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Skizzenbuch von Jo ZimmermannKompost des fossilen Rauschens

Der Kölner Illustrator Jo Zimmermann veröffentlicht ein Buch aus Kalenderblättern. Darauf malt er mit Tusche Collagen von dürren Fabelwesen.

Ausschnitt aus der Zeichnung „Corona Inn“ Foto: Jo Zimmermann

Der Schlammpeitzger ist ein nachtaktiver Fisch, der zur Gattung der Steinbeißer gehört. Er kommt in zahlreichen europäischen Flüssen und kleineren Bächen vor, steht dort meist am schlammigen Grund und wartet auf Beute. „Wenn seine Gewässer austrocknen, kann er von Kiemen- auf Darmatmung umschalten und kurze Landwanderungen unternehmen: ein perfekter Überlebenskünstler und absolutes Vorbild für mich“, erklärt der Kölner Musiker und Illustrator Jo Zimmermann.

Nach dem langen, dünnen Urviech mit dem runden Maul und der breiten Schwanzflosse nennt sich Zimmermann Schlammpeitziger: In Zimmermanns elektronischem Pop als Schlammpeitziger ist das fossile Rauschen des Universums immer zu hören. Früher spielte der Kölner seine Songs oftmals auf einem billigen Casio-Synthesizer ein, inzwischen setzen digitale Musikprogramme das i-Tüpfelchen auf den Schlammpeitziger-Sound. Seine Musik hat prominente Fans, etwa die britische Band Depeche Mode, die von ihrem Song „Freelove“ einen Remix bei Zimmermann in Auftrag gegeben hat.

Der schlauchartige Schlammpeitzger passt auch zu den Zeichnungen, die Jo Zimmermann fertigt. In seinen Tuschebildern, gemalt auf Kalenderblätter und karierte Einzelseiten von Rechenpapierblöcken, tauchen immer wieder lange, dürre Fabelwesen auf. Ihre Extremitäten hat der Künstler vervielfacht, was zu monströsen, oft unförmigen Anatomien führt. Nun lassen sich die Zeichnungen erstmals gebündelt in Buchform begutachten in dem im DIN-A5-Format veröffentlichten Band „Die Pute nascht am Berg der Erkenntnis“.

Ein Wasserkopfwesen, halb Karlsson vom Dach, halb Comicfigur, bevölkert so ein Bild von Zimmermann, das „In Ruhe die Gelassenheit des Kosmos betrachten“ heißt. An einer Stelle des Kopfs wächst ein weiterer, kleinerer Schädel, statt Ober- und Unterkörper bildet ein Phallus mit Hoden den Torso. Die Psychoanalyse hat bei Zimmermanns Zeichensystem gut zu tun.

Gelassenheit des Kosmos

Das Buch

Jo Zimmermann: „Die Pute nascht am Berg der Erkenntnis. Zeichnungen und Collagen 1995-2018“, zahlreiche Abbildungen. Strzelecki-Books, Köln 2020, 84 Seiten, 15 Euro

Gemälde und Songs betitelt der 55-Jährige mit betont kindlicher Rundschrift und Fantasiewortgirlanden wie „Augenwischwaldmoppgeflöte“ oder „Schmuckhafte Nachtsichthaube mit stark orientierungsloser Ausrichtung“. Zeichnungen, Musik und Worte ergeben „Parallelwellenkunst“, bilanziert sein Musikerkollege Jan St. Werner. Wie St. Werner und die Band Mouse On Mars gehört auch Schlammpeitziger zum erweiterten Kreis um den Kölner Plattenladen A-Musik, bei dem elektronische Musik auch jenseits des Dancefloors gedacht wird als Labor von Ideen und Experimenten, ein nie endender Strom von Entdeckungen und grenzübergreifenden Projekten.

„Bevor ich Musik gemacht habe, gab es schon Zeichnungen. Kleinformatige Bilder mit langen Titeln. Das ist mein persönlicher Kosmos. Es geht dabei ums Erfinden, das Bild wird nur lebendig, wenn es etwas beschreibt“, schreibt Schlammpeitziger der taz. Scheinbar unbeabsichtigt verschiebt und erweitert Jo Zimmermann in seinen Zeichnungen Kulissen des Alltags, wirft Begriffe aus der Waren- und Arbeitswelt in die Natur, schiebt Naturphänomene in Logistik und Mode und baut die menschliche Existenz in ein Perpetuum Mobile ein. Infantile Alliterationen, schmutzige Fantasien und Mediengebrabbel werden gewinnbringend kompostiert.

Parkplatz für Pflanzen

Wie in der Zeichnung „Wuthaltebucht“, in der auf einer Straße statt Fahrzeugen Pusteblume und Rauke unterwegs sind und an einer Parkzone vorbeifliegen. Hält man die Zeichnung weiter von sich weg, werden aus Straße und Haltebucht die Umrisse eines Baumstamms mit einem abgestorbenen Ast.

Zimmermanns Bilderwelten beugen einer „Realitätsverstopfung“ vor, erklärt sein Musikerkollege Jan St. Werner im Vorwort. Der Buchtitel „Die Pute nascht am Berg der Erkenntnis“ ist denn auch eine raffinierte Abwandlung der Systemtheorie der beiden chilenischen Neurobiologen Humberto Maturana und Francisco Varela. In ihrem Hauptwerk „Der Baum der Erkenntnis“ (1984), definierten sie die ­Selbstständigkeit in der Evolution biologischer Systeme als „Auto­poiesis“. Dieser unabhängige und ­radikale Forschergeist spricht auch aus der Bilderwelt von Jo Zimmermann.

Ausschnitt aus „Denkpause“ (2002) Foto: Jo Zimmermann

In dem Bild „Denkpause“ thront ein Kopf auf einem Servierwagen­gestell. Statt Rädern hat es vier Hände. Auf dem Schädel ist ein Trichter, dessen Schlund nach oben zeigt. Das Hirn wird von zwei weiteren Händen als Pedale angetrieben. Das Gesetz der Schwerkraft, in Zimmermanns Werk hat es keine Bedeutung. Ständig kommt etwas ins Rutschen, läuft aus, steht kopf oder fickt sich selbst ins Knie und ist dennoch quicklebendig.

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