Sklavenhandel mit Flüchtlingen in Libyen: Gefangen im Ghetto von Garabuli
Hinter einer hohen Mauer sind Hunderte Migranten eingesperrt. Sie warten darauf, an den Meistbietenden verkauft zu werden.
Ahmed Kharoubi, fast 1,90 Meter groß, stämmig und mit Vollbart, sorgt an der Straße für das, was die hier herrschenden Milizen unter Sicherheit verstehen. Er und seine Männer tragen Tarnuniformen. Auf den Schultern und an der Brust, wo bei Militärs üblicherweise Rang und Namen prangen, ist nichts zu sehen. „Wir sind keine Miliz, wir unterstehen dem Innenministerium“, betont er mit tiefer Stimme. Vor der Revolution war der 39-Jährige Automechaniker, nun betreibt er den Kontrollpunkt an der Landstraße zwischen Tripolis und Misurata, an der Garabuli liegt. Wie überall in Libyen lassen sich die Uniformierten ihre Präsenz, aber auch das Wegschauen mit einem Handgeld bezahlen.
Über mehrere Kilometer erstrecken sich entlang weißer Sandstrände Einfamilienhäuser und Hütten, in denen die Hauptstädter in besseren Zeiten die Wochenenden verbrachten. Die drei Meter hohen Steinmauern sollten einst vor den Schergen Muammar al-Gaddafis schützen. Nun haben Menschenhändler die Region und den versteckt gelegenen Küstenabschnitt dahinter für sich entdeckt.
Alle Migranten sind nach geltendem Gesetz illegal im Land. Sie werden neuerdings von der Straße weg verhaftet und in den Lagern kaserniert. Ghanaer, Nigerianer und neuerdings auch Kenianer mit festen Jobs werden in Libyen aus ihren Wohnungen geholt. Sie kommen nicht aufs Meer. Sie landen im Gefängnis, das hier alle Ghetto nennen.
Sklavenhandel? „Nein, das ist doch ganz normal“
Bis vor wenigen Wochen hat das niemanden groß interessiert. Doch dann veröffentlichte der US-Nachrichtensender CNN Videoaufnahmen von einer angeblichen Sklavenauktion. Die grobkörnigen Handy-Bilder zeigen einen jungen Nigerianer, der als Teil einer Gruppe großer, starker Männer für Feldarbeit auf einem Markt zum Kauf angepriesen wird. Der Auktionator ist nicht im Bild zu sehen, aber zu hören: “800 … 900 … 1.000 … 1.100“, sagt eine Stimme, bevor zwei Männer für umgerechnet 875 Dollar an einen Unternehmer verkauft werden.
Hinter den Sandsäcken an dem Checkpoint vor Garabuli verstehen Kharoubis Männer die weltweite Empörung über diese Bilder nicht. „Wer kein Geld hat und illegal im Land ist, muss für die Weiterreise arbeiten, dass ist doch ganz normal“, kommentiert ein junger Milizionär mit Kalaschnikow und Dreadlocks trocken.
Nach Schätzungen von libyschen Menschenrechtsaktivisten werden an rund 20 Orten im Großraum Tripolis Arbeiter als Ware verkauft. Wer einen „Afrikaner“ für den Haushalt oder die private Baustelle benötigt, wurde in Libyen schon zu Gaddafis Zeiten an jeder größeren Straßenkreuzung fündig. Menschen mit dunkler Haut stellten sich seit dem Umsturz von 2011 jahrelang mit Werkzeugen, die ihren Beruf anzeigten, in der Hand an die Straße und verdienten bis zu 20 Euro am Tag – Geld für die Überfahrt nach Europa. Doch nun müssen die Migranten damit rechnen, verhaftet und eingekerkert zu werden.
Die Mauern und der Wald auf dem Weg nach Garabuli schützen vor den Blicken der Öffentlichkeit. Offizielle Autoritäten oder Polizei müssen Kommandeure wie Kharoubi nicht fürchten – höchstens feindliche Milizen.
Die Bauern und Bürger sind wie überall in Libyen machtlos gegenüber Männern wie Ahmed Kharubi. „Die traditionellen lokalen Strukturen sehen sich wie zu Gaddafis Zeiten einer nun völlig entfesselten Kultur der Milizen gegenüber“, sagt Faisal Swehli, ein Bauer. „Damals waren es die Söhne Gaddafis, deren Bewaffnete machen konnten, was sie wollten. Nun sind es Hunderte Gruppen von Ungebildeten und Chancenlosen, die sich mit der Waffe ein Auskommen sichern.“
80 bis 300 Dollar für einen Bauarbeiter oder Elektriker
In Garabuli gehen Pässe aus einem Dutzend westafrikanischer Länder über den Tisch von Ahmed Kharoubi. Die Geschäfte verwaltet der Chef des Ghettos, ein Nigerianer, der nur James genannt werden will. Entlang der libyschen Migrationsroute von Gatrun, 1.000 Kilometer südlich in der Sahara gelegen, bis zur Mittelmeerküste wickeln informelle Bankbüros, Havala (Überweisung) genannt, die Geldtransfers ab. Ghettochefs wie der 39-jährige James verwalten den Migrantenstrom, die libyschen Milizen übernehmen den Transport und sorgen für eine gewisse Sicherheit.
Dreimal in der Woche kommen Geschäftsleute, Uniformierte oder Bauern aus Misurata, Khoms und Tripolis und bieten 80 bis 300 Dollar für einen Bauarbeiter, Elektriker oder Gehilfen. Einige zahlen den Migranten Lohn, andere nicht.
Als Sklavenhandel verstehen die Besucher den Handel keineswegs. „Schließlich werden die meisten ja bezahlt, obwohl sie illegal hier sind“, merkt ein Polizist aus Khoms an, der für die Renovierung des Gefängnisses einen Elektriker sucht. 200 libysche Dinar bietet er für einen stämmigen Mann aus Ghana, genauer gesagt für die Übergabe des Reisepasses.
James sagt, der Ghanaer sei ein Kreditflüchtling, er sei einem Kollegen in der Wüstenoase Gatrun noch 500 Dinar schuldig und müsse die Summe nun abarbeiten.
„Zu essen gibt es nur Suppe und Brot“
Rund 100 Besucher kommen pro Woche in das Ghetto von Garabuli. Große Limousinen mit Kennzeichen aus Misurata oder Tripolis stehen vor den mit Stacheldraht bewehrten Mauern, zwei Männer in Zivil bewachen das Metalltor, von dem man auf das offene Meer schauen kann. Ein Besucher, Mitte 40 und aus dem benachbarten al-Khoms kommend, sagt, dass es falsch sei, von Auktionen zu sprechen.
„Ich würde die Arbeitskräfte lieber wie früher auf der Straße anwerben, aber sie sind ja alle wegen der Milizen von dort verschwunden. Hier sind sie doch zumindest sicher und alles ist geregelt.“ Nach einer Stunde verlässt er das Gelände mit zwei Ghanaern, die auf einer Baustelle helfen sollen. Sie sagen schüchtern, dass sie froh seien, dem Ghetto entkommen zu sein. Über die Verhältnisse dort wollen sie nicht sprechen. „Zu essen gibt es nur Suppe und Brot“, sagt einer. Von drinnen sind scharfe Befehle auf Arabisch zu hören.
Vom 1.000 Kilometer entfernten Gatrun aus schicken Havala-Vermittler aus Westafrika die Migranten in die Ghettos an der libyschen Küste. Die Reise wird ohne jedes Bargeld abgewickelt. An einem Ort wird Geld eingezahlt, an einem anderen an den Empfänger gegen ein vom Absender hinterlegtes Codewort ausgezahlt.
Wer ohne Geld in Libyen ankommt, kann einen Kredit mit einem Zinssatz von 40 Prozent aufnehmen. Nur wenige ahnen, dass sie das Geld in Sabratha, Tripolis oder Garabuli unter Zwang abarbeiten müssen.
Eine Nigerianerin mit dem Vornamen Joy leitet ein Hawala-Büro in Gatrun. Sie versteht die Aufregung um das Geschäft mit den Migranten nicht. „Wer in Europa seinen Kredit nicht zurückzahlt, wird doch auch bestraft.“ Die 29-Jährige organisiert die Weiterfahrt nach Tripolis oder direkt nach Italien. „Ich verdiene gut und helfe denjenigen, die sich dafür entschieden haben, nach Norden zu gehen. Aber jeder ist für sich selbst verantwortlich.“
100 Menschen sind in einem Raum eingesperrt
Sie war nie an der libyschen Küste und weiß nichts von den Bedingungen in den Lagern. Doch die letzten Geldtransfers von Nigeria nach Garabuli haben auch sie stutzig gemacht. Von ganzen Dörfern zusammengeliehene Lösegeldzahlungen sollen es sein, um Verwandte aus der Hand der Menschenhändler freizukaufen.
Das CNN-Video hat auch sie gesehen. Seitdem kämen immer weniger Kunden nach Gatrun, sagt Joy. „Viele warten ab, bis sich die Lage beruhigt.“ Doch diejenigen, die schon in Garabuli sind, stecken fest. Grausame Bilder von den Haftbedingungen gelangen über libysche Aktivisten an die Öffentlichkeit.
Hinter den Mauern von Garabuli kann man das Meer riechen. Milizenkommandeur Ahmed Kharoubi blickt über das unübersichtliche Gelände. Angst vor einem Aufstand der Gefangenen hat er nicht, obwohl bis zu hundert Menschen in jeweils einem von vier großen Räumen leben müssen.
„Sie wollen nach Europa und hoffen, nach ihrem Arbeitseinsatz abreisen zu können“, sagt Ahmed Kharoubi. Es sei ihm egal, wie man in Europa die Bedingungen hier nenne, Sklaverei oder Arbeit. „Europa hat doch über Jahrhunderte Afrika ausgebeutet. Nun kommt Afrika eben nach Norden. Wir Libyer leiden selbst unter einem Krieg und wollen sie nicht. Warum verhindert denn niemand, dass sie sich überhaupt auf den Weg machen? “
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