Slowenien als Gastland der Buchmesse: Die neue Achse des Bösen
Unter Premier Janša ist die Presse- und Kunstfreiheit in Slowenien bedroht. Auch Renata Zamida, Leiterin der Nationalen Buchagentur, wurde entlassen.
Seit der US-Präsidentschaft von Donald Trump weiß die Welt, dass Slowenien nicht nur Durchfahrtsland (Richtung Adria) und Herkunftsland (Slavoj Žižek, Melania Trump) ist, sondern auch von äußerst trumpesken Politikern regiert wird: Der seit März 2020 zum dritten Mal als Premier seines Landes regierende Janez Janša hatte als erstes Staatsoberhaupt der Welt dem Wahlverlierer Trump im letzten Jahr zum Wahlsieg gratuliert.
Aber 2021 sollte Slowenien so richtig groß rauskommen: EU-Ratspräsidentschaft (Brüssel, ab Juli), Gastland der größten Buchmesse der Welt (Frankfurt am Main, Oktober) und 30 Jahre Unabhängigkeit (Ljubljana, 25. Juni). Für den radikalen Rechtspopulisten Janša wären das die ganz großen Bühnen zur nationalen Egoshow geworden.
Doch es kommt alles etwas anders: Wegen der Pandemie werden die Unabhängigkeitsfeierlichkeiten eher nicht so üppig. In der EU überschattet die Sorge um Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit in Slowenien die bevorstehende Ratspräsidentschaft. Der Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse ist auf 2023 verlegt.
Dass das winzige Alpenvorland (etwa 2 Millionen Einwohner, 47 km Adriazugang) überhaupt den für Image und Wirtschaft enorm wichtigen Status eines Gastlandes in Frankfurt erhalten hatte, ist der Erfolg der slowenischen Buchagentur JAK, der unabhängigen, vom Kulturministerium eingerichteten und geförderten Institution, die für die Entwicklung und Promotion des slowenischen Buchmarktes im In- und Ausland zuständig ist. Oder besser, es ist der Erfolg der Direktorin Renata Zamida, die seit Jahren unermüdlich daran arbeitet. Oder besser: ehemalige Direktorin. Die 40-jährige Zamida wurde kürzlich fristlos entlassen.
Monatelange Diffamierungskampagne
Ihrer Kündigung ging eine monatelange Diffamierungskampagne regierungsnaher Medien voraus, die ihr Schlamperei, Unfähigkeit und kriminelle Handlungen vorwarfen, „böswilliges Gekläffe, die meine Arbeitsleistung schlecht machen sollten“, sagt Zamida im Gespräch mit der taz.
Slavoj Žižek, Philosoph
Das Kulturministerium Sloweniens antwortet auf Anfrage der taz, warum Zamida entlassen worden sei: Sie habe einige „eklatante Fälle von professioneller Fahrlässigkeit und einige Verbrechen“ begangen, unter anderem kein Strategiepapier für die Jahre 2020 bis 2024 vorgelegt, keine Stipendien an Top-Autoren vergeben und werde der Korruption und irregulärer Geschäfte wegen der Vergabe von Verträgen an nicht geeignete Kandidaten verdächtigt.
„Absurd“, kommentiert Zamida die Vorwürfe. „Allein die Sache mit dem Strategiepapier. Selbstverständlich habe ich das vorgelegt. Allerdings erst zwei Monate nach der Frist. Unter anderem, weil benötigte Stellungnahmen von Behörden erst in letzter Minute kamen. Die Frist für diese obligatorischen Strategiepapiere nicht einhalten zu können, ist aber alles andere als ungewöhnlich in den Kulturinstitutionen. Bisher hat das niemanden den Job gekostet.“
Die eigentlichen Gründe, warum Kulturminister Vasko Simonitis sie loswerden wolle, vermutet Zamida unter anderem darin, dass der Minister an dieser exponierten Stelle jemanden haben wollte, der weniger unabhängig, laut und populär sei. Tatsächlich solidarisierten sich sowohl die Mitarbeiterinnen Zamidas als auch Hunderte Prominente aus der Literatur- und Kulturszene in Stellungnahmen und einer Petition mit ihr. „Renata Zamida ist eine professionelle Kollegin, die meine volle Unterstützung hatte“, sagt der Präsident des JAK-Aufsichtsrates Slavko Pregl der taz.
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Oder besser: ehemaliger Präsident des Aufsichtsrates. Auch Pregl und ein weiteres Mitglied des Gremiums, das sich hinter Zamida gestellt hatte, wurden entlassen und durch andere ersetzt. Bei der erneuten Abstimmung über den Verbleib Renata Zamidas in der JAK stimmten die neuen Mitglieder des Aufsichtsrates für ihre Entlassung.
Der 71-Jährige Pregl war selbst Direktor der JAK, ist einer der bekanntesten und ausgezeichneter Autor und Verleger des Landes. „Ich habe mein ganzes Leben mit Büchern und für Bücher verbracht. Und jetzt wird jemand Direktor einer Buchagentur, der mit Buchhaltung, aber nichts mit Büchern zu tun hat.“
Die Vorwürfe gegen Missliebige wie ihn nennt Pregl „juristisch haltlos und unanständig“. „Simonitis ist ein Minister ohne Kultur. Er ist bloß ein Minister, der für Kultur zuständig ist“, sagt Pregl.
„Slowenien bildet mit Ungarn und Polen die neue Achse des Bösen“, sagt Slavoj Žižek im Gespräch mit der taz. „Wir sind Zeugen des Aufstiegs der illiberalen Demokratie.“ In der Tat erinnern die Vorwürfe, die Simonitis Leuten wie Zamida und Pregl macht, in ihrer aufgeblasenen Lappalienhaftigkeit denen, die aus anderen autokratischen Regierungen hinlänglich bekannt sind. Im slowenischen Fall von einer Regierung erhoben, dessen Premier nicht wegen Lappalien, sondern wegen Korruptionsvorwürfen in Millionenhöhe schon mal sein Amt niederlegen musste und darüber hinaus zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde.
Slowenien galt lange als postkommunistisches Musterland der EU-Integration. Doch der gute Ruf ist so gut wie ruiniert. Selbst auf seinen Müllhalden und in seinen besetzten Kulturzentren wirkt Slowenien zwar immer noch wie die Kehrwoche in Staatsform. Aber seit vergangenem Jahr wird politisch aufgeräumt, mit schmutzigen Lappen. „Hier finden zur Zeit politische Säuberungen statt“ sagt Slavoj Žižek der taz. „Renata Zamida sollte nicht nur ihren Job verlieren. Man wollte sie vernichten, in dem man sie öffentlich zu diffamieren versuchte. Im 30. Jahr der Unabhängigkeit Sloweniens sind wir wieder in den 1970ern gelandet, der letzten Dekade des Hardliner-Kommunismus in Jugoslawien.“
Die Aufräumarbeiten des Kulturministeriums treffen nicht nur Renata Zamida. Auch andere, wie die Direktorinnen der Modern Gallery, des Museums für Zeitgeschichte und des Museums für Architektur werden nicht weiter beschäftigt.
„Die slowenische Regierung hält alle für kommunistische Linksradikale, die nicht ihrer Meinung sind“, sagt Žižek. „Am meisten Sorgen bereitet mir aber die Vulgarität, mit der Politiker mittlerweile sprechen. Hier werden ungeschriebene Regeln gebrochen, wofür ihr Deutschen das schöne Wort „Sitten“ erfunden habt. Das ist nicht strafbar. Aber brandgefährlich.“
Der Frankfurter Messedirektor Jürgen Boos will die politischen Entwicklungen des zukünftigen Gastlandes nicht kommentieren. Der taz sagte er: „Wir waren sehr enttäuscht, dass Renata Zamida nicht mehr für die slowenische Buchagentur verantwortlich ist. Sie ist eine ausgezeichnete Literaturvermittlerin. Wir haben ihr viel zu verdanken.“ Er setze darauf, dass die jetzige slowenische Regierung das Projekt weiter verfolge, in dessen Rahmen ein „intensiver Kultur- und Meinungsaustausch“ vorgesehen sei.
Eine rege Meinungstätigkeit findet sich auf der Homepage des slowenischen Kulturministeriums definitiv. Dort werden – auch auf englisch – angeblich fehlerhafte Darstellungen in ausländischen Zeitungsberichten korrigiert. Im Januar wurde sogar der komplette Mailverkehr mit einem Reporter der New York Times online gestellt.
Zamida hat sich von den Schmutzkampagnen nicht einschüchtern lassen und geht gegen ihre Entlassung juristisch vor. „Weil ich meine Eigenständigkeit und Unabhängigkeit bewahrt habe, bin ich für die Regierung eine Provokation“, sagt sie.
Kleines Land, riesiger Buchmarkt
Eigenständigkeit und Unabhängigkeit sind durchaus slowenisches Kulturgut. So hat das dünn besiedelte und alle paar Kilometer an verschiedene Landesgrenzen stoßende Slowenien eine gänzlich eigene Sprache. Und hat vielleicht deshalb eine äußerst hohe Dichterdichte und einen riesigen Buchmarkt: Jährlich erscheinen hier etwa 5.000 Bücher. Zum Vergleich: in Deutschland sind es rund 70.000, bei 40-mal mehr Einwohnern. Abgesehen von Kochbüchern kann man in Slowenien allerdings kaum ein Buch ohne staatliche Förderung publizieren. Dementsprechend stark ist in der Buchbranche der Kampf um die Gunst offizieller Stellen.
Vor einigen Jahren beschrieb der auch ins Deutsche übersetzte Autor Aleš Šteger in seinem so grandiosen wie fantastischen Roman „Archiv der toten Seelen“ sein Land als groteske Dystopie. Im Zentrum der Erzählung stehen die Klüngel und Kämpfe um Geld und Einfluss im Rahmen des europäischen Kulturhauptstadtprogramms 2012 in Maribor: eine durch und durch korrupte, von Neid, Lügen, Hass, Rache, europäischer Überheblich-, Ahnungs- und Empathielosigkeit vollgestopfte Hölle. In dieser schloss sich auch der Autor ein: Er skizzierte sich selbstironisch als Kulturvermittler der Regierung.
Zur traurigen Wahrheit gehört, dass die Grenze zwischen Gut und Böse nicht nur in der Fiktion, sondern auch in der Realität nie eindeutig verläuft und moderne Autokratien Opportunismus einkalkulieren. So ist Šteger Programmdirektor des Verlags Beletrina, einem der wichtigsten Literaturverlage Sloweniens. Sein Verlagsdirektor Mitja Čander hatte die Petition für Zamida nicht unterschrieben. Seit Kurzem ist er im Aufsichtsrat der JAK. Jenem neu besetzten Gremium, das dafür stimmte, die Direktorin zu feuern.
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