Sleater-Kinney Sängerin über neues Album: „Ungestüm ist nicht ignorant“

Laut, politisch und gefühlvoll: Carrie Brownstein und ihre Band Sleater-Kinney widmen sich den Themen Entfremdung und Social Media.

Zwei Frauen stehen vor einer schwarz-weißen Wand, eine von ihnen streckt die Hand nach oben

Carrie Brownstein und Croin Tucker: „Sleater-Kinney ist eher eine Band, die polarisiert“ Foto: dpa

taz: Carrie Brownstein, wer die Songs von Ihrem neuen Album „The Center won’t hold“ hört, merkt sofort: Sie mögen nach wie vor laute Musik.

Carrie Brownstein: Auf jeden Fall. Lautstärke hat uns immer schon magisch angezogen. Ich weiß, dass die meisten Leute von Musikerinnen in den 40ern etwas anderes erwarten. Sie sollen leiser werden, kontemplativer. Man braucht aber keine Stille, um in sich zu gehen. Mein Credo ist: Nur weil sich jemand ungestüm gibt, ist man nicht gleich ignorant. Man macht sich durchaus Gedanken über das, was um einen herum passiert.

Hat Sie das die Riot-Grrrl-Bewegung gelehrt?

Wir waren eigentlich keine richtigen Riot-Grrrl-Vertreterinnen. Als wir Sleater-Kinney gegründet haben, war diese Bewegung bereits am Abebben. Gleichwohl hat sie etwas verändert. Mittlerweile beanspruchen in allen Bereichen der Musikindustrie mehr und mehr Frauen einen Platz. Sie singen, sie ­schreiben, sie produzieren.

Sängerin und Gitarristin der Band Sleater-Kinney, gilt als US-RriotGrrl-Ikone. Richtig bekannt wurde die 44-Jährige aber erst mit der TV-Satire-Serie „Portlandia“, die zwischen 2011 und 2018 im US-Fernsehen lief. Für die acht Staffeln stand Brownstein nicht bloß vor der Kamera, sie zeichnete auch für die Drehbücher und die Produktion verantwortlich. Mit der taz sprach sie über das neue Sleater-Kinney-Album „The Center won’t hold“ (Caroline International/Universal). Was sie da noch nicht ahnte: Kurz vor der Albumveröffentlichung wird die Schlagzeugerin Janet Weiss das Trio verlassen. Auf Instagram kommentiert Carrie Brownstein ihren Aus­stieg mit den Worten: „Wir haben sie gebeten zu bleiben.“

Zudem wehren sie sich im Zeichen der #MeToo-Kampagne zunehmend gegen sexuelle Übergriffe.

Hoffentlich geht #MeToo nicht bloß als Medienhype in die Geschichte ein. Ich wünsche mir grundlegende Veränderungen. Diesbezüglich sind wir zum Beispiel mit der „Time’s Up“-Ini­tiative auf einem guten Weg. Sie hat einen Fonds, der Frauen in allen Berufen nach einem Sexualdelikt Rechtsbeihilfe finanziert.

Sie selbst waren zwar kein Opfer sexueller Gewalt. Allerdings machte das Magazin Spin Ihre Dates mit Ihrer Bandkollegin Corin Tucker öffentlich – bevor Sie Ihr Coming-out hatten.

Ach, das ist unheimlich lange her … Der gesamte Artikel war äußerst respektlos. Wir wurden verteufelt, mit integrem Journalismus hatte das nicht das Geringste zu tun. Ich war gleichermaßen wütend und verletzt. Immerhin steht es mir zu, die Kontrolle über mein eigenes Leben zu haben.

Wenn Sie Ihren Erfolg steuern könnten: Wären Sie gern als Musikerin so populär wie als Schauspielerin mit Ihrer TV-Serie „Portlandia“?

Ich mache mir nichts vor: Fernsehen hat oft einen stärkeren Massenappeal als Musik. Zumal wir uns mit unseren Songs nicht im Mainstream bewegen. Sleater-Kinney ist eher eine Band, die polarisiert. Wir sprechen aus, womit wir unzufrieden sind. Das kommt nicht bei jedem gut an. Auf der anderen Seite gibt es jedoch Menschen, die sich extrem mit uns identifizieren. Unsere Lieder vermitteln ihnen den Eindruck, dass da jemand ist, der sie versteht.

Ihre Songs klingen düster und pessimistisch, während Ihre Serie von Ihrem recht eigenwilligen, oftmals euphorischem Humor lebt. Wie passt das zusammen?

Sowohl meine Musik als auch die von mir entwickelte TV-Serie „Portlandia“ zeigen, wer ich bin. In der Serie betrachte ich die Welt durch eine absurde Linse. So beschwöre ich manch schräge Situationen herauf. Als Musikerin arbeite ich anders. Ich lege vor allem Wut und Verzweiflung in meine Stücke.

