Skandal ums Kieler Landesfunkhaus: Der NDR schonte auch das Rote Kreuz
Neue Vorwürfe gegen den NDR in Schleswig-Holstein. Teile der Führungsebene sind von ihren Aufgaben entbunden. Sofortige Aufklärung gefordert.
NDR-Intendant Joachim Knuth dankte dafür und sagte, dass „nicht nur aufgeklärt, sondern auch Dinge geändert werden müssen“. Er wünsche sich „einen Prozess, um in Kiel künftig ein Klima des Muts zu etablieren“. Denn Beschäftigte des Senders hatten zuletzt immer lauter darüber geklagt, dass sie bei der Arbeit behindert oder Beiträge verändert wurden.
Am Dienstag dieser Woche klirrten auf der Terrasse des Gästehauses des Kieler Landtags die Gläser, auf dem Grill brutzelte Rinderfilet neben veganen Würstchen. Zum Ende der Sommerferien lud der Landtag zu seinem alljährlichen „Medienabend“ ein. Veranstaltungen wie diese bieten Abgeordneten und den Journalist*innen, die über die Landespolitik berichten, die Gelegenheit, jenseits des Alltags zusammenzukommen. Das hilft, Vertrauen aufzubauen und Kontakte zu knüpfen, die wichtig sind, um an Informationen heranzukommen. Doch wann gefährdet die Nähe die Berichterstattung? Und haben Redakteur*innen des NDR diesen Grat überschritten?
Seit Tagen nimmt die Kritik am öffentlich-rechtlichen Sender zu. Der erste Fall, der bekannt wurde, betraf die Berichterstattung über den Hinauswurf des Landesinnenministers im Frühjahr 2020. Es entstand der Eindruck, dass die Entscheidung des CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther nicht kritisch hinterfragt werden sollte.
Schweigen für die CDU
Bereits im Jahr zuvor, 2019, hatte der NDR in einem anderen Fall zugunsten der CDU beredt geschwiegen: Deren Parlamentarischer Geschäftsführer Hans-Jörn Arp hatte alkoholisiert zwei Autos gerammt, wie in allen Zeitungen des Landes zu lesen war. Getrunken haben soll er vorher laut Stern unter anderem mit Steins Stellvertreter in der Politik-Ressortleitung, Stefan Böhnke.
Nun berichtet der Stern von weiteren Vorwürfen. Sie beziehen sich auf Recherchen zu einem Kinderheim des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Es geht um das Leiden von Kindern, die in den 1950er-Jahren an die Nordsee „verschickt“ wurden und über Schikanen und Schläge berichten. Im Beitrag des NDR wird aber das DRK nicht erwähnt.
Zudem zitiert der Stern Mails der Politikchefin Stein, die freien Journalist*innen vorschlägt, „gedanklich die Richtung zu wechseln“, dem DRK zu glauben, dass dort nun aufgeklärt werden soll, und dem DRK sogar Recherchematerial zur Verfügung zu stellen. Kann es sein, dass die Vorsitzende des Landesverbandes, Annette Langner, geschont werden soll, die zu diesem Zeitpunkt eine Beziehung mit der Vorsitzenden des Rundfunkrates hat, der den NDR überwacht?
Formal hat der Rundfunkrat als ehrenamtlich besetztes Beschwerde- und Kontrollgremium keinen Einfluss auf das tägliche Programm. Ein indirekter Einfluss ist denkbar, allerdings gibt es in diesem Fall keinen richtigen Grund dafür: Seit die Autorin Anja Röhl, selbst ein „Verschickungskind“, und andere Betroffene die Fälle öffentlich machen, sind auch die Betreiber der Heime bekannt, darunter das DRK.
Aufklärungs-Team soll loslegen
Eine Berichterstattung zu behindern, sei „vollkommen unsinnig und unmöglich“, teilt dann auch eine Sprecherin des Landesverbandes am Donnerstag mit. „Wir weisen jeglichen Vorwurf der Beeinflussung entschieden zurück“. 2020 habe es eine Anfrage einer NDR-Freien gegeben. Ein Interview vor der Kamera habe das DRK damals zwar nicht geben wollten, aber eine Stellungnahme geschickt.
Doch für den NDR ist dieser Fall eine weitere Belastung – öffentlich und intern. Denn die Beschäftigten sind am Ende ihrer Geduld: „Genau jetzt ist der Zeitpunkt, die Vorfälle aufzuarbeiten“, forderte ein freier Mitarbeiter bei einer Betriebsversammlung, die das hauseigene Medienmagazin „Zapp“ filmen durfte. „Die Republik schaut auf uns. Herr Thormählen, machen Sie Ihren Job.“
Aber Thormählen macht stattdessen Urlaub. Seine Stellvertreterin Bettina Freitag soll die Aufklärung in die Hand nehmen. Dafür werde ihr „ein Team zur Seite gestellt, das vor Ort zielführende Prozesse und Strukturen etablieren wird, welche einen mutigen, unabhängigen Journalismus garantieren“, so Intendant Knuth. Wie genau das passieren soll, teilt der NDR nicht mit. Immerhin wird das Aufklärungs-Team an „eine Verantwortliche oder einen Verantwortlichen außerhalb des Funkhauses berichten“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl