Skifahren in Berlin: Mal anders auf die Piste gehen in der Stadt
Skilanglauf ist als winterliche Fortbewegung wie geschaffen für städtische Parks. Wenn denn mal Schnee in der Hauptstadt liegt.
M al eben diese beiden Latten nehmen, die Stöcke dazu, die paar hundert Meter zum nächsten Park laufen – und losskaten. Der Wintereinbruch, der Berlin für eine Woche gepackt hat und schnell wieder vorbei ist, sorgt in dieser Stadt der Szeneclubs und Ausgehviertel für eine ganz andere Bedeutung des Ausdrucks „auf die Piste gehen“. Mit Alpinski ist es zwar nicht so toll in der Hauptstadt, doch die Strecken fürs Skilanglaufen in der Skatingversion firmieren eben auch unter „Piste“.
Skating, das verhält sich zum klassischen Langlauf im sogenannten Diagonalschritt wie Kraulen zum Brustschwimmen: einfach schneller, viel schneller. Alles andere ist eine Geschmacksfrage – die eine so, der andere so – aber Tempo und Rasanz sind klar beim Skaten zu Hause.
Das schier Widersprüchliche: Fürs Skaten jenseits eines echten Skigebiets braucht es gerade die große Stadt mit vielen Menschen. Denn ohne die gibt es niemand, der den frisch gefallenen Schnee im Park platt trampelt und so erst für die harte Piste sorgt, über die es sich gleiten lässt wie im Eislaufstadion. Freunde des Diagonalschritts, daheim in einer Parallelspur, der Loipe, müssen sich hingegen oft ärgern über jene, die ihnen diese Spur kaputt treten, die ihnen erst den richtigen Halt gibt. Querfeldein geht natürlich auch, bloß kommt es da selten zum zügigen Gleiten.
Das Schöne: Die Sache kostet nicht viel. Für vergleichsweise kleines Geld lassen sich Ski und Schuh aus zweiter oder dritter Hand besorgen. Keine Liftkarte, keine Loipengebühr und mangels Skihütten keine Versuchung, beim teuren Après-Ski hängen zu bleiben.
Eine Hütte und Rodelbahn
Wobei: Berlin hat mehr Wintersporteinrichtungen, als man gemeinhin denkt. So gibt es eine echte Rodelhütte, die auch genauso heißt und naheliegenderweise an einer mehrere hundert Meter langen Rodelbahn liegt, die sogar einen richtigen Starthügel hat und am Rande Zuschauerränge, auch wenn die teils überwuchert sind. Dort, aber auch an jeder noch so gering geneigten Böschung in jedem Park, sind in diesen schneeigen Tagen Hunderte so lange mit Schlitten, Porutschern oder auch einfach Plastiktüten unterwegs, bis aller Schnee weggerodelt und nur noch feste Erde übrig ist.
Berge in Berlin
sind meist künstliche Aufschüttungen, in denen der Schutt des Weltkriegs oder der Müll der Stadt steckt. Den Teufelsberg hat die US-Armee dabei in den 50ern als hervorragenden Standort für eine Abhöranlage entdeckt. Das Zeichen des Kalten Kriegs markiert den Berg weiterhin, der auch gut als Rodelstrecke taugt. Wenn denn mal Schnee liegt.
Sogar eine Alpin-Ski-Destination hat Berlin: Am Teufelsberg, jenem immerhin 122 Meter hohen, aus Kriegstrümmern entstandenen Berg im Grunewald im Westen der Stadt, mit der markanten früheren Radarstation oben drauf, lässt sich abfahren – wenn man bereit ist, seine Ski den Hang hoch zu schleppen. Das war mal anders, als es dort von 1964 bis 1972 einen Skilift samt Flutlichtmasten gab.
Seinen Alpin-Ski-Höhepunkt hatte Berlin erst ein paar Jahre später: Am 28. Dezember 1986 waren einige der weltbesten Skifahrer am Teufelsberg zu Gast, um einen Parallelslalom zu fahren. Ingemar Stenmark aus Schweden etwa, eine Legende des Skisports, genauso wie der Bayer Markus Wasmeier, im Jahr zuvor Weltmeister im Riesenslalom.
Rund 400 Meter lang war die Piste, mit gut 80 Meter Gefälle, zwei Schneekanonen sorgten für 20 Zentimeter Kunstschnee. Doch die drohte angesichts deutlicher Plusgrade und Regens zu zerfließen – bis jemand auf die Idee kam, Brezelsalz zu streuen, womit sich die Unterlage stabilisieren ließ. Am Ende lag der Abfahrts-Olympiasieger Leonhard Stock aus Österreich vorn. Fast 15.000 Leute sollen zugeschaut haben.
All das ist Schnee von gestern, als die Ski in dieser Woche, in der es nachts zweistellige Minusgrade hat, durch die Parks gleiten oder übers Tempelhofer Feld. Massen sind es nicht gerade – im Laehr-Park im Südwesten der Stadt ist noch nicht mal ein anderer Skiabdruck zu erkennen. Auf dessen Spur ließe sich sonst zu einem anderen Langlauffan aufschließen – quasi als skatender Robinson auf Freitags Spuren.
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Fußgänger sind in der aufkommenden Dunkelheit immer weniger unterwegs, so wird das Ganze zum Privatskigebiet – für ausreichend Sicht sorgt die Stirnlampe. Das ist ja das Schöne am Langlauf: Man braucht keinen (Teufels-)Berg, es gibt viele Pisten.
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