piwik no script img

Sinnlichkeit einer StadtRom ist sexy

Italiens Hauptstadt ist mehr als ein monumentales Freiluftmuseum und gutes Essen. Im Frühling vermag Rom eine Art Dauerkitzeln im Innern zu entfachen.

Frühlingsgefühle auf der Tiberinsel in Rom Foto: Petra Nowack/imago

M an sagt über Paris im Ausland gern, es sei die Stadt der Liebe. Man stellt sich vor, Französinnen und Franzosen täten kaum etwas anderes im Leben, als über die Liebe zu sprechen, sie zu machen, sie zu besingen, zu beschreiben und in allen möglichen Konstellationen auszutesten.

Wenn die Welt untergeht, denkt man in Frankreich nicht primär an seine Verdauung, also nicht an Reis oder Klopapier, sondern, so das hartnäckige Gerücht, an die Liebe. Oder besser gesagt: an Sex. Zumindest stellen manche sich das so vor. Bis heute fragen mich Leute, ob es denn wirklich wahr sei, ob die Franzosen den Stress der Pandemie wirklich durch ein ausuferndes Sexleben kompensiert hätten. Meine enttäuschende Antwort lautet: Ich weiß es nicht. Zumindest die Sache mit den Kondomen kann ich nicht bestätigen.

Nur soll es darum ja gar nicht gehen. Es soll nicht um Paris gehen, sondern um Rom. Oder besser gesagt: um Rom und seine Sinnlichkeit. Als ich vor genau einem Jahr ankam, rief nach einigen Wochen ein Freund an, der als Korrespondent einer großen italienischen Zeitung in Paris arbeitet. Er arbeitete an einem Artikel über das Italien-Frankreich-Verhältnis und wollte wissen, was mir als neu angekommene „Französin“ an Rom gefalle: „Die Sinnlichkeit der Stadt“, sagte ich. Er lachte: „Ach ja?“ Ja. Man unterstreicht das viel zu selten.

Wenn man über Rom spricht, klingt es oft, als spreche man über ein Freilichtmuseum mit besonders gutem Bistro. Man erzählt von antiken Monumenten, Deckenfresken in Kirchen, dem Vatikan, der hervorragenden Carbonara, den frittierten Artischocken, dem ultimativen Negroni.

Aber man sagt selten: Die Stadt ist sexy. Dabei ist sie das. Sehr sogar. Das gilt natürlich besonders jetzt, im Frühling. Frühling ist fast überall schön, die Jahreszeit schafft es auf wundersame Weise, uns jedes Mal aufs Neue zu erstaunen und in unserer Magengegend für ein paar Wochen eine Art Dauerkitzeln zu entfachen.

Schon mal „Roma“ rückwärts gelesen?

Nur nimmt sie in Rom eine besondere Form an. Die Luft zum Beispiel wird plötzlich ganz weich und warm. Wenn man durch sie hindurchfährt, mit dem Rad oder einer Vespa, ist es, als würde sie einen ganz sanft im Nacken streicheln. Sie riecht nach Blauregen und dem langsam aufblühenden Jasmin, an manchen Straßenecken auch nach Rosen.

Überhaupt scheinen die Natur, die vielen Vögel, die Papageien, die Bienen, die Pflanzen, all diese Elemente, die in Städten ja sonst eher eine untergeordnete Rolle spielen, uns hier auf sehr bunte und laute Weise zurufen zu wollen: Alles auf Anfang! Alles auf Neustart! Küsst euch! Umarmt euch! Macht, was ihr wollt!

Und genau das machen die Leute auch. Selten habe ich so viele Menschen gesehen, die sich auf der Straße küssen, wie in Rom. Und das nicht nur im Frühling. Egal, wie warm oder kalt es ist, ob der Himmel grau oder strahlend blau über dem Lungotevere hängt, man muss nur einmal durch einen Park fahren oder in der Altstadt durch eine Straße schlendern, man wird mindestens alle paar Meter ein eng umschlungenes Paar sehen. Jung oder alt, alle scheinen hier von irgendetwas erfasst. Nur von was?

Der fellinihaften Opulenz vielleicht. Dem vielen Essen, das hier in schier endloser Fülle und sehr hübsch herausgeputzt in Schaufenstern und Theken liegt. Oder, mehr im Sinne von Pasolini, von der etwas rauen, archaischen Schönheit, die so anders und kraftvoller ist als die kontrollierte Eleganz von Paris.

Vielleicht sind es, ganz blöd gedacht, die vielen abgetrennten Körperteile, die Pos, Brüste, Beine, die einem in prallem Marmor tagtäglich von Gebäuden und Fontänen entgegenblicken? Oder ist es womöglich der Einfluss der antiken Römer und ihrer Huldigung des Genusses? Bisher scheint mir keine der Antworten wirklich schlüssig. Vielleicht liegt des Rätsels Lösung auch einfach im Namen der Stadt verborgen: Oder warum sollte „Roma“ rückwärts gelesen sonst „Amor“ heißen?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!