Skandalöse Ausstellungsverschiebung: Vorsorglich gecancelt
Die für Juni 2021 angekündigte Philip Guston Retrospektive wird auf das Jahr 2024 verschoben. Aus Angst vor Protesten gegen das Motiv der Klansmen.
Die Debatte um die sogenannte Cancel Culture, die aus Gründen vermeintlicher politischer oder gesellschaftlicher Anstößigkeit die Absage von Veranstaltungen wie auch die Kündigung von Personen umfasst, bekommt weitere Nahrung.
An vergangenen Montag, 28. September, kündigten die Direktorinnen und Direktoren vier internationaler Museen, Kaywin Fledman von der National Gallery of Art in Washington, Frances Morris von der Tate Modern in London, Matthew Teitelbaum vom Museum of Fine Arts in Boston und sein Kollege Gary Tinerow vom Museum of Fine Arts Houston an, dass die große Ausstellung „Philip Guston Now“, die wegen Corona schon auf den Juni 2021 vertagt worden war, nun noch einmal um drei Jahre verschoben wird, auf das Jahr 2024.
„Abgesehen von der Herausforderung der globalen Gesundheitskrise, hat uns die Bewegung für Rassengerechtigkeit, die sich in den USA gebildet hat und inzwischen in Länder der ganzen Welt ausstrahlt, ein Pausieren nahe gelegt“, ist in der Mitteillung der Museen zu lesen. Man hat also Angst, dass die rund 25 Gemälde und Zeichnungen mit weißen Kapuzenmännern, mit denen Philip Guston (1913-1980) auf den Ku-Klux-Klan anspielt, Protestaktionen provozieren könnten.
Die Botschaft ist eindeutig
Nun sind aber die Bilder, in denen Philip Guston seine zigarrenderauchenden Klansmen vergnügt im Auto durch die Gegend kutschieren, im Krankenhausbett vor dem Arzt zittern oder malend vor der Staffelei stehen sieht, in ihrer Botschaft in keiner Weise ambivalent.
Ganz klar spricht der Maler – den die Erfahrungen mit den Klansmännern nachhaltig verstörten, die er als Junge mit ihnen als Streikbrecher in Los Angeles machte – mit seinen Kapzenmännern die bittere Wahrheit an, dass ihre realen Pendants Teil des amerkanischen Alltagsleben waren, unbehelligte Mitbürger während der ganzen Zeit, in der die Terrororganisation existierte.
Den Skandal verursachen daher jetzt nicht die Kunstwerke, ihn verursacht der Rückzug der Museen. Sie brauchen nun plötzlich mehr Zeit, um „die vielen wichtigen Fragen, die die Arbeiten aufwerfen“ neu zu überdenken. Ganz so, als ob sie in den vergangenen fünf Jahren, in denen die Ausstellung schon vorbereitet wird, die Klansmänner und ihre Implikationen einfach übersehen hätten.
Wer eigentlich hat Bedenken?
Es fällt schwer, auch wenn man sich immer wieder wundert wie unbedarft US-amerikanische Kunstinstitutionen hinsichtlich der ‚Rassenfrage‘ agieren, das Problem vor allem bei den Museen festzumachen. Allerdings hat eine große Ausstellung wie „Philp Guston Now“ einigen Bedarf an Ausleihen aus dem Besitz privater Sammler. Es steht zu vermuten, dass die Bedenken eher dort aufgekommen sind.
Oder bei den Sponsoren aus Industrie und Finanzwirtschaft, ohne die eine so große Ausstellung einfach nicht umgesetzt werden kann. Vielleicht konnten die Museen ihnen die nötige Sicherheit nicht versprechen. Vielleicht fanden sich dort aber umgekehrt auch nicht die Sponsoren, bei denen die Museen sicher sein konnten, keine unliebsamen Verbindungen zu rassistischen Praktiken und Institutionen zu finden, würde hier erst einmal recherchiert.
Ja, Philp Gustons Klansmänner haben es eben in sich. Auch weil sich heute viel anders darstellt als noch vor kurzem gedacht. Wenn Gustons Tochter, Musa Mayer, die die Guston Foundation leitet, schreibt: „Nie sehen wir die Taten ihres Hasses. Wir wissen niemals, was in ihren Köpfen vorgeht. Aber klar ist, dass sie Wir sind. Unsere Verleugnung, unsere Verheimlichung“, dann denunzieren die heutigen Kunstaktivisten dieses große Wir als unzulängliche Ausrede.
Die Kulturkriege befeuern, anstatt sie zu befrieden
Sie wollen es genauer wissen. Sie bohren nach. Das haben die Museen, ihre Vorstände und ihre Sponsoren inzwischen vielfach – aus ihrer Sicht leidvoll – erfahren. Mit ihrem vorzeitigen Rückzug setzten diese Protagonisten ihre Kritiker aber erst in die Spur und befeuern die Kulturkriege in denen sich die amerikanische Gesellschaft aufreibt, anstatt sie – wie sie wohl hofften – zu befrieden.
Man möchte ihnen also wünschen, dass sie bis 2024 nicht nur Philip Gustons Werks noch besser erklärt und damit geschützt haben, sondern dass sie vor allem ihre eigenen rassistischen Verstrickungen und Befangenheiten aufgeklärt und bearbeitet haben, die sie offenkundig hinsichtlich iher große Aufgabe „Philip Gusto Now“ schwächen.
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