte für Apple her. An den Fassaden mancher Gebäude sind waagerechte Netze angebracht, die mehrere Meter über die darunterliegenden Rasenflächen reichen.
Die Firma hat sie installieren lassen, um weitere Suizide zu verhindern. Ein Jahr zuvor waren 13 Beschäftigte gestorben, weil sie sich von Dächern in die Tiefe gestürzt hatten – aus Verzweiflung über schlechte Arbeitsbedingungen: miese Löhne, sechzig Stunden Arbeit pro Woche oder mehr, Einsamkeit im Firmenwohnheim, keine Aussichten, das zu ändern.
Als sie die Berichte darüber lasen, sahen manchen Konsumenten erstmals, wie die weltweite Arbeitsteilung funktioniert. Das iPhone wurde zu einem Symbol für die brutalen Seiten der Globalisierung.
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