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Sittlich auf tiefster Stufe

Fußtritte und Zigaretten auf dem Gesicht ausgedrückt: Die Staatsanwaltschaft fordert hohe Haftstrafen für die Mörder des Dahlewitzer Obdachlosen Dieter Manzke. Ob es sich um eine politisch motivierte Tat handelt, wird noch erörtert

Haftstrafen zwischen „lebenslänglich“ und fünf Jahren Jugendhaft forderte die Staatsanwaltschaft gestern im Prozess vor dem Landgericht Potsdam um den Mord an dem Obdachlosen Dieter Manzke in der brandenburgischen Kleinstadt Dahlewitz.

Die fünf Angeklagten hatten gestanden, den 61-Jährigen am 8. August vergangenen Jahres in einem Gartenbungalow so lange mit Fußtritten und Faustschlägen misshandelt zu haben, dass er wenig später an schwersten inneren Verletzungen starb. Zuvor hatten die jungen Männer im Alter von 17 bis 22 Jahren ihr wehrloses Opfer unter anderem dadurch gequält, dass sie Zigaretten auf seinem Gesicht ausdrückten und ihn „Karussell fahren“ ließen, indem sie ihn an den Armen durch die Luft schleuderten. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft muss den Tätern bewusst gewesen sein, dass die Misshandlungen für Dieter Manzke tödlich enden würden.

Als besonders schwerwiegend wertete Staatsanwalt Petersen, dass drei der Angeklagten, nachdem sie den reglosen Manzke in ein Gebüsch gezerrt hatten, noch „weitere Obdachlose totschlagen wollten“: Nur weil das nächste Opfer nicht allein war, kam es dazu nicht mehr. Dieser zweite Angriff hatte die Polizei, die zunächst einen Streit unter Obdachlosen angenommen hatte, auf die Spur der Täter gebracht. Denen warf Staatsanwalt Peter Petersen in seinem Plädoyer auch vor, dass sie trotz ihrer Geständnisse unmittelbar nach der Festnahme und im Prozess „keinerlei emotionale Reaktionen“ auf ihre Tat zeigten.

Petersen forderte gestern eine lebenslange Freiheitsstrafe für einen 22-jährigen Angeklagten, während er für den mutmaßlichen Rädelsführer der Clique, den 21-jährigen Dirk R., auf eine 13-jährige Freiheitsstrafe plädierte. R. sei aufgrund eigener Gewalterfahrungen in der Kindheit nur eingeschränkt schuldfähig gewesen, so Petersen. Für zwei weitere Mittäter im Alter zwischen 17 und 21 Jahren verlangte die Staatsanwaltschaft Jugendstrafen von sechs und acht Jahren. Lediglich beim jüngsten Angeklagten, einem 17-Jährigen, plädierte Petersen auf Totschlag und eine Jugendstrafe von fünf Jahren. Die jungen Männer kamen überwiegend aus schwierigen sozialen Verhältnissen, waren entweder arbeitslos oder sich „ihrer Perspektivlosigkeit bewusst“. Am Tattag hätten sie sich „bewusst einen Menschen ausgesucht, der sozial unter ihnen stand“. Dieter Manzke habe seinen Peinigern als „Asozialer“ gegolten, den es zu vertreiben galt. Petersen berief sich in seinem Plädoyer auch auf einen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom Oktober vergangenen Jahres, wonach das „bewusste Abreagieren von frustrationsbedingten Aggressionen an Opfern, nur weil sie sozial tieferstehend sind“, sittlich auf tiefster Stufe stehe.

Deutlich widersprach Petersen den Behauptungen der Angeklagten, sie seien durch exzessiven Alkoholkonsum enthemmt gewesen. Zeugen hatten vor Gericht erklärt, die fünf Männer seien kontrolliert und keineswegs betrunken gewesen. Anzeichen für eine politisch motivierte Tat wollte Petersen allerdings nicht erkennen. Nach den Kriterien der reformierten polizeilichen Kriminalstatistik wird ein Delikt dem Bereich der „Hasskriminalität“ zugeordnet, wenn eine Person aufgrund ihres Erscheinungsbildes misshandelt wird. Zudem präzisiert der Kriterienkatalog bei Gewalttaten gegen Obdachlose, dass „der Angriff rechtsorientierter Jugendlicher … auf einen deutschen Obdachlosen eine (zu vermutende) politisch motivierte Tat“ darstelle. In der kommenden Woche soll der Prozess mit den Plädoyers der Verteidiger fortgesetzt werden. Das Urteil des Landgerichts Potsdam wird für den 10. April erwartet. HEIKE KLEFFNER

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