Der Titel „Reach out“ beschäftigt sich mit Depressionen und Einsamkeit.

Sie finden auf dem Album eine Handvoll Songs, in denen die Erzählerin eine existenzielle Krise durchlebt. Sie sucht nach einem Sinn, nach einem Grund, weiterzumachen.

Sind Ihre Lieder diesmal eher persönlich als politisch?

Für mich sind die Übergänge zwischen diesen beiden Polen fließend. Bei Sleater-Kinney ­haben wir da von Anfang an ganz selbstverständlich eine Verbindung gesucht. Meiner Ansicht nach kann ein Mensch bedeutende gesellschaftliche und kulturelle Ereignisse gar nicht unpolitisch analysieren. Für unser Album „The Center won’t hold“ bedeutet das: Wir erkunden das politische Chaos mithilfe persönlicher Geschichten.

Inwiefern hat Trumps Präsidentschaft Ihre Stücke beeinflusst?

Wie hätten wir sie ignorieren sollen? Wir bewegen uns ja nicht in einem Vakuum, wir existieren in dieser Welt. Trumps Hang zur Territorialität, zum Nationalismus, zum Populismus – das betrifft jeden. Nicht bloß Amerikaner. Wir erleben mit, wie der Präsident die Demokratie untergräbt. Wie er die Wahrheit mit Füßen tritt. Ein Einzelfall ist er nicht. Dieses Phänomen lässt sich genauso in anderen Ländern ausmachen. Es hat zur Folge, dass wir in ein kollektives Trauma stürzen. Im Idealfall entwickeln sich daraus Mitgefühl und Güte. Ein gemeinschaftlicher Aktivismus. Dennoch wird das Individuum zunächst allein mit all den Katastrophen um uns herum konfrontiert. Das kann den Einzelnen durchaus zur Verzweiflung treiben.

Und ein Gefühl von Isolation heraufbeschwören?

Entfremdung spielt tatsächlich eine wesentliche Rolle – sei es auf unserer Platte oder im Alltag. Das Absurde ist: Obwohl die Menschen dank des Internets Zugang zu fast allem haben, vereinsamen sie zusehends.

Weil sie hauptsächlich via Facebook oder Instagram kommunizieren?

Social Media gaukelt lediglich Nähe vor, Likes werden gegen Likes getauscht. Ich denke, je mehr jemand vor einem Computer Kontakt sucht, desto abgeschnittener ist er in Wirklichkeit von der Außenwelt.

Wobei es natürlich einen Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein gibt.

Richtig. Abseits der Bühne bin ich gern für mich, ich meide Partys. Nichtsdestotrotz pflege ich durchaus intensive Beziehungen zu anderen Menschen.

Umso erstaunlicher, dass Sie von Portland nach Los Angeles gezogen sind.

In dieser Stadt dreht sich nicht alles ums Filmgeschäft, im Gegenteil: Dank ihrer Weitläufigkeit ist sie perfekt für Introvertierte wie mich. Ich begegne dort sehr unterschiedlichen Leute in verschiedenen Jobs. Besonders der Osten lässt sich nicht mit West-Hollywood vergleichen. Seine Diversität erinnert mich eher an Berlin.

Dabei geben sich die Berliner nicht so positiv wie die Amerikaner, oder?

Ich bin auch eine Skeptikerin. Das ist kein Defizit. Ich messe Skeptizismus einen anderen Wert bei als Pessimismus oder Zynismus. Skeptiker stellen zwar die Dinge infrage, trotzdem bleiben sie offen für Veränderungen und sind bereit, sich auf etwas Neues einzulassen.

Heißt das, Sie sehen nicht unbedingt negativ in die Zukunft?

Eine echte Optimistin werde ich wohl nie werden. Aber ich glaube an die junge Generation. Fridays for Future ist eine tolle Bewegung. Wenn ich 16 wäre und denken würde, mit 50 könnte ich nicht mehr auf diesem Planeten leben, würde ich ebenfalls protestieren.

Das würde Sie vermutlich nicht daran hindern, wieder eine Frauenband zu gründen.

In meiner allerersten Band habe ich mit Männern gespielt. Beim Musikmachen kommt es nicht primär auf das Geschlecht an. Frauen können ebenso bissig wie Männer sein. Was zählt, ist Vertrauen. Keiner darf versuchen, die kreative Freiheit seiner Mitstreiter zu beschneiden. Jeder sollte seine Verletzlichkeit zeigen dürfen. Zu Recht legen viele Musiker den Fokus auf ihre innere Zerrissenheit, sie befeuert die Kreativität und bringt gute Kunst hervor. So entsteht Glaubwürdigkeit, ohne die ein Künstler keine echte Beziehung zum Publikum herstellen kann. Darum würde ich mit mir selbst hadern, wenn ich in meinen Songs nicht ehrlich wäre.

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